Streit um Asyl, Forderungen nach Veränderungen und rot-grüner Gesetzentwurf zur AfD-Kleinmachung. Einblicke in Talkrunde von sechs Parteien.
Migration und Flüchtlingspolitik im Fokus vor Bundestagswahl
Fokus Migration: Auch eine Talkrunde von sechs kleineren Parteien gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl ist von Zuwanderung und Flucht bestimmt worden. Scheinbar unversöhnlich prallten in der ZDF-Sendung «Schlagabtausch» Forderungen nach radikalen Veränderungen auf die Verteidigung bereits beschlossener Reformen. Auch die Wirtschaft und das Soziale liegen den vertretenen kleineren Parteien nach Auskunft ihrer Spitzen am Herzen – wie auf die Frage nach dem drängendsten Thema direkt nach der Wahl deutlich wurde.
Der Streit der Kleineren um Asyl
Angesichts des Streits um Asyl schlug der FDP-Vorsitzende Christian Lindner einen «parteiübergreifenden Schulterschluss» ohne und gegen die AfD vor. Unionspositionen sollten in einen rot-grünen Gesetzentwurf eingearbeitet werden. So könne man die AfD kleinmachen. «Die AfD wird man nicht kleinmachen mit Lichterketten», ergänzte Lindner an die Adresse von Grünen-Chef Felix Banaszak. «Die AfD macht man nur klein, indem man Probleme kleinmacht, die diese Partei einst groß gemacht haben.»
Banaszak entgegnete: «Die AfD macht man vor allem nicht klein, indem man die Geschichten und die Narrative übernimmt, die diese Partei seit Jahren durchs Land treibt.» Der Grünen-Chef kritisierte damit Forderungen nach einem schärferen Asylkurs bei anderen Parteien. Vergangene Woche hatte die Union erst mit Stimmen der AfD einen Bundestagsbeschluss für einen härteren Migrations-Kurs durchgesetzt. Für den Antrag stimmte auch die überwiegende Zahl der FDP-Abgeordneten. Ein CDU/CSU-Gesetzentwurf zur Begrenzung der Migration scheiterte daraufhin aber im Parlament.
Grünen-Chef verteidigt Kanzlerkandidaten
Ein umstrittenes Migrationspapier von Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck wurde vom Parteichef verteidigt. Es sei Ausweis dafür, dass die Grünen um Differenzierung bemüht seien. Habeck hatte in einer «Sicherheitsoffensive» mehr Abschiebungen gefordert. Banaszak sagte, die Migrationsdebatte gehöre «raus aus der Zuspitzung». Deutschland brauche nicht nur ausländische Fachkräfte, sondern könne auch Menschen aufnehmen, «die auf der Suche nach Schutz sind, weil sie vor Bomben, vor Hunger, vor Bedrohung fliehen».
Banaszak widersprach der Position, dass das Asylsystem komplett neu gestartet werden müsse. Er wies auf das europäische Asylsystem hin, das im vergangenen Frühjahr nach langen Verhandlungen von den EU-Mitgliedern beschlossen wurde und ab 2026 in Kraft treten soll.
Parteien warnen vor wachsender Überforderung
Die Mitbegründerin der BSW, Sahra Wagenknecht, wies erneut auf das Grundgesetz hin, das nur denen Asyl gewährt, die nicht aus einem sicheren Drittstaat kommen. Gemäß dem EU-weiten Dublin-Verfahren ist in der Regel das europäische Land für einen Flüchtling zuständig, über das er in die EU eingereist ist. Wagenknecht betonte, dass nur Privilegierte diesen Grundsatz bestreiten könnten, die nicht betroffen seien. Denn die Systeme für die Gesundheitsversorgung oder die öffentliche Sicherheit seien überlastet.
Auch Lindner, AfD-Chef Tino Chrupalla und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt beklagten eine Überforderung vieler Kommunen bei der Zuwanderung. Wagenknecht nannte als Beispiel den Wohnungsmarkt: «Jede neue Sozialwohnung bekommt eher eine Zuwandererfamilie. Das ist für die Menschen, die eine Sozialwohnung brauchen, eine richtig harte Situation.» Aus Sicht des Linke-Vorsitzenden Jan van Aken liegt die Überforderung hingegen daran, dass die Kommunen «kaputtgespart» worden seien.
Dobrindt: Illegale Migration überall im Alltag spürbar
Dobrindt sagte: «Wir sind ein weltoffenes Land.» Doch für jene, die nicht Teil der Gesellschaft sein wollten, müsse diese sagen können: «Sie müssen dieses Land auch wieder verlassen.» Ständig – so der CSU-Politiker – sei die Realität der Menschen mit der illegalen Migration konfrontiert – «im Kindergarten, in der Schule, am Bahnhof, am Marktplatz». Die Zahlen seien zu hoch.
Wagenknecht sagte in Anspielung auf den tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg, «schreckliche Dinge» geschähen, weil die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zu hoch sei.
Schlagabtausch Wagenknecht – van Aken
Heftig geriet Wagenknecht mit dem Chef ihrer ehemaligen Partei Die Linke aneinander. Van Aken sagte: «In Deutschland leben über 21 Millionen Menschen mit einer Migrationsgeschichte. Wenn die hier zugucken, fragen sie sich: Ist das überhaupt noch das Land, in dem ich leben kann?» Der Linke-Politiker erzählte von eigenen Freunden mit ausländischen Wurzeln, die verunsichert seien – sie sagten: «Alle hetzen gegen jede Art von Migration.» Seinen Mitkonkurrenten warf van Aken vor, ein KIima der Unsicherheit für Millionen zu schaffen.
Wagenknecht entgegnete, das wirkliche Problem sei «dieses Wegreden dessen, was die Menschen real in ihrem Leben sehen an Problemen und täglich erleben». Wagenknecht: «Die These, dass die Debatte über Migration verantwortlich dafür ist, dass es Probleme gibt, das ist so was von absurd.» Wer diese wegrede, lebe «jenseits der Realität der Menschen».
Und was wollen die Parteien für die Wirtschaft?
Mit der Sozialpolitik und der Wirtschaft kamen auch zwei andere Felder ausführlicher zur Sprache. Auf die Frage nach dem Thema, das «an Tag eins nach der Wahl» oben stehe, nannte Lindner eine Wirtschaftswende. Denn für alles andere brauche es ein stabiles wirtschaftliches Fundament. Auch Dobrindt zählte mehr wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu seinen Kernanliegen.
Für Banaszak waren dies Investitionen in Infrastruktur, Schulen und Kitas und Klimaschutz. AfD-Chef Tino Chrupalla stellte ins Zentrum, dass die Energiepreise gesenkt werden müssten und nannte etwa russisches Gas und Kernenergie als Mittel. Van Aken stellte einen Mietendeckel ganz nach vorn, denn Mieten seien das «große soziale Problem unserer Zeit».
Auch die Außenpolitik wurde gestreift. Anstatt Geld für «immer mehr Waffen» auszugeben, brauche es das für Schulen, Krankenhäuser, Renten, sagte Wagenknecht. Chrupalla forderte diplomatische Bemühungen gegen Russlands Krieg in der Ukraine und generell eine Friedenspolitik.
Und als Nächstes folgt das Duell
Moderator Andreas Wunn meinte zum Schluss, es sei ihm ganz gut gelungen, die Runde im Zaum zu halten. Am Sonntag – zwei Wochen vor der Wahl – treffen dann Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bei ARD und ZDF in 90 Minuten zusammen. Dann heißt es: «Das TV-Duell – Scholz gegen Merz».