Entfesselte, selbstbewusste und erbarmungslose zweite Amtszeit droht mit radikaler Agenda und autokratischen Zügen.
Donald Trump vor politischem Sieg in Florida,erste Trump-Präsidentschaft mit dramatischen Folgen für USA und die Welt.
Donald Trump ist die Genugtuung ins Gesicht geschrieben. «Es ist ein politischer Sieg, wie ihn unser Land noch nie erlebt hat», ruft der Republikaner seinen Anhängern in einem Tagungszentrum im Bundesstaat Florida zu. Er steht umringt von seiner Familie und seinem Vizekandidaten J.D. Vance auf der Bühne und lässt sich feiern.
Der Sender Fox News, der Präsident Trump nahesteht, hat ihn gerade zum Gewinner der Präsidentschaftswahl erklärt. Obwohl das endgültige Ergebnis noch nicht wirklich feststeht, scheint ihm der Sieg kaum noch zu nehmen zu sein. Viele Menschen wachen daher an diesem Morgen in einem anderen Amerika und einer anderen Welt auf.
Die große Überraschung in der Wahlnacht
Ursprünglich schien es auf ein äußerst knappes Rennen zwischen ihm und der Demokratin Kamala Harris hinauszulaufen – und auf eine tagelange Zitterpartie für das Land. Doch am Ende ging alles sehr schnell. Trump machte einen unerwarteten Durchmarsch, gewann einen Swing State nach dem anderen und erklärte sich dann noch in der Wahlnacht selbst zum Sieger.
Erstmals in der Geschichte der USA übernimmt mit Trump ein verurteilter Straftäter das höchste Staatsamt. Eine erneute Amtszeit von Trump hätte schwerwiegende Konsequenzen: Die Amerikaner müssten um ihre Demokratie fürchten, die Ukrainer um ihre Existenz, die Europäer um ihre Sicherheit und die Menschen im globalen Westen um das Machtgefüge in der Welt.
Trump 2.0: Entfesselter, extremer, erratischer
Die USA und die Welt müssen sich auf einen noch entfesselteren Donald Trump einstellen: selbstbewusster und erbarmungsloser denn je. Und noch extremer und unberechenbarer als in seiner ersten Amtszeit. Der Republikaner hat bereits damals mit nahezu jeder Konvention gebrochen, schwere internationale Verwerfungen ausgelöst und das Verfassungssystem der USA an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.
Seit seinem Ausscheiden aus dem Amt hat er unbeschadet eine Reihe von Skandalen, Affären und juristischen Desastern überstanden, die jeden anderen längst die politische Karriere gekostet hätten. In einer neuen Amtszeit wird er daher wahrscheinlich erst recht nicht zögern, weitere Grenzen zu überschreiten und Tabus zu brechen.
Trump ist gleichzeitig gealtert. Im Wahlkampf wirkte der 78-Jährige manchmal noch erratischer als während seiner Amtszeit, hielt teilweise zusammenhanglose Monologe, endlose Schimpftiraden und Pöbeleien in alle Richtungen – insbesondere rassistische und entmenschlichende Ausfälle gegen Migranten.
In den vergangenen Jahren ist Trump noch weiter ins Extreme gerutscht. In einer zweiten Amtszeit wird er wahrscheinlich nicht viele moderate Republikaner an seiner Seite haben, die ihn mäßigen können, sondern hauptsächlich radikale Konservative, die ihn in extremen Positionen bestärken. Als möglicher Außenminister wird der Hardliner Richard Grenell genannt, der als Botschafter in Deutschland durch seine rücksichtslose Art auffiel.
Was Trump vorhat
Trump hat eine radikale Agenda für seine zweite Runde im Weißen Haus. Er plant die «größte Abschiebeaktion in der amerikanischen Geschichte», um im ganz großen Stil Migranten aus dem Land zu jagen. Er möchte etwa das Bildungsministerium abschaffen, Straftäter der Kapitol-Attacke begnadigen, im Staatsapparat aufräumen und sich an politischen Gegnern rächen.
