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Verdächtige des Terroranschlags in Moskau gezeichnet von Verletzungen

Die Angeklagten wurden mit Blutergüssen und Platzwunden vorgeführt. Videoaufnahmen zeigen mutmaßliche Folter, Anhörung hinter verschlossenen Türen.

Ein Tatverdächtiger wird von Polizisten und FSB-Beamten im Basmanny-Bezirksgericht eskortiert.
Foto: Alexander Zemlianichenko/AP

Die vier mutmaßlichen Attentäter des jüngsten Terroranschlags in der Nähe von Moskau wurden mit schweren Gesichtsverletzungen dem Haftrichter vorgeführt. Am Sonntag wurden die Angeklagten von vermummten Sicherheitskräften zum Basmanny-Gericht in der russischen Hauptstadt gebracht und in Glaskäfigen mit sichtbaren Blutergüssen, Schwellungen, Schürf- und Platzwunden platziert. Einer der Attentäter konnte offensichtlich nicht mehr laufen und lag mit geschlossenen Augen festgeschnallt in einem Krankenstuhl. Ein anderer trug einen unsachgemäß angebrachten Verband am rechten Ohr.

Vor dem Gerichtstermin wurden Videos im Internet verbreitet, die angeblich zeigen, dass die festgenommenen Männer gefoltert wurden und einem von ihnen sogar ein Ohr abgeschnitten wurde. Die Echtheit der Aufnahmen konnte zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Die eigentliche Anhörung fand hinter geschlossenen Türen statt, wie die russische Staatsagentur Tass berichtete. Der Terrorverdächtige auf dem Krankenstuhl, der den Anschlag gefilmt haben soll, hatte demnach «Schwierigkeiten zu sprechen». Das Ermittlungskomitee wirft ihm und seinen drei mutmaßlichen Komplizen einen gemeinschaftlich verübten tödlichen Terroranschlag vor.

Haftbefehle gegen mutmaßliche Terroristen erlassen

Nach dem Vorfall in einem Veranstaltungszentrum in der Nähe von Moskau, bei dem am Freitag 137 Menschen getötet und nach neuen Angaben der Gesundheitsbehörden 182 weitere verletzt wurden, führte die Polizei insgesamt elf Festnahmen durch. Vier der Verdächtigen werden als die eigentlichen Täter angesehen – sie sind diejenigen, die nun dem Richter vorgeführt wurden. Die Haftbefehle wurden laut Tass am Sonntagabend ausgestellt. Die vier Männer wurden am Wochenende im russischen Grenzgebiet Brjansk festgenommen und nach Moskau gebracht.

„Menschenrechtsaktivisten berichten regelmäßig über Demütigungen, Misshandlungen und brutale Foltermethoden im russischen Strafvollzug. Öffentlich inszenierte Schauprozesse dienen offenbar der staatlichen Machtdemonstration und Abschreckung.“

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat sich öffentlich zu dem Anschlag bekannt. Trotzdem behauptet die russische Regierung, dass die Ukraine in den Angriff verwickelt sei, obwohl Russland seit über zwei Jahren einen Krieg gegen sie führt. Präsident Wladimir Putin gab an, dass die Täter in die Ukraine fliehen wollten, präsentierte jedoch keine Beweise dafür. Kiew bestreitet jede Beteiligung an dem Anschlag.

Band Piknik gedenkt der Opfer des Terroranschlags

Unterdessen beging Russland am Sonntag einen nationalen Trauertag. Die Mitglieder der populären Rockband Piknik, die am Freitag in der Crocus City Hall hätte auftreten sollen, legten am Abend vor der Konzerthalle Blumen für die Opfer nieder. Nach einer Gedenkminute sprachen sie den Hinterbliebenen ihr Mitgefühl aus. «Diese Gräueltat ist eine sinnlose, unvorstellbare Grausamkeit», wurde Bandleader Edmund Schkljarski von Tass zitiert. Unter den Todesopfern ist laut der Band auch eine ihrer Assistentinnen.

Offensichtlich erschütterte Bewohner der Hauptstadtregion strömten auch am Sonntag in dichten Scharen zur Crocus City Hall. Am Zaun vor dem zerstörten Gebäude legten sie Blumen und Spielsachen zum Gedenken an die Opfer nieder – die Gegend glich einem Blumenmeer. Auf Leuchttafeln in der russischen Hauptstadt flackerte anstelle von Werbung die Aufnahme einer Kerze und darunter die Aufschrift: «Wir trauern. 22.03.2024.» Über dem Kreml wehte die Fahne auf halbmast.

Putin spricht von Spur in die Ukraine

Präsident Putin sprach in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede am Samstagnachmittag von einer angeblichen Spur in die Ukraine. Mit Blick auf die festgenommenen Verdächtigen sagte er: «Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war.» Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte dies mit dem Hinweis, dass die Grenze sei seit Langem vermint sei. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies jede Verwicklung seines Landes in den Anschlag zurück.

Angesichts der Anschuldigungen aus Moskau nannte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba den Kremlchef am Sonntag einen «pathologischen Lügner». Putin versuche verzweifelt, die Ukraine mit dem Anschlag in Verbindung zu bringen, auch wenn es keine Beweise gebe, schrieb Kuleba am Sonntag auf der Plattform X (ehemals Twitter). «Lasst euch nicht von Putin und seinen Handlangern in die Irre führen», appellierte er. Ihr einziges Ziel sei, weitere Russen zu motivieren, um in dem sinnlosen und kriminellen Krieg gegen die Ukraine zu sterben. Zudem solle dadurch weiterer Hass gegen andere Länder, vor allem den gesamten Westen, geschürt werden.

IS bekennt sich zu Anschlag

Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte als angeblichen Beweis, für den Angriff verantwortlich zu sein, ein Video, das die Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. Zudem wurde ein Bild der angeblichen Attentäter mit unkenntlich gemachten Gesichtern gezeigt. Die mit Sturmgewehren, Pistolen und Sprengsätzen bewaffneten Kämpfer hätten Russland einen «schweren Schlag» versetzt, hieß es in dem Bekennerschreiben. Der Angriff habe «Tausenden Christen in einer Musikhalle» gegolten. Terrorismusexperten stuften das Schreiben als glaubwürdig ein.

Der IS kämpft gegen Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige. Die Islamisten haben in den letzten Jahren auch die Politik Moskaus im Visier. In früheren Reden warf die Terrorgruppe Russland vor, muslimisches Blut vergossen zu haben. Besonders in Afghanistan lastet das Erbe der sowjetischen Intervention vor 45 Jahren immer noch schwer.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte es glaubhaft, dass die als IS-Ableger bekannte Gruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) den Anschlag zu verantworten habe. Von dieser gehe derzeit auch für Deutschland die größte Gefahr aus, sagte Faeser der «Süddeutschen Zeitung». Die ISPK-Terrorgruppe hat ihren Ursprung in Afghanistan. Khorasan steht für eine historische Region in Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie vom Iran umfasste.

dpa