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Steinmeier und Erdogan bleiben in Nahost-Frage uneins

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei köcheln auf Sparflamme. Doch die Präsidenten Steinmeier und Erdogan haben sich in Ankara viel zu sagen. Differenzen bleiben aber.

Handschlag in Ankara: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Deutschland und die Türkei wollen laut ihren Präsidenten die angespannten Beziehungen wiederherstellen – obwohl weiterhin Meinungsverschiedenheiten bestehen, insbesondere in wichtigen Fragen wie dem Nahost-Konflikt. Dies wurde am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Ankara deutlich.

«Wir brauchen einander», betonte Steinmeier. Das gelte etwa für die Nato und die Gruppe der G20-Staaten. «Deshalb sollten wir den deutsch-türkischen Beziehungen wieder neue Wichtigkeit verleihen.» Erdogan sprach sich unter anderem dafür aus, das Handelsvolumen auszuweiten. 

Krieg in Gaza bleibt Streitthema

Beide Präsidenten räumten ein, dass es in der Bewertung des Nahost-Krieges weiterhin Differenzen gebe. Erdogan warf dem Westen vor, die Augen vor dem Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu verschließen. Gaza sei dem Erdboden gleichgemacht worden – «unsere deutschen Freunde müssen diese tragische Situation sehen», sagte er und kritisierte, dass der gesamte Westen an der Seite Israels stehe. 

Der türkische Präsident kritisierte erneut Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu scharf und beschuldigte ihn erneut, den gesamten Nahen Osten zu gefährden, um sein eigenes politisches Überleben zu sichern. Er betonte jedoch auch, dass die Türkei sich um die Freilassung der aus Israel entführten Geiseln bemühe.

Steinmeier machte klar, dass er die terroristische Hamas mit ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres als Verursacher des neuen Krieges sehe. «Nach meiner Überzeugung: Ohne den 7. Oktober gäbe es den Krieg im Nahen Osten nicht.»

Steinmeier betonte aber ausdrücklich auch die gemeinsamen Positionen. «Wir wollen und müssen die humanitäre Lage in Gaza verbessern. Wir wollen und müssen die Ausweitung des Krieges zum Flächenbrand in der Region verhindern. Auch dabei kommt der Türkei eine ganz wichtige Rolle zu.» Man stimme auch darin überein, dass es ohne eine Perspektive für die Palästinenser mittel- und langfristig keinen Frieden und keine dauerhafte Sicherheit für Israel geben werde.  «Auch das eint uns: Am Ende kann diese politische Perspektive nur in der Zwei-Staaten-Lösung liegen.»

Gespräch erheblich länger als geplant

Erdogan hatte seinen Gast aus Deutschland am frühen Nachmittag mit militärischen Ehren einschließlich Salutschüssen begrüßt. Das sich anschließende Gespräch unter vier Augen dauerte erheblich länger als geplant. Eigentlich waren dafür 30 Minuten vorgesehen gewesen – am Ende sprachen beide Präsidenten eine Stunde und 45 Minuten miteinander.

Steinmeier war am Montag zum ersten offiziellen Besuch eines Bundespräsidenten seit zehn Jahren in der Türkei eingetroffen. Der offizielle Anlass der Reise war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 100 Jahren.

In den letzten Jahren hatten die Beziehungen aufgrund des repressiven Kurses Erdogans in der Türkei stark gelitten. So kam es beispielsweise im September 2018 während eines Staatsbesuchs des türkischen Präsidenten in Deutschland zu einem Eklat beim Staatsbankett. Erdogan wies damals deutsche Vorwürfe zur Menschenrechtslage in der Türkei in scharfer Form zurück. Auch bei einem Besuch Erdogans im November des letzten Jahres in Berlin war die Atmosphäre eher frostig.

Erdogan besorgt über Rassismus in Deutschland

Erdogan zeigte sich jetzt besorgt über den zunehmenden Rassismus in Deutschland. «Unsere Bedenken hinsichtlich aufstrebender fremdenfeindlicher, islamfeindlicher, rechtsextremer und rassistischer Organisationen in Deutschland zusammen mit Europa nehmen stetig zu.» Er sagte zudem, er sei «stolz» auf Millionen Türkeistämmige in Deutschland, die dort wichtige Rollen in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur übernähmen. 

Erdogan forderte auch, die Beschränkungen für Rüstungsexporte in die Türkei vollständig aufzuheben. Außerdem plädierte er für eine verstärkte Rüstungszusammenarbeit.

Steinmeier spricht indirekt Menschenrechtsfrage an

Steinmeier sprach die demokratischen Verhältnisse in der Türkei nur indirekt an, indem er dem Land «eine dynamische, eine demokratische und natürlich eine europäische orientierte Entwicklung» wünschte. Er betonte zudem, dass Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit wichtige Voraussetzungen für Investitionen deutscher Unternehmen in der Türkei seien. Ähnlich sehe es bei der Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der Europäischen Union aus. «Auch hier sind Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Pressefreiheit wichtige Voraussetzungen.»  

Gespräche auch mit wichtigen Oppositionspolitikern

Steinmeier verdeutlichte mit seinem Programm auch, dass Berlin bereits eine mögliche Zeit nach Erdogan in Betracht zieht. Er traf sich daher in Istanbul und Ankara mit den erfolgreichen Bürgermeistern Ekrem Imamoglu und Mansur Yavas. Beide sind Mitglieder der Oppositionspartei CHP, die bei den Kommunalwahlen Ende März erfolgreich war. Vor seinem Rückflug wollte Steinmeier auch noch mit dem CHP-Vorsitzenden Özgür Özel sprechen.

dpa