Die Türkei schwört nach dem Anschlag in Ankara Rache und greift «terroristische Ziele» im Irak und in Syrien an. Syrische Milizen sprechen von Angriffen auf Zivilisten und mehreren Toten.
Türkei fliegt nach Anschlag Angriffe in Syrien und im Irak
Nach dem Anschlag in Ankara mit mindestens fünf Toten hat die Türkei der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK die Verantwortung zugeschrieben und Ziele in Nordsyrien und im Nordirak angegriffen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind bislang 47 «PKK-Ziele» aus der Luft angegriffen und zahlreiche «Terroristen neutralisiert» worden. Kurdische Milizen in Syrien sprachen von mindestens zwölf toten Zivilisten.
Die PKK, die von der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, hat bisher keine Verantwortung für den Anschlag übernommen. Die PKK kämpft seit den 80er Jahren gegen den türkischen Staat.
Beim Terroranschlag am Mittwoch auf eines der wichtigsten türkischen Rüstungsunternehmen starben mindestens fünf Menschen und 22 weitere wurden verletzt. Auch die beiden mutmaßlichen Angreifer wurden getötet, sagte Innenminister Ali Yerlikaya. Er sprach von einem Mann und einer Frau. Die türkische Rundfunkbehörde Rtük hatte eine Nachrichtensperre über den Anschlag verhängt.
Erdogan: Anschlag auf Zugpferd der türkischen Verteidigungsindustrie
Das Attentatsziel war die Türkische Luft- und Raumfahrtindustrie (Tusas), eine Tochtergesellschaft der staatlichen Agentur für Verteidigungsindustrie. Vier der fünf Opfer waren dort beschäftigt.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem «feigen Anschlag» auf ein Zugpferd der türkischen Verteidigungsindustrie. Die Firma ist unter anderem ein bedeutender Produzent von Kampfflugzeugen und Drohnen.
Gemäß dem Analysten Murat Yetkin setzt die Türkei Drohnen von Tusas sowohl im Kampf gegen die PKK als auch gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein. Die Türkei führt regelmäßig Operationen gegen die PKK durch, die ihr Hauptquartier in den nordirakischen Kandilbergen hat, sowie gegen die syrische Kurdenmiliz YPG im Norden Syriens, die sie als Ableger der PKK betrachtet.
Das türkische Militär begann bereits vor der Bekanntgabe, dass beide Täter als PKK-Mitglieder identifiziert wurden, Angriffe im Irak und in Syrien. Verteidigungsminister Yasar Güler sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, dass der Schmerz über die Opfer groß sei, aber die Kraft zur Rache größer.
Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), angeführt von der YPG, gaben an, dass die Türkei zivile Infrastruktur, Menschenansammlungen und Sicherheitskräfte in Nord- und Ostsyrien angegriffen hat. Laut ihren Angaben wurden mindestens zwölf Zivilisten getötet und 25 weitere Menschen teilweise schwer verletzt.
Anschläge von mehreren Gruppen in der Vergangenheit
Der Vorfall ereignete sich kurz nachdem die Ultranationalisten der Partei MHP überraschend eine mögliche Freilassung des PKK-Führers Abdullah Öcalan angesprochen hatten. Die MHP ist der Regierungspartner von Erdogan. Ihr Chef Devlet Bahceli hatte jedoch eine mögliche Freilassung an die Entwaffnung der Terrororganisation geknüpft. Beobachter sehen darin ein Zeichen dafür, dass es eventuell zu einem neuen Friedensprozess zwischen Regierung und PKK kommen könnte.
Am Mittwoch durfte Öcalan, der in Isolationshaft sitzt, zudem erstmals seit Jahren Besuch empfangen. Aus dem Gefängnis ließ er mitteilen: «Wenn die Bedingungen gegeben sind, habe ich die theoretische und praktische Kraft, diesen Prozess von der Ebene des Konflikts und der Gewalt auf eine politische und rechtliche Ebene zu bringen.» Welche Auswirkungen der Anschlag auf eine etwaige Neuaufnahme zu Friedensverhandlungen haben wird, ist offen.
Der Politikanalyst Sinan Ülgen sieht im Zusammenhang mit einer möglichen Annäherung zwei Zeichen, die hinter dem Anschlag stecken könnten, sollte es eine Verbindung zur PKK geben. «Es könnte ein Anschlag gewesen sein, der nicht im Einklang mit den Kommando-Strukturen der PKK geschehen ist, etwa ein unabhängiger Arm radikaler Teile, die den Prozess torpedieren wollen», so Ülgen. Oder es sei eine Nachricht der PKK an die türkische Regierung, dass man direkter auf die aktuelle Führung der PKK zugehen müsse und der Weg über Öcalan, der seit 1999 inhaftiert ist, nicht ausreiche.
Gemäß Ülgen steckt hinter dem Annäherungsversuch der Ultranationalisten innenpolitisches Kalkül: Erdogan könnte gemäß Verfassung nicht erneut kandidieren, es sei denn, das Parlament beantragt Neuwahlen oder die Verfassung wird geändert. Beides erfordert jedoch Mehrheiten, weshalb man auf der Suche nach neuen Partnern ist, wie der prokurdischen Partei Dem.
In der Vergangenheit haben sowohl der IS, die linksextremistische Revolutionäre Volksbefreiungsfront DHKP-C als auch die PKK in der Türkei schwere Anschläge verübt, auch in Ankara.