Überraschungsvisite im Kreml: Der slowakische Ministerpräsident trifft in Moskau jenen Mann, der den Angriffskrieg gegen die Ukraine befohlen hat. Die Opposition in dem EU- und Nato-Land ist entsetzt.
Slowakischer Regierungschef Fico empört mit Besuch bei Putin
Bei einem unerwarteten Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml hat der slowakische Regierungschef Robert Fico großes Entsetzen in dem an die Ukraine grenzenden EU-Land ausgelöst. Oppositionspolitiker warfen ihm vor, mit seiner Reise nach Moskau – der ersten eines offiziellen Vertreters der Slowakischen Republik seit Russlands Einmarsch in der Ukraine vor knapp drei Jahren – sein eigenes Land verraten zu haben. Beim Gespräch mit Putin ging es nach Angaben beider Seiten unter anderem um russische Erdgaslieferungen in die Slowakei, die seit 2004 sowohl der Nato als auch der Europäischen Union angehört.
Obwohl die Slowakei bisher alle von der EU beschlossenen Ukraine-Hilfen sowie gegen Russland gerichtete Sanktionen unterstützt hat, fällt der Linkspopulist Fico durch öffentliche Kritik an der Ukraine-Politik von EU und Nato auf. Der Grund für seinen Besuch in Moskau ist, dass die russischen Gaslieferungen an die Slowakei zum Jahresende eingestellt werden, da die Ukraine den Transit über ihr Gebiet nicht mehr erlaubt, im Gegensatz zu Ungarn.
«Fico ist eine Schande für die Slowakei»
Die slowakische Opposition reagierte entrüstet auf das Treffen im Kreml. «Den Gastransit für die Slowakei sollte der Premier in Kiew besprechen», sagte Michal Simecka, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der Nachrichtenagentur TASR. Ficos Besuch bei Putin sei «ein verlogenes Theater für seine Wähler», sagte der Chef der liberalen Progressiven Slowakei (PS). «Dabei verrät er sein eigenes Land und führt uns Schritt für Schritt weg von Europa.»
Branislav Gröhling, Chef der kleineren liberalen Oppositionspartei Freiheit und Solidarität (SaS), formulierte seine Kritik noch schärfer: «Robert Fico ist eine Schande für die Slowakei. Er verhält sich nicht wie ein Regierungschef eines souveränen Landes, sondern wie ein gewöhnlicher Kollaborateur.» Fico spreche nicht für die gesamte slowakische Nation, betonte Gröhling.
Besuche von europäischen Spitzenpolitikern in Moskau sind seit dem Beginn des Krieges vor fast drei Jahren selten geworden. Als der österreichische Kanzler Karl Nehammer wenige Wochen nach dem Angriff auf die Ukraine als erster westlicher Regierungschef Putin in Moskau traf, erntete er damit scharfe Kritik. Der eigenmächtige Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban beim Kremlchef im Juli dieses Jahres wurde von EU-Kollegen genauso wenig geschätzt, kam angesichts seiner bekannten engen Kontakte nach Moskau aber weniger überraschend.
Der Slowakei droht eine Gaskrise
Vor seinem Treffen mit Putin hatte Fico beim EU-Gipfel in Brüssel vergeblich versucht, das angekündigte Ende des Transits von russischem Gas in die Slowakei zu verhindern. Seinem Land drohe dadurch eine schwere Krise, da es vollständig von russischem Gas abhängig sei und kaum Alternativen habe, betonte er. Die Slowakei hatte daher die Erlaubnis der EU erhalten, weiterhin russisches Gas zu beziehen. Diese EU-Genehmigung ist jedoch faktisch wertlos für das Land, da die Ukraine den Gas-Transit ab dem Jahreswechsel nicht mehr gestattet.
Beim letzten EU-Gipfel kam es zu einem Gespräch zwischen Fico und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, wie beide Politiker bestätigten. Selenskyj sagte, dass während die Slowakei nur mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen habe, täglich Menschen in seinem Land sterben würden.
