Merz wird wohl der nächste Kanzler, auch wenn das Ergebnis nicht seinen Erwartungen entspricht. Die SPD erlebt ihr schlechtestes Ergebnis seit 1887.
Historische Niederlage und ungebremster Aufstieg: Ergebnisse der Bundestagswahl

Eine historische Niederlage für den Titelverteidiger, ein Wahlsieg mit Dämpfer für den Nachfolger und der ungebremster Aufstieg einer als teilweise rechtsextrem eingestuften Partei: Die wichtigsten Ergebnisse der Bundestagswahl – und was man daraus lernen kann.
Hartnäckigkeit zahlt sich aus: Merz ist oben angekommen
Es war ein langer und kurvenreicher Weg zur Macht für Friedrich Merz, gespickt mit Enttäuschungen, Niederlagen und einer Auszeit in der Wirtschaft. Jetzt ist der 69-Jährige doch noch ganz oben angekommen. Es sieht alles danach aus, dass er der zehnte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird – auch wenn das Ergebnis von 28,6 Prozent nicht das ist, was er sich mal vorgestellt hat. Noch im Januar hatte er erklärt, er gehe davon aus, dass das Wahlergebnis «eher in der zweiten Hälfte der Dreißiger» liegen werde.
Merz war das am Sonntagabend erstmal egal: «Jetzt darf auch mal Rambo Zambo im Adenauer-Haus sein», rief er von der Bühne in der CDU-Parteizentrale. Seine Verhandlungsposition dürfte das Ergebnis aber schwächen.
Wunder lassen sich nicht wiederholen: Scholz ist bald Geschichte
Kanzler Olaf Scholz versuchte, es ein zweites Mal so zu drehen wie 2021. Damals hatte er im Wahlkampf etwa 15 Prozentpunkte Rückstand auf die Union aufgeholt und war knapp vorne ins Ziel gekommen. Aber Wunder lassen sich nicht so einfach wiederholen, besonders nicht, wenn man gerade mit seiner Regierung eine Bruchlandung erlebt hat. Die Aufholjagd blieb aus. Die Sozialdemokraten erzielten bei ihrer schlechtesten Ergebnis bei einer nationalen Parlamentswahl seit 1887, als die SPD noch Sozialistische Arbeiterpartei hieß.
Die Zeit von Scholz als Kanzler ist nun vorbei, er hat keine Absicht, sich an der Bildung einer neuen Regierung zu beteiligen. Trotzdem plant er nicht, seine politische Laufbahn komplett zu beenden. Scholz hat seinen Wahlkreis in Potsdam knapp gegen die AfD verteidigt und angekündigt, im Bundestag zu bleiben. Im Gegensatz dazu ergreift SPD-Parteichef Lars Klingbeil die Flucht nach vorn: Er strebt trotz des Wahldesasters an, auch Fraktionschef zu werden.
Dauerstreit lohnt sich nicht: Die letzten Ampel-Lichter gehen aus
Die Ampel-Koalition ist im November spektakulär gescheitert, aber dennoch haben die drei Hauptakteure erneut kandidiert, als ob nichts passiert wäre: Scholz, sein Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Sie haben nun die Konsequenzen aus drei Jahren Streit gezogen: Im Jahr 2021 erreichten SPD, Grüne und FDP zusammen noch 52 Prozent, jetzt sind es nur noch 32,3 Prozent. Eine Regierung wurde selten so hart bestraft.
Die FDP ist sogar aus dem Bundestag geflogen. Neben Scholz zog am Sonntag deswegen auch FDP-Chef Lindner die Konsequenzen: «Nun scheide ich aus der aktiven Politik aus», schrieb er auf X. Nur bei Habeck ist noch offen, wie es weitergeht. Er dürfte erstmal abwarten, wie es mit der Regierungsbeteiligung aussieht.
GroKo: Von der Notlösung zur Wunsch-Koalition
Nach den Erfahrungen mit der Ampel wollte eigentlich niemand mehr eine schwierige Dreierkoalition in der Politik haben. Daher wird es nun höchstwahrscheinlich auf eine Koalition zwischen Union und SPD hinauslaufen – eine andere Option gibt es praktisch nicht. Schwarz-Grün ist keine ausreichende Alternative.
Die GroKo entwickelt sich von der ungeliebten Notlösung zur Wunsch-Koalition. Laut einer Blitzumfrage des Instituts YouGov wünschen sich auch die Wähler zu 44 Prozent am meisten diese Regierung.
Es ist unklar, ob die SPD-Mitglieder einer Koalition mit der Union zustimmen würden. Die NoGroKo-Kampagne der Jusos aus dem Jahr 2017/18 liegt noch nicht lange zurück. Es ist wahrscheinlich, dass die SPD auch dieses Mal ihre Mitglieder erneut über eine solche Regierungsbeteiligung abstimmen lassen würde.
Die AfD lässt sich nicht stoppen: Stärkste Oppositionskraft
Keine der anderen Parteien findet ein Mittel gegen die AfD. Sie hat ihr Ergebnis von 10,4 Prozent auf 20,8 Prozent genau verdoppelt. Noch nie war eine vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextremistische Partei so stark im Bundestag vertreten. AfD-Politiker dürfen nun bei Regierungserklärungen als erste auf den Kanzler antworten – und in der großen Haushalts-Generaldebatte als allererste sprechen.
Niemand möchte jedoch weiterhin mit ihr koalieren. Auch Wahlsieger Merz, der mit Unterstützung der AfD einen Migrationsbeschluss im Bundestag verabschiedet hat, betont das. Dies trifft laut Wahlanalysen der Meinungsforschungsinstitute Infratest dimap und Forschungsgruppe Wahlen den Nerv der Wähler: 70 bis 74 Prozent lehnen eine Koalition mit der AfD ab.
Das stört deren Parteichefs am Wahlabend aber alles nicht. «Wir warten ab», sagt Parteichef Tino Chrupalla. Die AfD schaut längst auf 2029 mit Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und der nächsten Bundestagswahl – und wittert hier ihre Chance.
Totgesagte leben länger: Die Linke schafft das Comeback
Die Linke ist eine große Gewinnerin des Wahlabends. Viele hatten sie vor Monaten schon abgeschrieben, nach Gründung des BSW von Sahra Wagenknecht schrumpfte sie völlig zusammen. Doch die Diskussion um die «Brandmauer» zur AfD und eine clevere Kampagne in den sozialen Medien hat der Linken ein Comeback ermöglicht.
Und das ist bemerkenswert: Mit 8,8 Prozent steht sie noch besser da als in vielen Umfragen. Beim Thema soziale Gerechtigkeit vertrauen viele inzwischen eher der Linken – für Grüne und SPD ist das ein Problem.
Jung wählt Radikal
Bei den jüngeren Wählern hat die demokratische Mitte keine Mehrheit mehr. Laut infratest dimap haben 25 Prozent der 18- bis 24-Jährigen für die Linke gestimmt, 20 Prozent für die AfD und 6 Prozent für das BSW. Nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen ist die Linke mit 24 Prozent auch bei den unter 30-Jährigen die stärkste Partei, gefolgt von der AfD mit 21 Prozent.
Bei der vorherigen Wahl war die Situation noch eine andere: Zu dieser Zeit waren insbesondere die FDP und die Grünen bei den jungen Wählern noch deutlich beliebter. Der Rückgang dürfte nicht allein am Social-Media-Auftritt der Spitzenkandidatin der Linken, Heidi Reichinnek, liegen.