So viele Teilnehmer saßen in diesem Wahlkampf noch nie im Fernsehstudio zusammen. Es gab auch noch nie so viel Streit und Durcheinandergerede wie in der «Schlussrunde» von ARD und ZDF.
TV-«Schlussrunde» im Wahlkampf wird zur Streitrunde
«Wahl 2025 Schlussrunde» nannten ARD und ZDF ihre Sendung drei Tage vor der Bundestagswahl – heraus kam eine Streit- und bisweilen auch Schreirunde. Was wohl vor allem daran lag, dass acht Parteienvertreter zusammensaßen, so viele wie in keiner anderen TV-Wahlkampfsendung zuvor – und jeder wollte zu jedem Thema zu Wort kommen.
Die Moderatoren Markus Preiß und Diana Zimmermann, Leiter der Hauptstadtstudios von ARD und ZDF, hatten jedenfalls alle Mühe, die Kontrahenten in Schach zu halten, die sich ständig gegenseitig ins Wort fielen. Und manchmal war auch ein «Basta» nötig: «Jetzt ist der Punkt erreicht, wo diese Runde beendet ist», fuhr Preiß dazwischen, als er das Thema wechseln wollte und seine Gäste immer weiter redeten.
Die Sender hatten versprochen, eine Diskussionsrunde über Themen abzuhalten, die bisher zu kurz gekommen seien und die junge Leute interessierten – ein Versprechen, das eingehalten wurde. Gesundheit, Pflege, Dienstpflicht, Klima – diese Themen spielten bei den vorherigen TV-Runden praktisch keine Rolle.
Die Generalsekretäre von SPD und CDU, Matthias Miersch und Carsten Linnemann, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), FDP-Chef Christian Lindner, AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, Linke-Chef Jan van Aken und BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht konnten sich positionieren.
Wehrpflicht oder Dienstpflicht
Am weitesten ging AfD-Chefin Weidel, indem sie sich für eine zweijährige Wehrpflicht aussprach. «Wir sind nicht mehr fähig zur Landesverteidigung», war eines ihrer Argumente. Zudem diene die Wehrpflicht auch der Identifikation der Bevölkerung mit ihrer Armee. Die Unionsvertreter Linnemann und Dobrindt machten sich stattdessen für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr stark, das etwa bei der Bundeswehr, der Feuerwehr oder dem Technischen Hilfswerk abgeleistet werden kann.
FDP-Chef Lindner lehnte den AfD-Vorstoß kategorisch ab und warnte vor einem «gewaltigen Freiheitseingriff bei jungen Menschen». Auch von BSW-Gründerin Wagenknecht kam Widerspruch: «Wir brauchen eine Bundeswehr, die uns verteidigen kann – dafür brauchen wir aber keine Wehrpflicht.»
Zukunft von Kranken- und Pflegeversicherung
Lindner sprach sich vehement gegen eine Zusammenlegung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung aus. «Eine Einheitskasse, Staatsmedizin führt in die falsche Richtung», warnte er. Erst schaffe man die Wahlfreiheit zwischen den Krankenkassen ab, als Nächstes schaffe man die Wahlfreiheit ab, zu welchem Arzt man gehe, sagte Lindner. «Wahlfreiheit ist ein Teil der Qualität unseres Gesundheitssystems.»
«Wenn sie sagen, es gibt eine Wahlfreiheit, das ist doch ein Hohn», konterte Wagenknecht. «Die meisten Menschen können sich doch nicht aussuchen, in welcher Kasse sie sind.» Es müsse ein gemeinsames System für alle geben und eine wirklich solidarische Finanzierung, forderte sie. Das sah Linke-Chef van Aken ähnlich. SPD-Generalsekretär Miersch prangerte die totale Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich Versicherten bei Fachärzten an. Dies müsse sich ändern.
Weidel sorgte insbesondere beim früheren Finanzminister Lindner für Kopfschütteln, als sie vorschlug, Menschen, die Familienmitglieder pflegen, monatlich 2.000 bis 3.000 Euro zu zahlen. «Hier wird die ganze Zeit viel Geld verteilt», kritisierte der FDP-Mann und ermutigte junge Menschen, auch privat für ihre zukünftige Pflege vorzusorgen.
