Seit mehr als 13 Jahren dauert der Bürgerkrieg in Syrien an. Nun geht es rasend schnell. Erst vor anderthalb Wochen starteten die Rebellen ihre Offensive – und scheinen ihr Ziel erreicht zu haben.
Rebellen übernehmen Kontrolle über Damaskus – Assad flieht
Laut eigenen Angaben haben die Rebellen in Syrien die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus übernommen und damit das Ende der mehr als zwei Jahrzehnte währenden Herrschaft von Machthaber Baschar al-Assad eingeläutet. Assad verließ am frühen Morgen mit unbekanntem Ziel die Hauptstadt, wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf syrische Offiziere in Damaskus berichtete. Die Aufständischen drangen derweil in Damaskus ein und erklärten die Befreiung der Stadt von Assad. Das Rebellenbündnis gab bekannt, dass sie die Macht friedlich übernehmen wollen.
Am 27. November erlebte der Bürgerkrieg in Syrien, der 2011 begann, mit der Offensive der Islamisten-Allianz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) eine plötzliche Wiederaufnahme. Innerhalb kurzer Zeit eroberten die Rebellen viele Orte, darunter Aleppo und Hama, größtenteils kampflos. Erst am Samstag hatten die Rebellen die strategisch wichtige Stadt Homs eingenommen. Verschiedene andere Rebellen-Gruppen rückten gleichzeitig von Süden in Richtung Damaskus vor. Das gemeinsame Ziel der Rebellen ist es, Assad stürzen zu wollen.
Nach den Worten ihres Anführers Abu Mohammed al-Dschulani will das Rebellenbündnis die Macht friedlich übernehmen. Öffentliche Einrichtungen in Damaskus «werden bis zur offiziellen Übergabe unter Aufsicht des früheren Ministerpräsidenten bleiben», teilte Al-Dschulani in sozialen Medien mit. Militärischen Kräften sei es strikt verboten, sich diesen Einrichtungen zu nähern, auch Schüsse dürften nicht abgegeben werden.
Die staatliche Armee informierte die Regierungssoldaten, dass Assads Regierungszeit beendet sei. Das Armee-Kommando hat die Soldaten außer Dienst gestellt, wie die Deutsche Presse-Agentur aus syrischen Militärkreisen erfuhr. Die Soldaten wurden angewiesen, zu Hause zu bleiben und würden bei Bedarf wieder zum Dienst gerufen.
Rebellen: «Das Ende dieser dunklen Ära»
Nach der Flucht von Assad verkündete die Rebellen-Allianz dann auch den Sturz seiner Regierung. «Der Tyrann Baschar al-Assad ist geflohen», teilten die Aufständischen in sozialen Medien mit. «Wir verkünden, dass die Hauptstadt Damaskus (von ihm) befreit wurde.» Der 8. Dezember markiere «das Ende dieser dunklen Ära» der Unterdrückung unter Assad und seinem Vater Hafis al-Assad, die das Land mehr als 50 Jahren regierten.
«Dies ist der Moment, auf den die Vertriebenen und die Häftlinge lang gewartet haben, der Moment der Heimkehr und der Moment von Freiheit nach Jahrzehnten der Unterdrückung und des Leids.» Gerichtet an die Millionen Flüchtlinge, die durch den Bürgerkrieg vertrieben wurden, erklärten die Aufständischen: «An die Vertriebenen weltweit, ein freies Syrien erwartet euch.»
Ministerpräsident will kooperieren
Syriens Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali blieb eigener Darstellung zufolge im Land und will bei einem Machtwechsel kooperieren. «Wir sind bereit, (die Macht) an die gewählte Führung zu übergeben», sagte Al-Dschalali in einer Videobotschaft, die er laut eigener Aussage in seinem Zuhause aufzeichnete. Über diese Führung müsse das Volk entscheiden. «Wir sind bereit, sogar mit der Opposition zusammenzuarbeiten.»
Die Bürger rief er bei den laufenden Entwicklungen auf, zu kooperieren und kein öffentliches Eigentum zu beschädigen. Syrien könne ein «normaler Staat» sein mit freundschaftlichen Beziehungen mit seinen Nachbarn. Er selbst habe kein Interesse an irgendeinem politischen Amt oder anderen Privilegien. «Wir glauben, dass Syrien allen Syrern gehört.»
