Deutschland bekommt ein neues Ministerium, die SPD führt Schlüsselressorts und es gibt Entlastungen für Bürger und Unternehmen. Die Koalition will auch das Rentenniveau festlegen und das Bürgergeld umgestalten.
Schwarz-Rote Bundesregierung steht: Was der Koalitionsvertrag vorsieht
Der Weg für die Bildung einer schwarz-roten Bundesregierung ist frei. CDU, CSU und SPD haben sich knapp sieben Wochen nach der Bundestagswahl auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Das 144-Seiten-Papier mit der Überschrift «Verantwortung für Deutschland» regelt auch die Verteilung der Ministerien.
Ein Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung ist erstmals geplant. Die CDU soll erstmals seit fast 60 Jahren wieder das Außenministerium übernehmen. Finanzministerium und Verteidigungsministerium werden zukünftig von der SPD geleitet. Das Innenministerium soll an die Union gehen.
Alle Abmachungen sind unter dem Vorbehalt, dass der Vertrag auch von den drei Parteien abgesegnet wird. Die SPD plant, ein Votum ihrer Mitglieder einzuholen.
Merz verspricht handlungsstarke Regierung
«Deutschland bekommt eine handlungsfähige und eine handlungsstarke Regierung», sagte der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Der Koalitionsvertrag sei ein Aufbruchsignal und ein kraftvolles Zeichen für Deutschland, dass die politische Mitte in der Lage sei, die Probleme zu lösen. «Die künftige Regierung, die künftige Koalition wird reformieren und investieren, um Deutschland stabil zu halten, sicherer zu machen und wirtschaftlich wieder stärker zu machen.»
Koalitionsvertrag als Antwort auf die Probleme der Zeit
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil betonte: «Die Ausgangslage war schwierig, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen.» Klingbeil wies auf die aktuellen Krisen hin und betonte: «Wir haben das Potenzial, gestärkt aus dieser Zeit hervorzugehen.» Die Co-Vorsitzende Saskia Esken sagte: «Der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserem Land, die Stärkung unserer Demokratie, die Wiederherstellung einer europäischen Friedensordnung – das alles muss uns gemeinsam am Herzen liegen. Das alles sind Ziele auch dieser Koalition.»
Man habe schon ein dickes Brett bohren müssen, räumte CSU-Chef Markus Söder ein. «Das, was jetzt vorliegt, kann man nicht nur gut vertreten, sondern ich finde, es ist eine Antwort auf die Probleme unserer Zeit.» Er sei von der Vereinbarung «inhaltlich überzeugt». Der Koalitionsvertrag sei eine Mischung aus «Reha-Kur und Fitnessprogramm für unser Land».
Entlastungen für Bürger
Die Vereinbarung zwischen Union und SPD sieht vor, dass Bürger entlastet werden. Die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen soll gesenkt werden, jedoch erst in etwa zwei Jahren, zur Mitte der Legislaturperiode. Die Parteien haben keine Details genannt. Der umstrittene Solidaritätszuschlag bleibt unverändert bestehen. Einkommensstarke Bürger und Unternehmen müssen also weiterhin die Sonderabgabe zur Finanzierung der Wiedervereinigung zahlen.
Auch die Pendler sollen steuerlich entlastet werden. Ab 2026 soll die Pendlerpauschale bereits ab dem ersten Kilometer bei 38 Cent liegen. Derzeit beträgt die Pauschale für die ersten 20 Kilometer Wegstrecke von der Wohnung zum Arbeitsplatz 30 Cent pro Kilometer. Erst ab dem 21. Kilometer kann man 38 Cent ansetzen.
Entlastungen für Unternehmen
Um Unternehmen zu entlasten, ist geplant, zunächst die steuerlichen Abschreibungsregeln anzupassen und anschließend die Körperschaftsteuer zu senken. In den Jahren 2025, 2026 und 2027 soll daher eine degressive Abschreibung von 30 Prozent für Ausrüstungsinvestitionen gelten. Auf diese Weise können Unternehmen jedes Jahr einen höheren Prozentsatz ihrer Investitionskosten abschreiben als bisher und diese somit schneller refinanzieren. Ab 2028 soll dann die Körperschaftsteuer allmählich sinken – und zwar jeweils um einen Prozentpunkt fünfmal.
„Energieintensive Unternehmen sollen mit einem Industriestrompreis entlastet werden. Die Stromsteuer soll auf den europäischen Mindestsatz sinken.“
Die Wirtschaft wird sich auch über die geplante Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes freuen, da dadurch beispielsweise Berichtspflichten entfallen.
Rente
Union und SPD planen, das derzeitige Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031 gesetzlich zu verankern. Ohne gesetzliche Maßnahmen würde es aufgrund der alternden Bevölkerung in den kommenden Jahren sinken, da immer weniger Beitragszahler auf immer mehr Rentnerinnen und Rentner kommen. Die Kosten in Milliardenhöhe, die durch die Festlegung des Rentenniveaus entstehen, sollen von CDU/CSU und SPD durch Steuermittel ausgeglichen werden.
2026 soll eine «Frühstart-Rente» eingeführt werden. Für jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, sollen pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot fließen.