Uneinigkeit auch beim Klimaschutz
Linke-Chef van Aken warnte vor Abstrichen beim Klimaschutz, forderte aber mehr soziale Abfederungen. So sollten Zuschüsse zu Wärmepumpen gestaffelt werden. Geringverdiener sollten 100 Prozent der Zusatzkosten ersetzt bekommen, Vielverdiener aber gar keine Subventionen bekommen. «Dann kriegen Sie plötzlich eine ganz breite Zustimmung in der Bevölkerung.»
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht bekannte sich zur Klimaneutralität bis 2045 – wenn es bis dahin die nötigen Technologien gebe. «Nur ich halte nichts davon, dass Klimaschutz dadurch vorangetrieben wird, dass man den Menschen das Leben verteuert.» Oft hätten sie gar keine Alternative. Es könne nicht jeder von seinem Wagen mit Verbrennermotor aufs E-Auto oder den öffentlichen Nahverkehr umsteigen.
Linnemann arbeitete sich einmal mehr am Heizungsgesetz der Ampel-Koalition ab. «Das war doch ein Fiasko.» Beim Klimaschutz brauche man Planungssicherheit, auch bei Förderprogrammen, und Technologieoffenheit.
Ukraine und Sicherheit in Europa
An der Ukraine und am Kurswechsel der neuen US-Regierung unter Donald Trump gegenüber dem Verbündeten Europa kam die Runde nicht vorbei. Baerbock betonte, wenn die starke Unterstützung der USA jetzt vielleicht nicht mehr der Fall sein sollte, «dann müssen wir Europäer unseren eigenen Frieden noch stärker sichern».
Für SPD-Generalsekretär Miersch waren absehbar höhere Ausgaben für Verteidigung der Anlass, um eine Reform der Schuldenbremse zu verlangen. Was wiederum CSU-Mann Dobrindt ablehnte. Dies müsse auch «aus dem Haushalt heraus möglich sein». Linnemann verlangte, Deutschland müsse eine Führungsrolle in Europa übernehmen und eine Priorität auf die Verteidigungsfähigkeit setzen.
Völlig konträr waren die Positionen zur weiteren Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine. Weidel forderte, Deutschland solle sich gar nicht mehr engagieren, nicht mit Waffenlieferungen und auch nicht mit finanziellen Hilfen. Wagenknecht warnte vor einem «wahnwitzigen Wettrüsten». Und Linke-Chef van Aken sorgte für Aufsehen mit der These, Deutschlands Sicherheit wäre langfristig sicherer, wenn die Nato zerfiele.
Noch viele Wählerinnen und Wähler unentschieden
Die Parteien hoffen, dass durch Talkrunden wie diese noch unentschlossene Wählerinnen und Wähler gewonnen werden können. Laut dem kürzlich veröffentlichten ZDF-Politbarometer beträgt ihr Anteil 27 Prozent. Die Umfrage brachte für die Union keine guten Nachrichten – sie sank um zwei Punkte auf 28 Prozent. Die AfD als zweitstärkste Kraft konnte um einen Punkt auf 21 Prozent zulegen. SPD und Grüne bleiben bei 16 bzw. 14 Prozent.
Die Linke würde mit 8 Prozent (+1) sicher in den Bundestag kommen. FDP und BSW wären in Gefahr, nicht in das Parlament einzuziehen. Beide Parteien erreichen in der Umfrage jeweils 4,5 Prozent, jeweils einen halben Prozentpunkt mehr als in der Vorwoche.
TV-Runde auch noch am Samstagabend
Eine allerletzte Chance haben die Parteien noch, per TV an die Wählerinnen und Wähler ranzukommen. Die Sender ProSieben und SAT.1 veranstalten am Samstagabend ein «Speed-Dating», bei dem Bürger die Kanzlerkandidaten befragen können – alle bis auf Friedrich Merz. Der CDU-Chef ließ sich aus Termingründen entschuldigen.