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Deutschland hat neuen Kanzler Merz – Start mit Hindernissen

Merz im zweiten Wahlgang gewählt, Kritik an Schuldenbremse, hohe Erwartungen an neue Regierung.

Deutschland hat einen neuen Kanzler.
Foto: Kay Nietfeld/dpa

Es war ein holpriger Start, aber am Ende hat es doch noch geklappt: Etwa zehn Wochen nach der vorgezogenen Bundestagswahl wurde Friedrich Merz zum neuen Kanzler Deutschlands ernannt. Er tritt die Nachfolge des SPD-Politikers Olaf Scholz an, dessen Ampel-Koalition mit den Grünen und der FDP vor einem halben Jahr zerbrochen ist.

Doch so wackelig hat in Deutschland noch nie eine Kanzlerschaft begonnen: Merz wurde erst im zweiten Wahlgang gewählt. Im ersten Anlauf rasselte er im Bundestag durch, es fehlten sechs Stimmen für eine Mehrheit. Mindestens 18 Abgeordnete der Koalitionsfraktionen Union und SPD gaben dem CDU-Chef nicht ihr «Ja».

Am Ende neun Stimmen Vorsprung

Auch der 69-Jährige zeigte als erstes Erleichterung und nicht etwa ungetrübte Freude auf seinem Gesicht, als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner das Ergebnis des mühsam durchgesetzten zweiten Wahlgangs verkündete. Dieses Mal hatte er mit 9 Stimmen Vorsprung die Mehrheit – obwohl noch nicht alle 328 Stimmen von Union und SPD für Merz abgegeben wurden.

Trotz der Kanzlerwahl wird Merz wahrscheinlich einen bitteren Beigeschmack behalten, wenn er an diesen Tag zurückdenkt, der als der bisher größte in seiner politischen Laufbahn gelten sollte. Es ist anzunehmen, dass das Geschehene zumindest einen dunklen Schatten auf den Beginn seiner Kanzlerschaft werfen wird.

Geht Merz nun geschwächt ins Amt?

Die Erwartungen an eine neue deutsche Regierung sind hoch – im Inland, aber in diesen Zeiten vor allem auch im Ausland. Hierzulande hoffen die Menschen vor allem auf die Ankurbelung der seit langem schwächelnden Wirtschaft. Dafür muss schnell ein Haushalt beschlossen werden.

Merz geht nun geschwächt an diese Aufgaben. Muss er von jetzt an bei jeder Abstimmung um die Mehrheit zittern? Nein, so wird das nicht sein. Nur Personenwahlen sind geheim, über Sachfragen stimmt der Bundestag offen per Handzeichen oder namentlich ab. Anonyme Abweichler wird es dann nicht mehr geben. Wer ein Problem mit Merz oder der Koalition hat, muss sich künftig bekennen.

Im Ausland wird Merz‘ Fehlstart wahrscheinlich wahrgenommen, aber wahrscheinlich auch schnell abgehakt werden wollen. Die Verbündeten in der EU warten sehnsüchtig darauf, dass Deutschland als wirtschaftsstärkstes und bevölkerungsreichstes Land in Europa wieder voll handlungsfähig ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des radikalen Kurswechsels in der US-Außenpolitik unter Präsident Donald Trump sowie der Bedrohung durch Russland und den Wettbewerb mit China.

Merz hat Erfahrung mit zweiten Anläufen

Merz hat bereits viele Rückschläge erlebt. Nach dem Aufstieg von Angela Merkel verließ er frustriert die Politik, da er unter ihr keine berufliche Perspektive sah. Sein Comeback an die Spitze der Partei gelang erst im dritten Anlauf, nachdem er zwei Kampfkandidaturen verloren hatte. Dennoch ist er immer wieder aufgestanden. Und hat es nun doch ins Kanzleramt geschafft.

Union und SPD haben große Pläne und möchten nun zügig zur Arbeit übergehen. Der scheidende Kanzler Scholz beabsichtigt, seine Amtsgeschäfte noch am Abend an Merz zu übergeben. Dies ist auch in einigen Ministerien geplant, in anderen erst morgen früh. Die erste Kabinettssitzung ist für den späten Abend geplant. Als erster Beschluss steht die im Koalitionsvertrag zugesagte Streichung von Beauftragten und Koordinatoren an – als Signal dafür, dass es mit dem Bürokratieabbau ernst gemeint ist.

Denkzettel oder Begleichung alter Rechnungen?

Doch im Hinterkopf bleibt die Frage: Warum ging der Start so schief? Union und SPD hatten vor der Sitzung eigentlich mit voller Zustimmung für Merz gerechnet. An der SPD habe es nicht gelegen, versicherte die SPD auch sofort nach dem Debakel. «Auf uns ist Verlass», betonte der designierte Vizekanzler Lars Klingbeil nach Angaben aus Fraktionskreisen. Doch die Wahl war geheim, überprüfen lässt sich das Abstimmungsverhalten also nicht. 

CSU-Chef Markus Söder warnte die Abgeordneten von Union und SPD davor, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Spielchen, Denkzettel oder die Begleichung alter Rechnungen sei. Die Wahl des Kanzlers betreffe nicht nur eine Person, sondern eine gesamte Regierung.

Reicht Merz‘ Glaubwürdigkeits-Kredit?

Merz hatte jedoch in den Reihen der Union auch einen teilweise heftig spürbaren Frust ausgelöst, als er nur Tage nach der Bundestagswahl eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben ins Gespräch brachte. Dies geschah, obwohl seine Partei im Bundestagswahlkampf den Eindruck erweckt hatte, fest zur Schuldenbremse zu stehen.

Seitdem sinken Merz‘ Beliebtheitswerte in Umfragen, Wähler fühlen sich betrogen – und auch in der Fraktion zeigten sich manche angefasst. Der 69-Jährige selbst räumte öffentlich ein: «Ich weiß, dass ich jetzt einen sehr hohen Kredit in Anspruch genommen habe, auch was meine persönliche Glaubwürdigkeit betrifft.» Diesen Kredit muss er nun als Kanzler zurückzahlen.

dpa