Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

EU-Gipfel in Brüssel: Showdown um russisches Staatsvermögen für die Ukraine

Die EU plant eingefrorenes russisches Staatsvermögen für die Ukraine zu nutzen. Belgien blockiert den Plan aus rechtlichen und finanziellen Gründen.

Hoffen auf eine Einigung der Staats- und Regierungschefs: Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. (Archivbild)
Foto: Omar Havana/AP/dpa

Ist es ein unverantwortlicher Verstoß gegen internationales Recht – mit unabsehbaren Folgen auch für die europäische Finanzmarktstabilität? Oder einfach ein innovativer und fairer Weg, den Fall der von Russland angegriffenen Ukraine zu verhindern? Über den Plan zur Nutzung von in der EU eingefrorenem Staatsvermögen Russlands für die Ukraine wird seit Wochen mit harten Bandagen gestritten. Heute soll es beim EU-Gipfel in Brüssel zum Showdown kommen. Für die EU, aber auch für Bundeskanzler Friedrich Merz persönlich geht es um viel. Ein Überblick über die Lage in Fragen und Antworten:

Was soll konkret gemacht werden?

Das Konzept, das von der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen entwickelt wurde, beinhaltet, dass die EU sich bei verschiedenen Finanzinstituten Geld leiht, das Russland aufgrund der Sanktionsentscheidungen der EU derzeit nicht zur Verfügung steht. Dieses Geld soll dann als Darlehen an die Ukraine weitergegeben werden. Russland soll das Geld nur zurückerhalten, wenn es nach Beendigung des Angriffskrieges gegen die Ukraine Entschädigung für die entstandenen Schäden leistet.

Die Ukraine müsste dann diese Reparationszahlungen verwenden, um die Darlehen an die EU zurückzuzahlen. Sollte das eingefrorene russische Staatsvermögen beispielsweise aufgrund internationaler Urteile oder Deals unerwartet wieder freigegeben werden müssen, sollen die beteiligten EU-Staaten Garantien leisten.

Um wie viel Geld geht es?

Nach Berechnungen der EU-Kommission könnten bis zu 210 Milliarden Euro in die Ukraine fließen, 90 Milliarden davon in den kommenden beiden Jahren. Nach Schätzungen des IWF und der Kommission beläuft sich der Finanzbedarf der Ukraine im Zeitraum 2026 bis Ende 2027 auf etwas mehr als 137 Milliarden Euro. Europa will davon zwei Drittel abdecken.

Wo liegen die Gelder, die genutzt werden sollen?

Der Großteil der Summe, etwa 185 Milliarden Euro, wird von Euroclear, einem Brüsseler Finanzunternehmen, verwaltet, das als Zentralverwahrer für die sichere Aufbewahrung von Wertpapieren fungiert. Weitere etwa 25 Milliarden Euro befinden sich bei anderen Finanzinstituten in Frankreich, Belgien, Deutschland, Zypern und Schweden. Eine sehr geringe Summe wird auch von dem luxemburgischen Zentralverwahrer Clearstream gehalten.

Warum ist Belgien bislang gegen den Vorschlag?

Die Regierung von Belgien blockiert den Plan aufgrund von rechtlichen und finanziellen Risiken. Sie befürchtet, dass Russland Vergeltungsmaßnahmen gegen europäische Privatpersonen und Unternehmen ergreift, einschließlich möglicher Enteignungen in Russland. Besondere Sorge gilt der Existenz des Finanzinstituts Euroclear, das dem belgischen Staat jedes Jahr hohe Steuereinnahmen bringt. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass ein Schiedsgericht das Vorgehen als illegale Enteignung einstuft und internationale Anleger das Vertrauen in den europäischen Finanzmarkt verlieren.

Ist eine Zustimmung Belgiens ausgeschlossen?

„Nein. Regierungschef Bart De Wever hat jedoch drei Bedingungen genannt, damit Belgien trotz der Gefahren teilnimmt. Es muss sichergestellt werden, dass alle möglichen Risiken gemeinsam getragen werden und ab dem ersten Moment der Umsetzung des Plans ausreichende finanzielle Garantien vorhanden sind, um potenziellen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.“

De Wever verlangte außerdem einen vollständigen Schutz der Liquidität und des Risikos für alle Bürger oder Unternehmen, die vom Plan betroffen sind, sowie die Beteiligung aller anderen EU-Länder, in denen ebenfalls Vermögenswerte der russischen Zentralbank eingefroren wurden.

Können die Bedingungen erfüllt werden?

In den letzten Wochen und Tagen wurde intensiv daran gearbeitet. Am Ende liegt es jedoch beim belgischen Regierungschef zu entscheiden, ob die Zusicherungen ausreichend sind. Die gewünschten unbegrenzten Garantien wird er laut Diplomaten nicht erhalten.

Könnte die Nutzung der Gelder auch gegen den Willen der belgischen Regierung beschlossen werden?

Es wäre theoretisch möglich, da eine qualifizierte Mehrheit ausreichen würde, um das Vorhaben zu beschließen. Die Risiken wären jedoch hoch – unter anderem, da Belgien gegen die Entscheidung klagen könnte.

Kritiker des Projekts monieren, dass die Gelder nach internationalem Recht nicht genutzt werden dürften, weil sie durch das Prinzip der Staatenimmunität geschützt seien. Haben sie einen Punkt?

Die Kommission verneint das. Sie argumentiert, dass das festgesetzte russische Staatsvermögen nicht konfisziert werde. Es werden demnach nur Gelder genutzt, die es beispielsweise gibt, weil eine von Russland gehaltene Anleihe seine Fälligkeit erreicht hat. Auch Kanzler Merz sagt, der Vorschlag der EU-Kommission stehe «in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und den internationalen Verpflichtungen».

Und was ist mit dem Argument, dass die Nutzung des russischen Staatsvermögens die US-Initiative zur Beendigung des russischen Angriffskrieges gefährden könnte?

Der Einwand, der unter anderem von Ungarn und der Slowakei vorgebracht wird, wird von Befürwortern abgelehnt. Sie behaupten, dass man mit Härte und Entschlossenheit gegenüber Russland vorgehen müsse. Nur so könne Kremlchef Wladimir Putin an den Verhandlungstisch gebracht werden.

Äußern sich die Amerikaner zu dem Thema?

In Brüssel wird von EU-Diplomaten berichtet, dass Spitzenvertreter der US-Regierung sich zuletzt zurückgehalten haben. Die erste bekannte Version des US-Plans zur Beendigung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sah jedoch vor, dass die Gelder nicht nur der Ukraine, sondern auch den USA und Russland zugutekommen sollten. Auf Druck der Europäer wurde diese Klausel jedoch wieder gestrichen.

In Brüssel wird befürchtet, dass US-Präsident Donald Trump damit drohen könnte, die Unterstützung der Ukraine einzustellen, falls die Europäer das Geld nicht als Verhandlungsmasse zur Verfügung stellen.

dpa