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Steinmeier macht Weg für Neuwahl frei

Die Ampel-Koalition zerbrochen, keine neue, stabile Mehrheit in Sicht, Deutschland in der Regierungskrise. Für den Bundespräsidenten gibt es nur einen Ausweg.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue. (Archiv)
Foto: Carsten Koall/dpa

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Bundestag aufgelöst und den Weg für Neuwahlen freigemacht. Die Neuwahlen sollen am 23. Februar nächsten Jahres stattfinden, wie Steinmeier in Berlin bekanntgab. Dies war eine Reaktion auf das Scheitern der Ampel-Koalition im November und die verlorene Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag kurz vor Weihnachten.

Politische Stabilität sei in Deutschland ein hohes Gut, die Auflösung des Bundestages vor dem Ende der Legislaturperiode und vorgezogene Neuwahlen seien der Ausnahmefall, sagte Steinmeier im Schloss Bellevue. «Aber gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt braucht es für Stabilität eine handlungsfähige Regierung und verlässliche Mehrheiten im Parlament.» 

«Neuwahlen jetzt der richtige Weg»

«Die jetzige Regierung verfügt ausweislich der Abstimmung über die Vertrauensfrage über keine Mehrheit mehr, aber auch für eine anders zusammengesetzte Regierung habe ich in den Gesprächen keine Mehrheiten erkennen können. Deshalb bin ich überzeugt, dass zum Wohle unseres Landes Neuwahlen jetzt der richtige Weg sind», sagte Steinmeier. Das Grundgesetz habe für diese Situation Vorkehrungen getroffen. Der Bundestag arbeite weiter bis sich ein neuer Bundestag konstituiert habe. «Unsere Demokratie funktioniert, auch in Zeiten des Übergangs.»

«Problemlösen muss wieder Kerngeschäft der Politik werden»

Steinmeier wies auf die lange Auseinandersetzung über das Ob und Wie einer Neuwahl und auf den nun bevorstehenden Wahlkampf hin. Anschließend werde es an der Zeit sein, «dass das Problemlösen wieder zum Kerngeschäft von Politik wird». Dies erwarteten die Menschen. Sie erwarteten tragfähige Vorschläge für eine gute Zukunft und für ein Land, das sich in schwieriger Zeit behaupten könne. Steinmeier sagte, er glaube, die Menschen verstünden, dass auch schmerzhafte Wahrheiten dazugehörten.

Die nächste Bundesregierung habe große Aufgaben vor sich, sagte Steinmeier. «Deshalb muss es in den kommenden Wochen um die besten Lösungen gehen für Herausforderungen unserer Zeit.» Er nannte die wirtschaftlich unsichere Lage, die Unternehmen in Schwierigkeiten bringe und Arbeitsplätze gefährde, die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine mit ihren Auswirkungen auch in Deutschland, die drängenden Fragen der Steuerung von Zuwanderung und Integration, den Klimawandel sowie das friedliche und sichere Zusammenleben in unserem Land. 

«Respekt und Anstand im Wahlkampf» 

Die Debatte über die besten Lösungen könne natürlich auch mit Zuspitzungen und Schärfe geführt werden, gerade im Wahlkampf. «Das verträgt unsere freiheitliche Demokratie oder mehr noch, sie braucht den Wettstreit der Ideen», sagte Steinmeier. «Aber ich erwarte, dass dieser Wettstreit mit Respekt und mit Anstand geführt wird – schon allein deshalb, weil nach der Wahl die Kunst des Kompromisses gefragt sein wird, um eine stabile Regierung zu bilden.»

Er wandte sich gegen Einflussversuche von außen. Auch dürfe im Wahlkampf Gewalt und nichts, was sie vorbereite, keinen Platz haben. «Verunglimpfung, Einschüchterung, Gewalt – all das ist Gift für die Demokratie. All das beschädigt unsere Demokratie. Wir müssen Gewalt ächten! Das erwarte ich von allen, die sich um Verantwortung bewerben.»

Ampel-Aus und verlorene Vertrauensfrage

Bundeskanzler Scholz stellte am 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage, nachdem die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP im November nach nur etwa drei Jahren zerbrochen war. Scholz erhielt für seinen Antrag – wie beabsichtigt – keine Mehrheit. Daraufhin bat er Steinmeier, den Bundestag aufzulösen, um den Weg für eine Neuwahl freizumachen.

