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Stunde der Wahrheit für die Renten-Rebellen

Der Rentenstreit ist längst zur Existenzfrage für die schwarz-rote Koalition geworden. Was machen die 18 Rebellen der Union? Am Dienstag um 15 Uhr schlägt für sie die Stunde der Wahrheit.

Der JU-Vorsitzende Johannes Winkel gehört zu den Spitzenleuten der Jungen Gruppe. (Archivbild)
Foto: Michael Kappeler/dpa

Am Nachmittag müssen die Rentenrebellen der Union in einer Probeabstimmung während der Sitzung der Bundesfraktion ihre Position offenlegen. Die Fraktionsführung möchte durch die Abstimmung feststellen, wie viele Abweichler sie bei einer Entscheidung im Bundestag erwarten kann.

Die schwarz-rote Koalition hat im Parlament eine Mehrheit von zwölf Stimmen. Die Junge Gruppe, die seit Monaten gegen das Rentenpaket kämpft, umfasst 18 Abgeordnete. Das bedeutet, dass die Koalition aus CDU, CSU und SPD ohne sie keine sichere Mehrheit hat.

Das Problem

Die Junge Gruppe lehnt das Rentenpaket ab, das von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) geschnürt und von der Bundesregierung beschlossen wurde. Das angestrebte Rentenniveau von 48 Prozent über 2031 hinaus würde nach ihrer Überzeugung unannehmbare Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe verursachen.

Die Spitzen von Union und SPD haben sich am Freitag im Koalitionsausschuss darauf geeinigt, den Gesetzentwurf nicht mehr zu ändern. Sie haben jedoch ein Kompromissangebot unterbreitet: Die bereits beschlossene Rentenkommission soll noch in diesem Jahr mit den Vorbereitungen für eine umfassende Reform beginnen, bis Mitte 2026 Vorschläge vorlegen und auch mit Vertretern der jungen Generation besetzt werden – beispielsweise aus der Jungen Gruppe der Union. Darüber hinaus soll sie auch Themen behandeln, die bisher für die SPD tabu waren, wie beispielsweise ein späteres Renteneintrittsalter als 67.

Die Ausgangsposition der Jungen

Der Jungen Gruppe reicht das Kompromissangebot nicht aus. Nach drei Tagen Bedenkzeit veröffentlichte sie am Montag ein Positionspapier, in dem das Gesetz nach wie vor als «nicht zustimmungsfähig» bezeichnet wird. Den Mitgliedern der Gruppe wird aber das Abstimmungsverhalten freigestellt. 

«Allen frei gewählten Abgeordneten kommt eine eigene staatspolitische Verantwortung zu», heißt es in dem Papier. Diese umfasse die Rücksicht auf den Koalitionsfrieden, aber auch auf die finanzielle Stabilität des Landes. «Vor diesem Hintergrund wird jedes Mitglied der Jungen Gruppe die Argumente abwägen und eine Entscheidung treffen.» 

Das bedeutet konkret: Die jungen Leute müssen jetzt zwischen ihren Überzeugungen und dem Frieden in der Koalition wählen.

Das Agieren der Führung

Die Zustimmung zur Abstimmung entspricht der Strategie der Führungskräfte. Insbesondere der Unionsfraktionschef Jens Spahn hat in den letzten Tagen systematisch die jungen Mitglieder angesprochen und versucht, sie umzustimmen. Laut Medienberichten hat er dabei zumindest indirekt mit hinteren, wenig aussichtsreichen Listenplätzen bei der nächsten Bundestagswahl gedroht.

«So konkret habe ich das nicht», sagte Spahn am Sonntag in der ARD-Sendung «Miosga» dazu. «Ich führe einfach freundliche, klare Gespräche, ich drohe nicht.» Es sei aber klar, dass «über Szenarien und Konsequenzen» gesprochen werde. 

Die Mehrheit im Bundestag

Es ist unklar, wie viele der Jungen überzeugt werden müssen. 630 Abgeordnete sitzen im Bundestag, davon gehören 328 der Koalition an – das sind 12 mehr als die absolute Mehrheit von 316, die auch Kanzlermehrheit genannt wird, weil sie zum Beispiel bei der Wahl des Kanzlers oder der Vertrauensfrage erreicht werden muss.

Bei der Abstimmung über einfache Gesetze reicht jedoch die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus. Dies bedeutet, dass die erforderliche Anzahl von Stimmen auch davon abhängt, wie viele Abgeordnete insgesamt anwesend sind. Wenn alle anwesend wären, müssten sechs Mitglieder der Jungen Gruppe für den Gesetzentwurf stimmen, um eine eigene Mehrheit der Koalition von 316 Stimmen zu sichern – vorausgesetzt, die schwarz-roten Reihen bleiben ansonsten geschlossen.

Die Wackelkandidaten

Philipp Amthor (CDU) ist Parlamentarischer Staatssekretär im Digitalministerium und Mitgliederbeauftragter im CDU-Vorstand. Es wird schon seit einiger Zeit über ihn gesagt, dass er die Koalition nicht platzen lassen würde.

Aber nicht er, sondern der CDU-Abgeordnete Daniel Kölbl hat sich nun als Erster öffentlich erklärt. «Ich möchte keine Regierungskrise. Deswegen werde ich mein Abstimmungsverhalten im Zweifel entgegen meiner inhaltlichen Überzeugung so ausrichten, dass meine Stimme nicht die entscheidende Stimme für ein Scheitern des Rentenpakets wäre», sagte er dem «Spiegel». 

Nur der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, hat sich bisher neben ihm festgelegt – aber hinter verschlossenen Türen. Laut Teilnehmern kündigte er in der CDU-Vorstandssitzung am Montag an, dass er mit Nein stimmen werde.

Der Zeitplan

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) plant eine Abstimmung im Bundestag am nächsten Freitag. Auch wenn es in der Testabstimmung am Dienstag noch an Stimmen fehlen sollte, bleiben noch drei Tage, um die Mehrheit zu gewährleisten.

Eine Verlegung in die Woche vor Weihnachten wäre theoretisch möglich. Allerdings ist dies weder im Interesse der Koalition noch würde es nur mit einer Verkürzung der gesetzlichen Fristen möglich sein. Der Bundesrat soll laut dem Plan der Koalitionsspitzen am 19. Dezember zustimmen und das Gesetz am 1. Januar in Kraft treten.

Die Opposition

Sie schaut zu und wundert sich. Für Grüne und AfD ist eine Zustimmung zum Rentengesetz tabu. Als Stimmenbeschafferin käme also theoretisch nur die Linke in Frage. Die will nach Angaben von Parteichefin Ines Schwerdtner erst am Dienstag über ihr Abstimmungsverhalten beraten. Schwerdtner zeigte sich skeptisch: «Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir vor allem das Rentenniveau absichern wollen und dass wir nichts zustimmen werden, was die Lebensbedingungen der Rentnerinnen und Rentner verschlimmert. Ich glaube, der Begleittext verschlimmert das de facto.»

Ein Gesetzbeschluss ohne eigene Mehrheit wäre in jedem Fall ein Offenbarungseid für die Koalition und besonders für die Union ein Alptraum. Die CDU hat eine Kooperation mit der Linken durch einen Parteitagsbeschluss ausgeschlossen.

Wenn alles schief läuft…

…dann befindet sich die Koalition in einer tiefgreifenden existenziellen Krise. Einen Alternativplan scheint es bisher nicht zu geben.

dpa