Der Republikaner kokettiert, «Diktator» wolle er nur am ersten Tag einer zweiten Amtszeit sein, und tatsächlich könnten die USA unter ihm autokratische Züge bekommen. Er hat Gegnern, Journalisten und Medienhäusern vielfach mit Vergeltung gedroht. Er sprach sich zuletzt sogar dafür aus, das Militär gegen «Feinde im Innern» einzusetzen – also gegen US-Bürger, nämlich gegen «linksradikale Irre». Als Beispiel nannte er prominente Demokraten.
Trump behauptet, dass er den Ukraine-Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden und den Nahost-Konflikt schnell lösen könnte. Gleichzeitig droht er damit, die US-Militärhilfen für die Ukraine drastisch zu reduzieren oder ganz zu stoppen, Putin freie Hand bei seinem Eroberungszug in der Nachbarschaft zu lassen und anderen Nato-Staaten im Falle eines Angriffs den militärischen Beistand zu verweigern.
Trump präsentiert sich gerne als starker Mann, vor dem sich international niemand fürchten möchte. In Wirklichkeit ist er jedoch vor allem unstet und unberechenbar. In seiner ersten Amtszeit hatten Staats- und Regierungschefs aus aller Welt mit dieser Herausforderung zu kämpfen. Nun müssen sie erneut damit umgehen – mit unvorhersehbaren Konsequenzen. Europa und die NATO werden dafür kritisiert, dass sie die Möglichkeit einer Rückkehr Trumps verleugnet und sich nicht ausreichend darauf vorbereitet haben.
Der Unantastbare
Nach dem Angriff von Trump-Anhängern auf das US-Kapitol Anfang 2021 schien es kurzzeitig, als hätte sich der Republikaner dauerhaft für jede staatliche Position disqualifiziert. Zuerst distanzierten sich sogar treue Verbündete von ihm, doch nach und nach kehrte einer nach dem anderen zu ihm zurück. Trump hat die Basis fest im Griff. In den vergangenen Jahren hat Trump bewiesen, dass ihm politisch nichts anhaben kann. Weder das Chaos während seiner Amtszeit, noch die Amtsenthebungsverfahren, noch sein Angriff auf die Demokratie, noch mehrere Anklagen, noch die Verurteilung in einem Strafverfahren, kein Skandal, keine öffentliche Pöbelei – egal wie rassistisch, sexistisch oder vulgär sie auch sein mag. Nichts.
Das große Warum
Trotzdem haben die Amerikaner ihn gewählt – oder gerade deshalb. Dass Trump erneut mit einer Kampagne Erfolg hatte, die hauptsächlich auf Hass und Angstmacherei basierte, sagt viel über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft aus. Einige wählten ihn aus Frustration, andere aus Überzeugung, wieder andere aus einem bestimmten politischen Grund – zum Beispiel wegen seiner Wirtschaftspolitik, wofür sie großzügig über den Rest hinwegsehen.
Die hohe Inflation beunruhigte besonders viele Wähler. Die Amerikaner vertrauten Trump in wirtschaftlichen Fragen mehr und priorisierten damit ihre eigenen Finanzen über die menschlichen Qualitäten der Kandidaten.
Harris kämpfte damit, dass sie als Vizepräsidentin eher unsichtbar blieb und auch die miesen Beliebtheitswerte des Amtsinhabers Joe Biden auf sie abfärbten, sodass sie mit ihren Warnungen vor Trumps diktatorischen Ambitionen und dem Paradethema Abtreibung bei vielen nicht durchdringen konnte.
Harris konnte viele Frauen für sich gewinnen, aber Trump schnitt überraschend gut bei Schwarzen und Latinos ab, trotz der Hetze gegen Minderheiten und Migranten. Das Attentat auf ihn Mitte Juli, das er knapp überlebte, hat ihn im Wahlkampf sogar gestärkt.
Der Mann, der als 45. Präsident der Vereinigten Staaten die Nato mit einem Ausstieg der USA bedrohte, Grönland kaufen wollte und vorschlug, das Coronavirus durch die Injektion von Bleiche in den menschlichen Körper zu bekämpfen, kehrt erneut in das mächtigste Amt der Welt zurück.
In den USA kann jemand zwei Amtszeiten lang Präsident sein, egal ob diese aufeinanderfolgen oder nicht. Trump bleiben also «nur» noch vier Jahre im Weißen Haus. Er hat jedoch in seiner ersten Amtszeit bewiesen, dass dies genug Zeit ist, um das Land auf den Kopf zu stellen – und die Welt.