Nach Imamoglus Festnahme protestieren Zehntausende in der Türkei. Die Opposition will ihn als Präsidentschaftskandidaten aufstellen – doch die Justiz könnte ihn stoppen.
Erdogan-Rivale vor Gericht – Droht Untersuchungshaft?
Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hat beantragt, dass der festgenommene Bürgermeister und Erdogan-Rivale Ekrem Imamoglu in Untersuchungshaft genommen wird. Dies wurde von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu berichtet. Imamoglu wird nun einem Richter vorgeführt.
Dem CHP-Politiker werden in zwei separaten Verfahren Anschuldigungen bezüglich Terrorismus und Korruption gemacht. Laut Anadolu wurde in beiden Fällen Untersuchungshaft beantragt. Insbesondere geht es bei den Korruptionsermittlungen um den Verdacht der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung, Erpressung, Bestechung, Betrug und Ausschreibungsmanipulation. Die Terrorermittlungen drehen sich um den Vorwurf der Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Imamoglu bestreitet die Anschuldigungen entschieden.
Kritiker betrachten das Vorgehen gegen Imamoglu als einen Versuch der Regierung, einen politischen Gegner zu beseitigen, und halten die Anschuldigungen für inszeniert. Auch der Protest auf den Straßen richtet sich explizit gegen die Regierung. Imamoglu wird als vielversprechender Konkurrent des amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl angesehen. Trotz seiner Festnahme sollte der Bürgermeister von Istanbul heute, am Sonntag, von der oppositionellen CHP als Präsidentschaftskandidat nominiert werden.
In der gesamten Abstimmung über die Kandidatur von Imamoglu sind nicht nur 1,7 Millionen Mitglieder der CHP aufgerufen, sondern auch Bürger, symbolisch an 4.000 Wahlurnen im Land abzustimmen. Imamoglu ist der einzige Kandidat. Die Ergebnisverkündung wird für Sonntagabend erwartet.
Kandidatur hängt von regierungsnaher Behörde ab
Der Bürgermeister von Istanbul wurde am Mittwoch festgenommen. Seine geplante Kandidatur war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt. Imamoglu ist jedoch erst offizieller Kandidat, wenn die als regierungsfreundlich angesehene türkische Wahlbehörde YSK seine Kandidatur bestätigt. Wenn die Terrorermittlungen bis dahin nicht eingestellt werden, ist es unwahrscheinlich, dass seine Kandidatur akzeptiert wird. Außerdem wurde Imamoglu am Dienstag der Universitätsabschluss aberkannt. Die Entscheidung ist noch nicht endgültig. Ein Abschluss ist eine Voraussetzung für eine Präsidentschaftskandidatur in der Türkei.
Imamoglu weist Anschuldigungen in erster Befragung ab
Imamoglu hat bis spät in die Nacht vor der Staatsanwaltschaft ausgesagt, wie von mehreren Medien berichtet wurde. Anschließend sollte er noch vor einem Richter aussagen. Es ist unklar, ob nach dem Termin beim Richter die Anordnung einer Untersuchungshaft erfolgen wird.
Zuvor war Imamoglu am Samstag mehrere Stunden auf einer Polizeiwache zu den Vorwürfen befragt worden. «Die gegen mich erhobenen unmoralischen und haltlosen Anschuldigungen, die von erfundenen Berichten bis hin zum Zeitpunkt der Ermittlungen reichen, zielen darauf ab, mein Ansehen und meine Glaubwürdigkeit zu untergraben», ließ Imamoglu danach über die Stadtverwaltung mitteilen.
Proteste gegen Regierung halten an
Am Samstag gingen erneut Zehntausende Menschen im ganzen Land auf die Straße, um gegen die Festnahme von Imamoglu zu protestieren. In Istanbul und Ankara griff die Polizei Demonstranten mit Pfefferspray an.
Die türkische Medienaufsicht RTÜK drohte den Medien im Land im Falle von «unwahrer Berichterstattung» unterdessen mit Strafen und Lizenzentzug. «Wir fordern die Medien erneut auf, sich nicht auf parteiische und unwahre Berichterstattung zu stützen, sondern ausschließlich offizielle Informationen und Erklärungen der zuständigen Behörden zu veröffentlichen» schrieb der Chef der Anstalt, Ebubekir Sahin, auf der Plattform X. Andernfalls würden Maßnahmen ergriffen, die «bis hin zu langfristigen Sendeverboten und letztendlich sogar zum Lizenzentzug reichen». Er spreche «eine letzte Mahnung» aus. Berichten zufolge stellten einige Sender ihre Live-Berichterstattung von Demonstrationen im Land ein.
Ilhan Tasci, der in der Medienaufsicht für die Opposition tätig ist, behauptete auf der Plattform X, dass Sahin die Pressefreiheit im Land außer Kraft gesetzt habe.
Protestverbote in Istanbul verschärft
In mehreren Städten sind die Proteste selbst untersagt. Das Istanbuler Gouverneursamt hat die Protestverbote zuletzt verschärft und verlängert. Gemäß einer Mitteilung des Amtes gelten nun auch Zugangsbeschränkungen für die Stadt. Personen, die an Demonstrationen teilnehmen möchten, werden nicht mehr in die Stadt gelassen. Die genaue Umsetzung dieser Maßnahme war zunächst unklar.
Zusätzlich zu Demonstrationen und Versammlungen sind auch das Aufhängen von Plakaten, das Verteilen von Flyern, Unterschriftensammlungen oder Gedenkveranstaltungen verboten. Alle Maßnahmen bleiben vorerst bis Mitternacht am Mittwoch in Kraft.