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Stoppt Karlsruhe noch die Bundestag-Sondersitzungen?

Um Milliarden für Infrastruktur und Verteidigung zu beschließen, soll der alte Bundestag noch zweimal zusammenkommen. Werden dadurch Rechte der Abgeordneten verletzt? Berlin schaut nach Karlsruhe.

Beim Bundesverfassungsgericht waren mehrere Klagen gegen die Bundestag-Sondersitzungen eingegangen. (Archivbild)
Foto: Uli Deck/dpa

Die Pläne von Union und SPD, ein milliardenschweres Verteidigungs- und Infrastrukturpaket mit zusätzlichen Schulden zu finanzieren, befinden sich in der Schwebe. Es ist unklar, ob im Bundestag eine Mehrheit dafür gefunden wird. Allerdings könnte das Vorhaben auch rechtlich von höchster Stelle gestoppt werden. Beim Bundesverfassungsgericht liegen mehrere Anträge vor, darunter von AfD und Linken. Diese richten sich unter anderem gegen die für diesen Donnerstag geplante erste von zwei Sondersitzungen des Parlaments. Eine Entscheidung wird noch vorher erwartet.

Worum geht es?

Während ihrer Sondierungen für eine potenzielle zukünftige Koalition hatten Union und SPD vereinbart, ein schuldenfinanziertes Sondervermögen für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro sowie eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben einzuführen. Die Umsetzung dieser Pläne erfordert Grundgesetzänderungen, für die im Bundestag und Bundesrat Zwei-Drittel-Mehrheiten erforderlich sind.

Im neuen Bundestag – der spätestens am 25. März erstmals zusammentreten muss – könnte eine solche Mehrheit nur mit den Stimmen der Linken oder der AfD erreicht werden. Daher planen CDU, CSU und SPD, das Finanzpaket noch im alten Bundestag zu verabschieden. Auf Wunsch ihrer Fraktionen hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zu Sondersitzungen des alten Parlaments für diesen Donnerstag und den kommenden Dienstag eingeladen.

Wer klagt dagegen?

Es gibt mehrere Klagen gegen die geplanten Sondersitzungen beim Bundesverfassungsgericht. Sowohl die AfD-Fraktion als auch die zukünftige Linksfraktion haben Organstreitverfahren eingeleitet und möchten mit Eilanträgen eine einstweilige Anordnung erwirken. Auch die fraktionslose Bundestagsabgeordnete Joana Cotar (ehemals AfD) sowie fünf AfD-Abgeordnete haben entsprechende Anträge gestellt. Es gibt auch eine Verfassungsbeschwerde in dieser Angelegenheit, deren Einreicher zunächst unklar bleibt.

Wie argumentiert die AfD? 

In ihrem 85 Seiten langen Antrag an das Gericht argumentieren die Anwälte der AfD-Fraktion, dass die Einberufung des alten Bundestags schon formal nichtig sei. Nach Artikel 39 Grundgesetz können Bundestagspräsidenten das Parlament zu Sondersitzungen einberufen, wenn ein Drittel der Abgeordneten dies verlangt. Die Bundestagspräsidentin hatte das auf Verlangen der Fraktionen von Union und SPD getan, die zusammen mehr als ein Drittel der Abgeordneten stellen.

Laut AfD sind Fraktionen nicht dazu berechtigt, ein Verlangen nach Artikel 39 des Grundgesetzes zur Einberufung des Bundestags zu stellen. Es müssen vielmehr konkrete, handschriftlich unterzeichnete Verlangen von mindestens einem Drittel aller Abgeordneten vorliegen.

Der alte Bundestag hat laut AfD nicht mehr die demokratische Legitimation, über so wichtige Dinge wie Verfassungsänderungen zu entscheiden, wenn bereits ein neues Parlament mit anderen Mehrheiten gewählt wurde. Die Einberufung des alten Bundestages verletzt die Rechte der neuen Abgeordneten.

Wie argumentiert die Linke?

Die Linke sieht auch eine Verletzung der Rechte neuer Abgeordneter. Juristisch argumentiert sie vereinfacht gesagt so: Sobald der Bundeswahlausschuss am Freitag das Ergebnis der Bundestagswahl offiziell feststellt, müsse sofort der neue Bundestag einberufen werden, wenn wirklich auf die Schnelle etwas zu entscheiden sei. Sondersitzungen des alten Parlaments seien dann nicht mehr zulässig.

Im alten Bundestag war die Linke nur mit 28 Mandaten vertreten, im neuen sind es jedoch 64. In Zukunft werden ihre Stimmen – oder die der AfD – für Verfassungsänderungen benötigt. Ihr politisches Ziel ist es, mitzubestimmen und die Schuldenbremse vollständig aufzuheben oder zumindest umfassend zu reformieren. Dadurch soll mehr Geld in die Infrastruktur fließen – insbesondere in den Wohnungsbau, Gesundheitseinrichtungen und Schulen, wie es die Linke wünscht. Die Linke lehnt es ab, Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen.

Was ist ein Organstreitverfahren?

Wenn es zu einer Auseinandersetzung über ihre Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz zwischen den obersten Bundesorganen kommt, haben Betroffene die Möglichkeit, beim Bundesverfassungsgericht ein Organstreitverfahren einzuleiten. Diese Option steht auch einzelnen Bundestagsabgeordneten, Parteien oder Fraktionen offen. Die Antragsteller müssen geltend machen, dass ihre verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten durch ein anderes Bundesorgan verletzt oder gefährdet werden.

Was ist ein Eilantrag?

Bis das Bundesverfassungsgericht über eine Klage entscheidet, können oft Monate oder sogar Jahre vergehen. Wenn es schnell gehen muss, kann das Gericht auf Antrag aber auch einstweilige Anordnungen erlassen. Solche vorläufigen Regelungen sollen verhindern, dass schon Fakten geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig zu machen wären, wenn die Karlsruher Richterinnen und Richter später im Hauptverfahren anders entscheiden sollten. Mit einer solchen Anordnung hatte das Gericht 2023 etwa die Verabschiedung des umstrittenen Heizungsgesetzes im Bundestag gestoppt. Im Hauptverfahren steht eine Entscheidung darüber bis heute aus.

dpa