Trotz andauerndem Krieg mit Russland wächst der Unmut im eigenen Land: In Kiew, Lwiw und anderen Städten gehen erstmals seit Kriegsbeginn wieder Menschen gegen die Regierung von Präsident Selenskyj auf die Straße.
Tausende protestieren gegen Selenskyj – Kippt jetzt der EU-Traum?
Massenproteste gegen Anti-Korruptions-Gesetz
Es ist ein historischer Moment: Zum ersten Mal seit der russischen Invasion im Februar 2022 demonstrieren wieder tausende Ukrainer – doch nicht gegen Putin, sondern gegen ihre eigene Regierung. Der Grund: Ein neues Gesetz, das die Unabhängigkeit der wichtigsten Antikorruptionsbehörden massiv einschränkt. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat es trotz heftiger Kritik unterzeichnet.
Die zentrale Kritik: Ermittlungen gegen mächtige Politiker oder Beamte könnten in Zukunft einfach gestoppt oder an andere, weniger unabhängige Stellen weitergegeben werden. Die Befürchtung der Demonstranten: Die Ukraine droht in alte, korrupte Strukturen zurückzufallen.
Brüssel warnt: Rückschritt für die Demokratie
Auch aus der Europäischen Union kommt deutlicher Protest. Marta Kos, EU-Kommissarin für Erweiterung und östliche Nachbarschaften, äußerte sich auf X (ehemals Twitter) „ernsthaft besorgt“ über das Gesetz. Eine unabhängige Justiz sei Grundvoraussetzung für weitere Schritte in Richtung EU-Beitritt. Ohne glaubwürdige Korruptionsbekämpfung stehe das europäische Projekt für die Ukraine auf der Kippe.
People in a warzone showed up immediately to protest in defence of democracy and stand up to their government's attempt at impunity for corruption. Ukraine continues to lead the way. #3E pic.twitter.com/bOre0DNTFd
— Anonymous (@YourAnonCentral) July 22, 2025
Die EU hatte die Ukraine seit dem Euromaidan 2014 massiv unterstützt – auch beim Aufbau von Anti-Korruptions-Behörden wie NABU und SAPO. Diese galten lange als Hoffnungsträger im Kampf gegen Bestechung und Vetternwirtschaft.
Angst vor Rückfall in die Oligarchen-Ära
Besonders junge Ukrainerinnen und Ukrainer befürchten jetzt, dass ihr Land nach all den Reformen und Opfern wieder in die Hände einflussreicher Eliten fällt. Die Proteste, die am Dienstag in Kiew, Lwiw, Dnipro und weiteren Städten begannen, erinnern an die Demonstrationen von 2014 – mit dem Unterschied, dass sie diesmal gegen eine demokratisch gewählte Regierung gerichtet sind.
Nach dem Ende der Sowjetunion hatten Oligarchen das Land jahrzehntelang geprägt. Die Hoffnung, sich durch Reformen und eine klare Westbindung aus dieser Umklammerung zu befreien, war groß. Doch das neue Gesetz untergräbt diesen Fortschritt, so die Meinung vieler Demonstrierender.
Selenskyjs Unterschrift sorgt für Enttäuschung
Obwohl Selenskyj nach wie vor in Umfragen hohe Zustimmungswerte genießt, ist der Ärger über seine Entscheidung groß. Viele Ukrainer hatten gehofft, dass er das umstrittene Gesetz mit seinem Veto stoppt – doch stattdessen unterschrieb er es am Dienstagabend.
Seriously concerned over today’s vote in the Rada. The dismantling of key safeguards protecting NABU’s independence is a serious step back.
— Marta Kos (@MartaKosEU) July 22, 2025
Independent bodies like NABU & SAPO, are essential for 🇺🇦’s EU path. Rule of Law remains in the very center of EU accession negotiations.
Beobachter sehen darin einen gefährlichen Präzedenzfall. Sollte die Regierung künftig unbequeme Ermittlungen einfach umleiten können, könnte das gesamte Korruptionsbekämpfungssystem ausgehöhlt werden – ein Rückschlag nicht nur für die Ukraine, sondern auch für ihre Hoffnungen auf einen baldigen EU-Beitritt.
Ungewisse Zukunft: Reform oder Rückschritt?
Noch ist unklar, ob es weitere Proteste geben wird – oder gar ein politisches Umdenken. Klar ist nur: Der Unmut wächst. Und die Frage, wie ernst es Selenskyj und seine Regierung mit der europäischen Zukunft wirklich meinen, wird derzeit auf den Straßen der Ukraine laut gestellt.