Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat mit 1000 Tagen eine traurige Schallmauer durchbrochen. Moskau zerschießt dazu mit Raketen ukrainische Städte – und verschärft den Ton gegen den Westen.
Ukraine: 1.000 Tage Krieg – und es droht weitere Eskalation
In der Ukraine ist der 1.000. Tag des russischen Angriffskriegs angebrochen, und es gibt Sorgen um eine mögliche weitere Eskalation des Konflikts. Die ukrainischen Verteidiger sind an der Front stark unter Druck, während die Städte des Landes schweren Luftangriffen ausgesetzt sind. Gleichzeitig beschuldigt Moskau den Westen der Eskalation.
Im Osten der Ukraine gibt es heftige Kämpfe um die Kleinstadt Kurachowe am Stausee im Gebiet Donezk. Russische Truppen haben es geschafft, südlich und nördlich von Kurachowe nach Westen vorzudringen, was eine mögliche Einschließung bedeutet. Um die Stadt einzunehmen, hat die russische Armee laut Militärbeobachtern zuletzt auch zu verlustreichen Frontalangriffen gegriffen.
Selenskyj besucht umkämpfte Städte Pokrowsk und Kupjansk
Ein Stück weiter nördlich finden Kämpfe östlich von Pokrowsk statt, das ebenfalls in Donezk liegt. Die Fortschritte der Russen in dieser Region sind jedoch begrenzt. Die Situation hat sich jedoch weiter nördlich in der Region Charkiw gefährlich zugespitzt. Kürzlich gelang es einer kleinen Kolonne russischer Panzerfahrzeuge, in die strategisch wichtige Stadt Kupjansk einzudringen. Obwohl der Vorstoß mit dem Rückzug der russischen Soldaten endete, haben Militärbeobachter wie Jan Matwejew erschreckende Schwächen in der Verteidigungslinie der Ukrainer festgestellt und vor einer möglichen Wiederholung eines solchen Szenarios in größerem Maßstab gewarnt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der im Gegensatz zu Kremlchef Wladimir Putin bereits mehrfach in unmittelbarer Nähe der Front war, hat nun sowohl Pokrowsk als auch Kupjansk besucht und Soldaten ausgezeichnet. Die Reise diente wahrscheinlich der Stärkung der Truppenmoral. «Sowohl im Gebiet Donezk als auch in Charkiw halten wir unsere Positionen», sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft aus Kupjansk dazu.
Moskau berichtet von hohen Verlusten Kiews
Zahlen über Opfer im Krieg sind immer mit höchster Vorsicht zu genießen – nun hat das russische Verteidigungsministerium eine – nicht zu überprüfende – Zählung veröffentlicht. Laut dieser haben die ukrainischen Streitkräfte seit Kriegsbeginn vor exakt 1.000 Tagen über 900.000 Gefallene und Verwundete beklagt. Im laufenden Jahr soll Kiew mehr Soldaten verloren haben als in den beiden vorherigen Kriegsjahren, so die Staatsagentur Tass und das Ministerium. Die Gesamtverluste Kiews bisher wurden mit insgesamt 906.500 Toten und Verwundeten beziffert.
In solchen Konflikten lassen sich die Opferzahlen in der Regel nicht unabhängig überprüfen. Weder Moskau noch Kiew haben bisher genaue Angaben zu ihren jeweiligen Verlusten gemacht.
Zuletzt hatte die «New York Times» unter Berufung auf Militär- und Geheimdienstquellen der USA berichtet, dass bisher bereits 57.000 ukrainische Soldaten gefallen seien. Dies entspreche etwa der Hälfte der Verluste auf russischer Seite, hieß es.
Die Angaben zu den russischen Verlusten wurden zuletzt von der Nato auf über 600.000 Tote und Verwundete geschätzt. Westliche Geheimdienste berichteten von 200.000 Toten und 400.000 Verwundeten in den Reihen der Russen. Eine von ukrainischer Seite veröffentlichte Liste der russischen Verluste seit Kriegsbeginn spricht von über 722.000 getöteten oder verwundeten Russen.
London: Bisher 50.000 ukrainische Soldaten ausgebildet
Hilfe in ihrem Abwehrkampf bekommt die Ukraine vom Westen. Großbritannien hat so rund 50.000 Soldaten aus der Ukraine seit Kriegsbeginn ausgebildet. Der morgige Tag markiere einen «blutigen Meilenstein», an dem die illegale Invasion vor 1.000 Tagen begonnen habe, sagte Verteidigungsminister John Healey am Montag im Parlament in London. Er könne bestätigen, dass mittlerweile 50.000 Menschen aus der Ukraine trainiert worden seien.
