Zur Aufklärung von Straftaten dürfen Ermittler teils verschlüsselte Nachrichten mitlesen und Handys durchsuchen. Künstler, Anwälte und Journalisten wollen den sogenannten Staatstrojaner stoppen.
Staatstrojaner vor Gericht: Wenn Ermittler heimlich mitlesen
Die Kommunikation findet heutzutage häufig im digitalen Raum statt. Bei der Strafverfolgung stehen verschlüsselte Chats oder Anrufe über Messenger-Dienste wie Telegram und WhatsApp vor neuen Herausforderungen. Eine Reform der Strafprozessordnung sollte 2017 Abhilfe schaffen. Doch vor allem die darin enthaltenen Befugnisse zum Einsatz von Späh-Software – auch Staatstrojaner genannt – werden kritisiert. Das Bundesverfassungsgericht wird bald seine Entscheidung zu einer Verfassungsbeschwerde gegen die umstrittenen Regelungen bekanntgeben.
Um welches Gesetz geht es?
Die Strafprozessordnung (StPO) regelt die Durchführung von Strafverfahren und die Befugnisse der Ermittlungsbehörden in Deutschland. Im Sommer 2017 wurde sie von der damaligen großen Koalition aus Union und SPD durch das «Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens» reformiert. Das Gesetz löste schon damals großen Protest aus – vor allem wegen der darin enthaltenen Möglichkeiten der Anordnung einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung sowie Online-Durchsuchungen mit Hilfe sogenannter Staatstrojaner.
Was sind Staatstrojaner?
Als Staatstrojaner wird Späh-Software bezeichnet, die ohne Kenntnis des Verdächtigen auf seinem Computer oder Smartphone installiert wird. So können die Ermittler dann zum Beispiel Nachrichten über Messenger-Dienste wie WhatsApp mitlesen, die zwischen Geräten verschlüsselt übermittelt werden (Quellen-Telekommunikationsüberwachung) oder sogar sämtliche Daten auf dem Gerät durchforsten (Online-Durchsuchung).
Was ist Quellen-Telekommunikationsüberwachung?
Bei der klassischen Telekommunikationsüberwachung (kurz: TKÜ) wird die Kommunikation eines Verdächtigen zum Beispiel über Telefon, E-Mail oder Chat-Nachrichten erfasst. Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram verschlüsseln aber oft die Chat-Nachrichten und Anrufe ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Damit Ermittler bei der Strafverfolgung auch an diese Daten kommen können, wird die Kommunikation bei der Quellen-TKÜ erfasst, bevor sie verschlüsselt wird oder nachdem sie entschlüsselt wurde. Dazu wird mit einer speziellen Software auf das Endgerät (die «Quelle») direkt zugegriffen.
Was ist eine Online-Durchsuchung?
Die verdeckte Online-Durchsuchung geht noch einen Schritt weiter. Auch hier greift die zuständige Strafverfolgungsbehörde mit technischen Mitteln in das Endgerät des Verdächtigen ein und erhebt daraus Daten. Im Gegensatz zur Quellen-TKÜ ist die Überwachung aber nicht auf die laufende Kommunikation beschränkt, sondern bezieht sich auf alle auf dem Gerät befindlichen Daten.
Wann dürfen diese Maßnahmen eingesetzt werden?
Für die Durchführung einer Quellen-TKÜ oder Online-Durchsuchung müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Dazu gehört beispielsweise der Verdacht auf eine schwere oder – im Falle einer Online-Durchsuchung – besonders schwere Straftat, die im Gesetz aufgeführt ist. Dazu gehören Mord, Totschlag oder Geldfälschung. Darüber hinaus muss die Tat in jedem Einzelfall als schwer oder besonders schwer angesehen werden und die Ermittlungen müssten auf andere Weise erheblich erschwert oder aussichtslos sein. Die Maßnahmen müssen jeweils von einem Richter genehmigt werden.
Wie oft kommt das vor?
Das Bundesamt für Justiz veröffentlicht regelmäßig Zahlen dazu, wie oft TKÜ und Online-Durchsuchungen in der Praxis angeordnet und durchgeführt werden. Wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Statistik hervorgeht, gab es im Jahr 2023 insgesamt 104 richterliche Anordnungen zur Quellen-TKÜ. Tatsächlich durchgeführt wurden demnach 62. Im Jahr zuvor waren es 94 Anordnungen, von denen 49 durchgeführt wurden.
Laut Statistik sind Online-Durchsuchungen deutlich seltener. Im Jahr 2023 wurde diese Maßnahme insgesamt nur 26 Mal von einem Richter angeordnet und sechsmal durchgeführt. Meistens ging es um den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Warum könnten die Befugnisse verfassungswidrig sein?
Vor seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht Stellungnahmen verschiedener Verbände eingeholt, darunter auch der Deutsche Anwaltverein (DAV). Der DAV hält die angegriffenen Regelungen in ihrer aktuellen Form größtenteils für verfassungswidrig. Insbesondere wenn bei der Quellen-TKÜ auch das Surfverhalten und der Datentransfer zur Cloud erfasst werden, stellt dies einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen dar, so Ricarda Schelzke, Mitglied des Ausschusses für Verfassungsrecht des DAV. Es mangelt vor allem an Vorgaben, wie die gesammelten Daten zu selektieren sind.
Auch die aktuelle Form der Online-Durchsuchung ist zu breit gefasst und die Datenanalyse nicht ausreichend geregelt. „Es sind zu viele Straftaten aufgelistet, die eine solche Durchsuchung ermöglichen sollen, obwohl sie nicht die höchsten Rechtsgüter wie Leben, Leib oder Freiheit schützen“, sagt Schelzke. Zudem fehlt ein effektiver Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung. Besonders problematisch ist auch, dass die erste Gerichtsentscheidung zur Verwertbarkeit der erhobenen Daten für das gesamte Verfahren bindend ist. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.
Wer klagt in Karlsruhe?
Nach Angaben des Vereins Digitalcourage handelt es sich bei der angekündigten Entscheidung aus Karlsruhe um seine 2018 initiierte Verfassungsbeschwerde. «Seit Einreichung der Beschwerden sind viele Jahre vergangen und der Einsatz von Staatstrojanern wurde immer weiter ausgeweitet», teilt der Verein auf seiner Internetseite mit. «Nach jahrelanger Wartezeit entscheidet das höchste deutsche Gericht nun endlich über die Rechtmäßigkeit des Staatstrojaner-Einsatzes in der Strafverfolgung, den wir von Anfang an als unverhältnismäßig und grundrechtswidrig kritisiert haben.» Laut Gericht sind die Beschwerdeführer Anwälte, Künstler und Journalisten.
Wie könnte das Bundesverfassungsgericht entscheiden?
Es ist nicht klar, ob das höchste deutsche Gericht heute über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Befugnisse entscheiden wird. Es besteht auch die theoretische Möglichkeit, dass die Verfassungsbeschwerde – allein aus formalen Gründen – nicht zur Entscheidung angenommen wird. Falls die Verfassungsbeschwerde jedoch erfolgreich ist, könnte das Gericht die Bestimmungen für ungültig erklären oder eine bestimmte Frist für Verbesserungen setzen.