Der EU-Ratspräsident António Costa wurde laut EU-Kreisen am Sonntagabend über die Reise von Fico nach Moskau informiert. Es ist fraglich, ob er damit einverstanden war. Es gab keine offizielle Abschlusserklärung nach dem Treffen im Kreml. Die russische Seite hat sich nicht zu den Inhalten geäußert, sie hatte nur die Gaslieferungen als mögliches Thema angedeutet.
Fico verteidigt Besuch bei Putin
Fico veröffentlichte dann eine Erklärung auf Facebook, begleitet von einem Foto von sich und Putin. Er lobte Putins souveräne Politik und informierte die höchsten Vertreter der EU über seine Reise am Freitag, schrieb der Slowake. Diese Reise sei eine Reaktion auf den angekündigten Stopp des Gas-Transits und Selenskyjs Forderung nach Sanktionen gegen das russische Atomprogramm, was auch die Stromerzeugung in slowakischen Kraftwerken gefährde. Außerdem diskutierte er mit Putin über die militärische Lage in der Ukraine und die Möglichkeit einer baldigen friedlichen Beendigung des Krieges.
In der Ukraine-Politik gibt es sowohl zwischen den Mitgliedstaaten der EU als auch denen der Nato große Meinungsverschiedenheiten. Selenskyjs Forderungen an die westlichen Verbündeten stoßen ebenfalls auf Uneinigkeit. Der ukrainische Präsident hat mehrfach die zögerliche Haltung der Bundesregierung kritisiert und Kanzler Olaf Scholz dafür kritisiert, gegen seinen Willen mit Putin telefoniert zu haben. Er hat öffentlich sein Unverständnis über das Nein des Kanzlers zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine geäußert.
Nato-Chef Rutte: Selenskyjs Kritik an Scholz ist unfair
Nato-Generalsekretär Mark Rutte verteidigt den Bundeskanzler gegen die Kritik von Selenskyj. «Ich habe Selenskyj oft gesagt, dass er aufhören soll, Olaf Scholz zu kritisieren, denn ich halte das für unfair», sagte Rutte in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Rutte lobte Scholz für sein beeindruckendes Engagement für die Ukraine. Durch sein Mitwirken sei Deutschland nach den USA der zweitwichtigste militärische Unterstützer der Ukraine – und dafür könne auch Kiew dankbar sein.
Zugleich machte Rutte deutlich, dass er der Ukraine durchaus auch Taurus-Marschflugkörper liefern und keine Einschränkungen bei der Nutzung machen würde. «Ganz allgemein wissen wir, dass solche Fähigkeiten für die Ukraine sehr wichtig sind», sagte der frühere niederländische Ministerpräsident. Es sei aber nicht an ihm zu entscheiden, was Alliierte liefern sollten.
Russische Drohnenschwärme über der Ukraine
Während weiterhin auf politischer Ebene über den richtigen Kurs in Kriegszeiten diskutiert wird, setzen sich die Kämpfe in der Ukraine fort. Am späten Abend meldete die ukrainische Flugabwehr erneut das Eindringen von Schwärmen russischer Kampfdrohnen aus verschiedenen Richtungen. Aufgrund der ständig wechselnden Flugrichtungen waren deren Ziele zunächst nicht klar ersichtlich. Mit dieser Strategie versuchen die russischen Militärs, die ukrainische Flugabwehr zu überlasten.
Russland versucht mit kontinuierlichen Drohnen- und Raketenangriffen, die ukrainische Bevölkerung im dritten Kriegswinter zu schwächen. Ein Großteil dieser Angriffe zielt auf die Energie-Infrastruktur der Ukraine ab, um die Stromversorgung – und somit auch die Wasserversorgung und Fernwärme – zum Stillstand zu bringen.
Putin drohte nach einem ukrainischen Drohnenangriff auf Kasan mit Vergeltung. Am Samstag schlugen sechs ukrainische Drohnen in Wohnhäusern ein, eine weitere traf eine Industrieanlage. Laut offiziellen Angaben gab es bei dem Angriff keine Verletzten.