Die Briten hatten die «Operation Interflex», die von anderen Staaten unterstützt wird, im Sommer 2022 begonnen. Nach Angaben der britischen Regierung werden etwa Rekrutinnen und Rekruten ausgebildet, die bisher nur wenig oder keine militärische Erfahrung haben. Das Programm soll auch im kommenden Jahr weitergehen.
Russland schießt mit Raketen und wirft Westen Eskalation vor
Jedoch ist der Druck nicht nur an der Front enorm: Russland hat den Beschuss ukrainischer Städte und ziviler Objekte – auch mit weitreichenden Raketen – in den letzten beiden Tagen erheblich intensiviert. Nach einem schweren Luftangriff auf Ziele in der gesamten Ukraine am Sonntag gab es auch am Montag viele Tote und Verletzte nach einem Raketeneinschlag in Odessa und einem in Sumy.
Russland hat derweil auf Medienberichte über eine angebliche Freigabe weitreichender US-Waffen an die Ukraine für einen Einsatz in Russland mit scharfer Kritik und einer Warnung reagiert. Sollte die Ukraine diese Waffen gegen Russland einsetzen, bedeute das eine direkte Verstrickung der USA und ihrer Verbündeten in den Krieg, schrieb die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa bei Telegram. «Russlands Antwort wird in so einem Fall adäquat und spürbar sein.» Nähere Details zu einer möglichen Reaktion gab sie nicht preis.
Die Freigabe bedeute eine «maximale Eskalation des gegen Russland entfachten hybriden Kriegs», sagte Sacharowa. Der Schritt sei gleichbedeutend mit einer radikalen Änderung des Kriegscharakters, da die USA und deren westliche Verbündete damit zu direkten Kriegsbeteiligten würden. Dass die USA dann direkt in den Krieg verwickelt seien, hatte Stunden zuvor schon Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärt. Beide berufen sich dabei auf eine Aussage von Russlands Präsident Wladimir Putin, der Ende Oktober behauptet hatte, ukrainische Soldaten könnten die Raketen gar nicht selbst bedienen.
Die US-Medien hatten zuvor übereinstimmend berichtet, dass der scheidende US-Präsident Joe Biden der Ukraine erstmals erlaubt hat, taktische Raketen des Typs ATACMS mit einer Reichweite von mehreren Hundert Kilometern gegen Ziele in Russland einzusetzen.
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha hat die mutmaßliche US-Erlaubnis als möglichen Wendepunkt im Krieg bezeichnet. «Kurz gesagt, es könnte ein Wendepunkt sein, und je weiter entfernt die Ukraine zuschlagen kann, desto kürzer wird der Krieg sein», sagte er vor einer Sitzung des Weltsicherheitsrates in New York.
Neue Drohnenangriffe
Die Kriegsparteien haben sich in der Nacht erneut mit Kampfdrohnen angegriffen. Ukrainische Drohnen wurden über der südrussischen Stadt Rostow am Don gesichtet, wie die Staatsagentur Tass berichtete. Eine Drohne wurde beim Anflug über der Hafenstadt Taganrog an der Küste des Schwarzen Meeres abgeschossen. Es wurden keine weiteren Angaben zu dem Drohnen-Einflug gemacht.
Am frühen Morgen drangen russische Drohnenschwärme aus verschiedenen Richtungen in die Ukraine ein. Einzelne Gruppen der Drohnen wurden über Kiew, Tscherkassy, Charkiw und Mykolajiw gesichtet.
Eine Kampfdrohne traf ein Wohnhaus in der Region Sumy. Laut Medienberichten gab es mehrere Tote und Verletzte. Die genaue Zahl wurde noch nicht genannt. Erst am Wochenende wurde ein weiteres Wohnhaus in Sumy von einer russischen Rakete getroffen. Dabei starben zwölf Menschen und über 50 Hausbewohner wurden verletzt.
Solidaritätskundgebung für die Ukraine in Köln
Anlässlich des 1.000. Kriegstages ist am Dienstag (18.00 Uhr) in Köln eine Solidaritätsdemonstration für die Ukraine geplant. Bei der Kundgebung wird die Bundesregierung aufgefordert, die Unterstützung für die Ukraine deutlich zu erhöhen. Die Veranstaltung wird vom deutsch-ukrainischen Verein Blau-Gelbes-Kreuz organisiert, und laut Polizeiangaben haben sich 2.000 Teilnehmer angemeldet.