Nach der Gewalttat in Aschaffenburg mit zwei Toten ist der Druck groß, die Tat aufzuklären. Der Verdächtige wurde bisher nicht befragt. Doch die politische Dimension des Falls wird langsam deutlich.
Trauer in Aschaffenburg und Vorwürfe an Behörden

In einem Park in Aschaffenburg liegen zahlreiche Kerzen, Blumen und Kuscheltiere. Immer wieder bleiben Passanten in der Nähe des Tatorts stehen und verharren. Einen Tag nach dem Vorfall mit zwei Toten und drei Schwerverletzten liegt eine bedrückende Stimmung über der Stadt am Untermain. Warum griff der Täter unschuldige Kinder an? War er geisteskrank? Handelte er gezielt? Was war sein Motiv?
Nach der Tat müssen die verantwortlichen Behörden viele Fragen beantworten. Warum war der Verdächtige, ein psychisch belasteter Afghane, der bereits mehrfach straffällig geworden war, frei? Warum war er trotz der Pflicht zur Ausreise noch in Deutschland? Hatten Drogen oder Alkohol eine Rolle gespielt?
Söder verliert Geduld
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) drückte Empörung aus: «Es reicht. Es reicht. Es reicht. Wie viel eigentlich noch? Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg. Was kommt vielleicht als Nächstes? Das sind alles keine Zufälle, sondern die Folge einer Kette einer falschen, jahrelangen Migrationspolitik», sagte er in München.
24 Stunden nach der Tat sagt er einen harten Kursschwenk in der Migrationspolitik nach der angestrebten Regierungsübernahme im Bund voraus. Faktisch werde es «eine Grenzschließung für illegale Migration» geben. Darüber und über weitere Schritte habe er sich mit Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) verständigt.
Psychische Probleme
Nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte der vermutliche Gewalttäter eine gerichtlich bestellte Betreuerin. Die psychischen Probleme des Afghanen seien der Grund gewesen, warum er mehrmals in ein Bezirkskrankenhaus eingewiesen worden sei und auch Medikamente erhalten habe.
Es müsse nun überprüft werden, nach welchen Kriterien solche Menschen wieder aus einer Klinik lassen werden, «weil wir sehen, wie gefährlich die Situation sein kann». Bei Ausländern plädierte der Minister für die Möglichkeit, sie direkt aus der Unterbringung ins Ausland abschieben zu können. Dies funktioniere aber derzeit beispielsweise mit Afghanistan nicht.
Abschiebung scheiterte an verstrichener Frist
Laut Herrmann hatte der vermeintliche Angreifer selbst Anfang Dezember 2024 den Behörden schriftlich mitgeteilt, dass er ausreisen wolle. Allerdings konnte der 28-Jährige zuvor unter anderem aufgrund einer verstrichenen Frist nicht abgeschoben werden.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe den Asylantrag des Mannes zwar am 19. Juni 2023 abgelehnt und nach den Regeln des Dublin-Verfahrens eine Abschiebung nach Bulgarien angeordnet, sagt Herrmann. Den Afghanen selbst habe die Behörde wohl auch darüber informiert. Die bayerischen Ausländerbehörden habe das Bamf aber «aufgrund welcher Fehler und Probleme auch immer» erst am 26. Juli, also mehr als einen Monat später, in Kenntnis gesetzt – wenige Tage vor Ablauf der Frist für die Abschiebung.
Es sei «offenkundig», dass eine bayerische Behörde «nicht innerhalb von sechs Tagen» eine derartige Rückführung organisieren könne – «noch dazu, wenn das völlig unvorbereitet entsprechend kommt», sagt Herrmann. Das Bamf äußerte sich auf Nachfrage zunächst nicht zu den Vorwürfen.
Papiere für Ausreise fehlten wohl noch
Laut Herrmann lag es daran, dass der Mann die Ausreise-Ankündigung später nicht umsetzte, dass er die benötigten Papiere vom afghanischen Generalkonsulat bisher nicht erhalten hatte und deshalb nicht ausreisen konnte.
Umfangreiche Ermittlungen
Die Polizei versucht derweil, den genauen Ablauf der Messerattacke zu rekonstruieren. Der Verdächtige selbst ist bis Donnerstagmittag nicht offiziell vernommen worden. «Es ist davon auszugehen, dass zur Vernehmung des Beschuldigten ein Dolmetscher hinzugezogen wird», teilt die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mit.
Am Nachmittag wird der Mann, der Ende 2022 nach Deutschland kam, einer Ermittlungsrichterin am Amtsgericht vorgeführt. Diese wird entscheiden, ob er in Untersuchungshaft genommen wird oder vorübergehend in einer Psychiatrie untergebracht wird – dies könnte geschehen, wenn angenommen wird, dass der Mann zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war. Die Anschuldigungen gegen den Mann lauten auf Mord und gefährliche Körperverletzung.
Der Afghane ist den Behörden bereits in der Vergangenheit wegen Straftaten aufgefallen, «unmittelbar in den jeweiligen Asylunterkünften, wo er sich aufgehalten hat», wie Herrmann sagt. In drei Fällen sei es zu Tätlichkeiten gegenüber anderen Menschen gekommen. Dies sei dann auch immer Anlass für eine weitere psychiatrische Behandlung gewesen.
Verletzte weiter im Krankenhaus
Der 28-Jährige wird beschuldigt, am Mittwochmittag im Park in der Innenstadt eine Kindergartengruppe angegriffen zu haben und dabei einen zweijährigen Jungen marokkanischer Herkunft sowie einen 41-jährigen Deutschen getötet zu haben – völlig unvermittelt und gezielt, wie Herrmann beschreibt. Der Freistaat plant, dem 41-Jährigen, der mutig zum Schutz der anderen Kinder eingegriffen haben soll, posthum die Bayerische Rettungsmedaille zu verleihen, so Söder.
Der Verdächtige soll auch ein zweijähriges Mädchen aus Syrien dreimal im Halsbereich mit einem Küchenmesser verletzt haben. Ein 72-jähriger Deutscher erlitt multiple Verletzungen im Thoraxbereich. Eine 59 Jahre alte Erzieherin brach sich während des Tumults einen Arm. Alle befinden sich weiterhin im Krankenhaus.
Gedenken in der Stadt
Aschaffenburgs Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) mahnt nach dem Angriff zu Besonnenheit. «Ein Geflüchteter greift unschuldige Menschen an, verletzt und tötet sie. Wir sehen die Parallelen», sagt Herzing mit Blick auf die Todesfahrt von Magdeburg sowie die Messerattacken in Solingen und vor einigen Jahren in Würzburg. Er betont aber: «Wir können und dürfen die Tat eines Einzelnen niemals einer gesamten Bevölkerungsgruppe anrechnen.»
Man dürfe trotz Wut, Trauer und «Rachegedanken» keine «Spirale der Gewalt und des Hasses in Gang setzen», so der SPD-Politiker. Die Polizei werde das Motiv für den Angriff ermitteln. Die politischen Folgen seien Thema vieler Gespräche in der kommenden Zeit.
Laut Herzing soll am Sonntag in der Stiftskirche in Aschaffenburg eine Trauerfeier stattfinden. Auch Ministerpräsident Söder plant zu kommen.