In Damaskus brach Jubel aus, nachdem Assad geflohen war. Anwohner klatschten auf der Straße und einige wurden beim Gebet beobachtet, wie Augenzeugen berichteten. Videos von Anwohnern, die auf einen Panzer klettern und feierliche Gesänge anstimmen, machten in sozialen Netzwerken die Runde. Auch in der Metropole Istanbul in der benachbarten Türkei, wo mehr als drei Millionen Syrer leben, gab es Berichten zufolge in der Nacht Jubel und Gesänge. Einige zündeten dort Feuerwerk.
Hadi al-Bahra, der führende Oppositionelle, erklärte, dass Damaskus ohne Assad frei sei. Er gratulierte dem syrischen Volk und den Gefangenen, die nun freigelassen würden.
Laute Explosionen in Damaskus
Die Rebellen begannen ihre Offensive gegen Damaskus am frühen Sonntagmorgen. Ein dpa-Korrespondent vor Ort berichtete von lauten Explosionen und schwerem Maschinengewehrfeuer. Soldaten der Präsidentengarde verließen Berichten zufolge die Hauptstadt. Laut Rami Abdel-Rahman, dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, zogen sich das Sicherheitspersonal und die Armee vom Internationalen Flughafen Damaskus zurück. Die Rebellen drangen auch in ein berüchtigtes Gefängnis ein und befreiten Häftlinge.
Laut Berichten fürchten sich die Bewohner in Damaskus vor der Ankunft der Rebellen. Es wird berichtet, dass viele Familien bereits ihre Häuser verlassen haben und in den Libanon gereist sind, so informierte Kreise.
Vorherige Berichte in verschiedenen Medien hatten bereits gemeldet, dass syrische Soldaten das Land in großer Zahl verlassen. Die staatliche Nachrichtenagentur INA berichtete, dass der Irak mehr als 1.000 Soldaten aus dem Nachbarland aufgenommen habe. Al-Dschasira, der katarische Nachrichtensender, zitierte einen Sprecher der irakischen Regierung, der sagte, dass sogar bereits 2.000 syrische Soldaten mit voller Ausrüstung in den Irak gekommen seien.
Homs-Einnahme gilt als Wendepunkt
Die Einnahme von Homs durch die Rebellen am Samstag wird als entscheidender Wendepunkt angesehen: Die drittgrößte Stadt Syriens liegt zwischen Aleppo im Norden und Damaskus im Süden. Zudem befindet sie sich an einer strategisch wichtigen Position zwischen den Hochburgen der Regierung von Assad an der Küste und Damaskus. An der Küste liegen auch die Hochburgen der Regierungstruppen in Latakia und Tartus. Bei Tartus befindet sich eine Basis der syrischen Marine, die auch einen Stützpunkt der russischen Armee beherbergt. Russland ist neben dem Iran der engste staatliche Verbündete Assads.
Der Bürgerkrieg in Syrien begann 2011 mit Protesten gegen die Regierung. Die Gewaltspirale führte zu einem Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, in dem Russland, der Iran, die Türkei und die USA eigene Interessen verfolgen. Etwa 14 Millionen Menschen wurden vertrieben. Nach UN-Schätzungen sind bisher über 300.000 Zivilisten ums Leben gekommen. Eine politische Lösung zeichnete sich bis zuletzt nicht ab.
Assad hatte vor mehr als zwei Jahrzehnten im Alter von 34 Jahren die Macht in Syrien übernommen, nachdem sein Vater Hafis al-Assad, der das Land jahrzehntelang autoritär regiert hatte, gestorben war. Zunächst weckte Assad, der in England studiert hatte, Hoffnungen auf einen neuen Kurs. Doch die anfängliche Euphorie des sogenannten «Damaszener Frühlings», der kurze Zeit offenere Diskussionen erlaubte, wich bald der Rückkehr autoritärer Repression.
Biden: Die außergewöhnlichen Ereignisse werden genau beobachtet
Das Weiße Haus hat mitgeteilt, dass US-Präsident Joe Biden und sein Team die außergewöhnlichen Ereignisse in Syrien genau beobachten und in ständigem Kontakt mit den regionalen Partnern stehen. Zuvor hatte der designierte US-Präsident Donald Trump deutlich gemacht, dass er nicht möchte, dass sich die USA in irgendeiner Form in die Krise in Syrien einmischen.