Es ist geplant, dass sich am Rentenalter nichts ändert und die Altersgrenze weiterhin schrittweise auf 67 Jahre angehoben wird. Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren soll auch in Zukunft möglich bleiben.
Soziale Sicherung
Das Bürgergeld soll gemäß dem Wunsch der zukünftigen Koalitionspartner in eine neue Grundsicherung für Erwerbssuchende umgewandelt werden. Die Priorität soll auf der Vermittlung in Arbeit für arbeitsfähige Menschen liegen. Geplant ist die Beseitigung von Vermittlungshürden. Die Mitwirkungspflichten und Sanktionen sollen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern verschärft werden.
Die Sanktionen sollen schneller als bisher umgesetzt werden. Wenn arbeitsfähige Personen wiederholt zumutbare Arbeit ablehnen, können ihre Leistungen vollständig entzogen werden. Die bestehenden Schonzeiten für Vermögen sollen aufgehoben werden, und die Höhe des Schonvermögens soll an die Lebensleistung gebunden sein.
Auch bei der Berechnung der Regelsätze wollen Union und SPD etwas ändern. Mit der Einführung des Bürgergelds wurde ab dem 1. Januar 2023 bei der Fortschreibung der sogenannten Regelbedarfe die aktuelle Inflation stärker berücksichtigt. Hier sollen wieder die alten Regeln gelten und die Regelsätze mit mehr Nachlauf an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst werden.
Erhöhung der inneren Sicherheit
Um die innere Sicherheit zu verbessern, planen Union und SPD, dass Telekommunikationsanbieter in Zukunft verpflichtet werden, IP-Adressen für potenzielle Ermittlungen drei Monate lang zu speichern. Aufgrund rechtlicher Unsicherheiten wurde die bisherige Regelung zur Vorratsdatenspeicherung seit 2017 nicht mehr angewendet.
Die Bundespolizei soll im Rahmen ihrer begrenzten Zuständigkeit die sogenannte Quellen-TKÜ zur Bekämpfung schwerer Straftaten nutzen dürfen. Dabei wird die verschlüsselte Kommunikation direkt am Endgerät überwacht. Es soll jedoch nicht erlaubt sein, auf Daten zuzugreifen, die vor der Installation der Überwachungssoftware angefallen sind.
Verteilung der Ministerien
Die CDU wird in der neuen Bundesregierung sechs Ministerien leiten. Der Chef des Kanzleramts wird auch Ministerrang haben. Die SPD wird sieben Ministerien leiten und die CSU drei. Erstmals seit fast 60 Jahren wird die CDU wieder das Außenministerium übernehmen. Das neue Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung wird ebenfalls von der CDU geführt. Die SPD übernimmt wichtige Schlüsselressorts wie Verteidigung, Finanzen sowie Umwelt und Klimaschutz.
Fünftes schwarz-rotes Bündnis seit 1949
Die fünfte schwarz-rote Regierungskoalition seit der Gründung der Bundesrepublik ist die neue Koalition. Zum ersten Mal kam es von 1966 bis 1969 unter CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger zu einer solchen Konstellation. Nach den Bundestagswahlen 2005, 2013 und 2017 führte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jeweils eine schwarz-rote Koalition.
Die früher übliche Bezeichnung «große Koalition» passt inzwischen nicht mehr. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar war die AfD (20,8 Prozent) hinter der Union (28,5 Prozent) die zweitstärkste Kraft geworden. Die SPD lag mit 16,4 Prozent nur auf Platz drei.
Die Union hatte jedoch von Anfang an eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Da eine Koalition aus Union und Grünen keine Mehrheit hätte, gab es praktisch keine Alternative zu einem neuen schwarz-roten Regierungsbündnis.
Koalitionsverhandlungen liefen fast vier Wochen
Die Koalitionsverhandlungen begannen am 13. März. Zuvor hatten sich Union und SPD in Sondierungsgesprächen bereits auf ein elfseitiges Eckpunktepapier geeinigt, das die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigung und ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Investitionen, insbesondere in die Infrastruktur, vorsah.
Unter anderem als Reaktion auf die veränderte Weltlage nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump reagierten sie. Die europäischen Verbündeten befürchten, dass sie sich nicht mehr wie bisher auf den Schutz der USA verlassen können. Deshalb planen sie, massiv in ihre Sicherheit zu investieren.
Der Zollstreit, den Trump angerichtet hat, führte zu Turbulenzen in der Weltwirtschaft und an den Aktienmärkten, was die Verhandler zusätzlich unter Druck setzte.
Regierungsbildung erst im Mai
Der Zeitplan von CDU-Chef Merz, eine Regierungsbildung bis Ostern zu erreichen, kann nicht mehr eingehalten werden. Nun wird die erste Maiwoche als neues Ziel genannt – der 7. Mai wird als möglicher Termin für die Kanzlerwahl diskutiert.
Alle drei Parteien planen, ihre Vereinbarung vor der endgültigen Zustimmung innerhalb der Partei zu prüfen. Die SPD wird eine Mitgliederbefragung durchführen. Die CDU plant einen Kleinen Parteitag am 28. April. Die CSU plant lediglich einen Vorstandsbeschluss.