Bundespräsident ist Herr des Verfahrens

Gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes hat der Bundespräsident die Befugnis, den Bundestag auf Vorschlag des Bundeskanzlers innerhalb von 21 Tagen aufzulösen, wenn dieser die Vertrauensfrage nicht besteht. Artikel 39 bestimmt, dass die Neuwahl innerhalb von 60 Tagen stattfinden muss.

Steinmeier nahm sich nur 11 Tage Zeit für seine Entscheidung. Nach der Entscheidung des Bundestages über die Vertrauensfrage führte er Gespräche mit den Vorsitzenden der Fraktionen und Gruppen, um zu prüfen, ob es noch einen Weg zu einer stabilen politischen Mehrheit im Bundestag gibt.

Vorzeitige Auflösung des Bundestages ist Ausnahme

Der vorzeitige Auflösung des Bundestages ist ein äußerst seltener Fall in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Vertrauensfrage von Scholz war erst die sechste seit 1949. In drei Fällen endete danach die Wahlperiode vorzeitig. Dies betraf die Kanzler Willy Brandt (SPD) 1972, Helmut Kohl (CDU) 1982 und Gerhard Schröder (SPD) 2005.

Schröder stellte bereits im Jahr 2001 die Vertrauensfrage, jedoch nicht, um sie zu verlieren. Vielmehr wollte er seine in Teilen widerspenstige rot-grüne Koalition für die Beteiligung der Bundeswehr am Anti-Terror-Kampf in Afghanistan gewinnen.

Ähnlich disziplinierend war die Vertrauensfrage von Helmut Schmidt (SPD) im Jahr 1982, mit der er die Zustimmung der SPD/FDP-Koalition zu seiner Sicherheits- und Arbeitsmarktpolitik erzwingen wollte. Beide SPD-Kanzler erhielten das Vertrauen, der Bundestag wurde nicht aufgelöst.

Parteien vor intensivem Winterwahlkampf

Die Parteien bereiten sich intensiv auf die Neuwahl vor. Freie Wochenenden wird es für die Wahlkämpfer bis zum Wahltag kaum noch geben. So wollen SPD und AfD am Wochenende 11./12. Januar ihre Kanzlerkandidaten endgültig bestimmen und die Wahlprogramme verabschieden. Am 26. Januar findet der Parteitag der Grünen statt, am 3. Februar der CDU, am 8. Februar der CSU und am 9. Februar der FDP.

Am 9. Februar wird es abends in ARD und ZDF auch das erste Fernsehduell zwischen SPD-Kanzler Scholz und seinem CDU-Herausforderer Friedrich Merz geben. Eine Woche später hat RTL die beiden Kontrahenten ins Fernsehstudio eingeladen. Die voraussichtlich letzte Sitzung des Bundestags vor der Wahl wird am 11. Februar stattfinden, bei der es zur Generaldebatte kommen wird.

Klagen gegen Bundestagsauflösung eher unwahrscheinlich

Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass Abgeordnete gegen die Auflösung des Bundestags vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werden. Nach der Parlamentsauflösung 1982 und 2005 taten dies einzelne Politiker, die sich in ihren Abgeordnetenrechten verletzt sahen. Sie waren jedoch nicht erfolgreich. Kohl und Schröder hatten jeweils eine Mehrheit im Bundestag und wollten mit ihrer fingierten und daher umstrittenen Vertrauensfrage nur Neuwahlen erzwingen. Das wollte auch Scholz – ihm war jedoch durch den Ampel-Crash die Mehrheit verloren gegangen.

Neuer Bundestag wird erheblich kleiner

Unabhängig davon, wie die Wahl ausgehen wird, steht fest: Der neue Bundestag wird sich erheblich von seinem Vorgänger unterscheiden. Vor allem wird er viel kleiner. Denn durch die aktuelle Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition wird die Anzahl der Sitze auf 630 begrenzt. Dies wird hauptsächlich durch den Wegfall von Überhang- und Ausgleichsmandaten erreicht. Im Vergleich dazu waren im Jahr 2021 noch 735 Abgeordnete in den Bundestag gewählt worden.

Und viele bekannte Gesichter werden in Zukunft nicht mehr im Reichstagsgebäude zu sehen sein. Der zurückgetretene SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, die Bundestagsvizepräsidentinnen Yvonne Magwas (CDU) und Petra Pau (Linke) sowie die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) sind nur vier von vielen Abgeordneten, die nicht erneut antreten werden.

dpa