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Streit um Habeck-Vorstoß zu Sozialabgaben auf Kapitalerträge

Anleger sollen Sozialabgaben auf Kapitaleinkünfte zahlen – so will es der Grünen-Spitzenkandidat. Das soll Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlasten. Prompt flammt im Wahlkampf Kritik auf.

Robert Habeck hat sich etwas für die Verteilung der Soziallasten in Deutschland ausgedacht. (Archivbild)
Foto: Swen Pförtner/dpa

Aktienanleger sollen nach einem Vorstoß von Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck für die Sozialversicherung in Deutschland herangezogen werden. Ihre Einkünfte aus Kapitalerträgen sollen somit künftig auch der Finanzierung beispielsweise der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dienen. «Warum soll eigentlich Arbeit höher belastet sein als Einkommen durch Kapitalerträge?», sagte Habeck in der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin». Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl kamen prompte Reaktionen – nicht nur positive.

Die Parteiführer von CSU und FDP warfen Habeck vor, in die Taschen der Menschen zu greifen. Auch die SPD, der Koalitionspartner, lehnte den Vorschlag des grünen Wirtschaftsministers ab. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) warnte vor möglichen negativen Auswirkungen auf die Mittelschicht. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hingegen begrüßte Habecks Äußerung als Idee für mehr Gerechtigkeit.

TK-Chef befürchtet weiteren Anstieg der Beiträge

Habeck kündigte an, die Grünen «würden gern die Beitragsgrundlage erhöhen». Er kritisierte, dass Kapitalgewinne bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt seien. Habeck war auf Warnungen von TK-Chef Jens Baas angesprochen worden. Der Chef der Techniker Krankenkasse hatte in der «Süddeutschen Zeitung» prophezeit, ohne politisches Eingreifen drohe in diesem Jahrzehnt bei den Kassen ein Beitragsanstieg auf 20 Prozent.

Laut dem Bund der Steuerzahler wird ein durchschnittlicher Arbeitnehmer-Haushalt in Deutschland im Jahr 2024 52,6 Prozent seines Einkommens an den Staat zahlen. Von einem Euro an Arbeitseinkommen bleiben somit 47,4 Cent übrig. 31,7 Cent entfallen auf Sozialabgaben, der Rest auf Steuern und Umlagen.

SPD, CSU und FDP: Kein Griff in die Altersvorsorge der Bürger

Gesundheitsminister Karl Lauterbach reagierte mit einem Gegenvorschlag. «Bevor wir bei GKV Versicherten auch noch die Rücklagen für das Alter mit Beiträgen belasten, sollten wir privat Versicherte an Solidarität beteiligen», schrieb der SPD-Politiker auf der Plattform X. «Sie zahlen für Familien, Arbeitslose, Geringverdiener, Menschen mit Behinderung nicht mit. Das ist falsch.»

Aus der CSU kam deutliche Kritik: «Die Grünen wollen nicht nur höhere Steuern. Jetzt wollen sie auch noch ans Sparguthaben der Menschen und ihre Erträge ran», sagte Parteichef Markus Söder der Deutschen Presse-Agentur. «Das lehnen wir grundlegend ab.» Auf schon einmal versteuertes Geld dürfe nichts mehr erhoben werden.

Wen würde es betreffen?

FDP-Chef Christian Lindner warnte vor einem «Abkassieren der Mittelschicht in Deutschland». Habeck nehme damit auch eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Kauf, sagte Lindner den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

Der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann rechnete vor, dieser «große Habeck-Klau» könne sogar für kleine Sparraten sechsstellige Minderungen ihrer Erträge bedeuten. «Das halte ich für verantwortungslos.» SdK-Vorstandschef Daniel Bauer sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: «Millionäre und Milliardäre würde dies nicht treffen, da die Krankenversicherungsbeiträge eben durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind.»

Grüne: «Großzügige Freibeträge» angedacht

Grünen-Wahlkampfleiter Andreas Audretsch sagte: «Es ist ungerecht, wenn eine Alleinerziehende in Teilzeit oder ein Polizist mehr zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beiträgt als jemand, der sehr viel Geld im Aktienhandel verdient.» Auch für Unternehmen sei es gut, wenn wir die Beitragssätze so gering wie möglich halten, sagte er.

Felix Banaszak, der Chef der Grünen, betonte, dass es um mehr Gerechtigkeit gehe. «Es geht hier nicht um den Kleinsparer. Für Kleinsparer ändert sich nichts.» Dafür sollten «sehr großzügige Freibeträge» sorgen. Zahlen nannte Banaszak nicht.

Im Gegensatz zu den Sozialbeiträgen werden in Deutschland Kapitalerträge bei der Einkommenssteuer bereits berücksichtigt. Sie werden gemäß Kapitalertragsteuer mit 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag versteuert – über einem Freibetrag von 1.000 Euro.

Hohe Sozialabgaben – Weniger Ungleichheit

Im Fokus des Bundestagswahlkampfs steht bisher vor allem, wie die Wirtschaftsflaute und diverse Belastungen in Deutschland eingedämmt werden könnten. So hatte AfD-Chefin Alice Weidel kürzlich gesagt, der «normale deutsche Arbeitnehmer» arbeite mindestens zur Hälfte für den Staat. Tatsächlich wird seit Jahren kontrovers debattiert, wie die Milliardenkosten, die für die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland anfallen, auf Beschäftigte und Arbeitgeber verteilt werden sollen.

Forscher haben festgestellt, dass in Staaten mit höheren Sozialausgaben eine geringe Kluft zwischen dem reichen Bevölkerungsanteil und Menschen mit durchschnittlichem Vermögen besteht. Der aktuelle Verteilungsreport 2024 des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt den Zusammenhang: Der Vermögensanteil der in Bezug auf das Einkommen unteren Hälfte der Bevölkerung ist demnach in den Staaten deutlich höher, in denen auch die «Sozialschutzausgaben pro Einwohner» höher liegen.

Sozialverband: Kleine Sparguthaben sollen frei bleiben

Zu Jahresbeginn hatten die meisten der 94 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland ihren Zusatzbeitrag kräftig auf durchschnittlich 2,91 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens erhöht. Dieser wird zusätzlich zum allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns erhoben. Angesichts dieser Situation gab die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier Habeck Rückendeckung.

Für die Finanzierung der Krankenkassen müssten auch andere Einkünfte als heute einbezogen werden, sagte Engelmeier der Funke Mediengruppe. «Aber: Dabei muss darauf geachtet werden, dass etwa Einkünfte aus kleinen Sparguthaben beitragsfrei bleiben.» Insbesondere die zuletzt immer stärker gestiegenen Zusatzbeiträge belasteten niedrige und mittlere Einkommen stark, sagte Engelmeier. Kassenbeiträge auf Kapitalgewinne wären dagegen solidarisch.

Und was sagen die Krankenkassen?

Die Krankenkassen zeigten ein bestimmtes Verhalten. «Die Frage, welche Einkunftsarten für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die immerhin 90 Prozent der Bevölkerung versichert und versorgt, herangezogen werden, erfordert eine gesellschaftspolitische Antwort», sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, der dpa.

dpa