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Steinmeier würdigt türkische Leistung beim deutschen Wirtschaftswunder

Bundespräsident Steinmeier besucht Türkei und trifft auf politische Herausforderungen, darunter den Gaza-Krieg und Inhaftierung von Medienschaffenden.

Politisch wird Steinmeiers Besuch in der Türkei bei einem wichtigen, aber schwierigen Partner. Steinmeier kommt nur wenige Wochen nach den Kommunalwahlen in der Türkei.
Foto: Christian Charisius/dpa

In Essen wurde Kohle unter Tage abgebaut und in Köln wurden Autos am Fließband montiert – Hunderttausende Türken trugen ab den sechziger Jahren zum deutschen Wirtschaftswunder bei. Diese oft vergessene Leistung der Deutschen will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem dreitägigen offiziellen Besuch in der Türkei würdigen.

Er wird ihn deshalb in Istanbul im historischen Bahnhof Sirkeci beginnen, von dem aus viele Türken die Fahrt in eine ungewisse Zukunft in Deutschland angetreten haben. Politisch wird es ein Besuch bei einem wichtigen, aber schwierigen Partner. Steinmeier kommt nur wenige Wochen nach den Kommunalwahlen in der Türkei, deren Bedeutung über das Lokale hinausging.

Die Wähler haben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Ende März einen Denkzettel verpasst. Seine islamisch-konservative AKP war zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht mehr die stärkste Kraft im Land. Stattdessen triumphierte landesweit die größte Oppositionspartei CHP.

Hauptstadt Ankara und Gastgeber erst am Mittwoch

Der Bundespräsident wird direkt nach seiner Ankunft den wiedergewählten Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, treffen. Der Erdogan-Gegner wird als möglicher zukünftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt. Imamoglu bezeichnete die deutsch-türkischen Beziehungen im Vorfeld als etwas sehr Besonderes.

Der Besuch hat sozusagen ein umgekehrtes Programm. Normalerweise fliegt der Bundespräsident in die Hauptstadt des jeweiligen Landes, wird dort vom Gastgeber mit militärischen Ehren begrüßt, dann zieht man sich zum Gespräch zurück, trifft sich später wieder zu einem offiziellen Essen. Und erst dann schließen sich andere Stationen im Gastland an. Bei der Türkei-Reise verhält es sich umgekehrt: Die Hauptstadt Ankara und Gastgeber Erdogan kommen erst zum Abschluss des Besuches am Mittwoch dran.

Steinmeier sendet das Signal, dass Berlin auch schon auf die Zeit nach Erdogan schaut, indem er zuerst Imamoglu trifft – egal ob absichtlich oder nicht. Es ist auch geplant, mit dem Vorsitzenden der Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, zu sprechen.

Nicht nur angenehmer Gesprächsstoff

Etwa drei Stunden werden Steinmeier und Erdogan zusammen verbringen. Dabei dürften auch unangenehme Themen angesprochen werden. So befinden sich weiterhin wichtige Vertreter der Zivilgesellschaft wie der Kulturförderer Osman Kavala in Haft. Die Organisation Reporter ohne Grenzen appellierte an Steinmeier, sich für die Freilassung inhaftierter Medienschaffender einzusetzen.

Eine besondere Herausforderung wird das Thema Gaza-Krieg werden, bei dem Berlin und Ankara völlig konträre Positionen einnehmen. Auf deutscher Seite sorgt Erdogans Haltung zur islamistischen Hamas für Irritationen. Die Palästinenserorganisation ist für das Massaker am 7. Oktober in Israel verantwortlich – doch Erdogan bezeichnet sie als Befreiungsorganisation. Dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wirft er ein «Massaker» im Gazastreifen vor, vergleicht ihn auch schon mal mit Adolf Hitler. Unmittelbar vor Steinmeiers Ankunft traf sich Erdogan am Wochenende ausgerechnet mit Hamas-Auslandschef Ismail Hanija.

Über 3 Millionen türkischstämmige Deutsche

In Berlin wie Ankara wird aber betont, dass sich Steinmeier und Erdogan gut kennen. «Meine Freundschaft mit Steinmeier reicht Jahre zurück», sagte Erdogan mit Blick auf den Besuch. Beide Politiker können also auch Klartext miteinander sprechen.

Und sie müssen miteinander sprechen, denn die Bande zwischen beiden Ländern sind eng. Nach dem Abschluss eines Anwerbeabkommens 1961 kamen laut Auswärtigem Amt etwa 876.000 Menschen aus der Türkei nach Deutschland. Viele blieben für immer, holten ihre Familien nach. Heute leben in Deutschland fast drei Millionen Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte.

Die enge Verbindung wurde auch nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien im Februar vergangenen Jahres deutlich. Allein in der Türkei starben nach offiziellen Angaben mehr als 53.000 Menschen. Die Bundesregierung sagte beiden Ländern damals eine Erdbebenhilfe von 238 Millionen Euro zu. Zudem wurden in einem beschleunigten und vereinfachten Verfahren mehr als 17.000 Visa für vom Erdbeben betroffene Türkinnen und Türken ausgestellt, damit diese vorübergehend oder im Rahmen des Familiennachzugs auch dauerhaft nach Deutschland kommen konnten. Ein Besuch im Erdbebengebiet steht auch auf Steinmeiers Reiseprogramm.

dpa