Experten erwarten eine baldige Gegenoffensive russischer Truppen bei Kursk. Aus den USA kommen schlechte Nachrichten für Kiew: Trump macht einen scharfen Kritiker der US-Hilfen zum Sicherheitsberater.
Vor erwarteter Kursk-Offensive: Ukraine fordert freie Hand
Vor der erwarteten Gegenoffensive Russlands im russischen Grenzgebiet bei Kursk fordert die Ukraine einen Kurswechsel ihrer Unterstützer. Die USA, Großbritannien und Deutschland müssten den Einsatz der von ihnen zur Verfügung gestellten Langstreckenwaffen gegen Ziele tief in russischem Gebiet erlauben, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Telegram «Das ist unerlässlich. Je weiter unsere Raketen und Drohnen einschlagen können, desto weniger reale Kampffähigkeit wird Russland haben.»
Zweieinhalb Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs begann die Ukraine im August ihre überraschende Offensive auf Kursk. Obwohl Russland seitdem einige Siedlungen zurückerobert hat, hat sich die Frontlinie in letzter Zeit kaum verändert. Aufgrund fehlender Erlaubnis ihrer westlichen Verbündeten setzt die Ukraine bisher nur Kampfdrohnen gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet ein.
Laut US-Medienberichten hat Russland im Frontgebiet Zehntausende Soldaten zusammengezogen, darunter kürzlich eingetroffene Truppen aus Nordkorea. Mit ihnen soll in den kommenden Tagen bei Kursk eine Gegenoffensive gestartet werden. Selenskyj hatte bereits vor wenigen Tagen erwähnt, dass einige der 11.000 nordkoreanischen Soldaten im russischen Grenzgebiet Kursk in Kämpfe mit der ukrainischen Armee verwickelt seien.
Ukraine: 50.000 russische Soldaten bei Kursk gebunden
Laut Selenskyjs Angaben bindet die Ukraine durch den Vorstoß ihrer Truppen bei Kursk rund 50.000 russische Soldaten im Frontgebiet. Diese könnten nicht an anderen Frontstellungen der Russen auf ukrainischem Gebiet eingesetzt werden. Die Angriffe auf russische Waffenlager hätten auch Artilleriebestände der Besatzer verringert, was sich im Kampfgebiet bemerkbar mache. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Trump macht Kritiker der Ukraine-Hilfen zu Sicherheitsberater
Es wird immer offensichtlicher, dass die Ukraine nach dem Regierungswechsel in den USA damit rechnen muss, dass ihre Hilfe von ihrem größten Unterstützer drastisch reduziert oder sogar beendet wird. Der designierte US-Präsident Donald Trump ließ diese Möglichkeit bereits im Wahlkampf anklingen und plant nun Berichten zufolge, den wichtigen Posten des Nationalen Sicherheitsberaters mit dem republikanischen Abgeordneten Mike Waltz zu besetzen. Waltz hat bereits ein Umdenken in Bezug auf die US-Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg gefordert.
Im vergangenen Jahr schrieb er in einem Meinungsbeitrag bei Fox News mit Blick auf die republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus: «Die Ära der Blankoschecks für die Ukraine vom Kongress ist vorbei.» Er argumentierte unter anderem, dass die europäischen Länder einen noch größeren Beitrag leisten müssten. Zugleich meinte Waltz, die USA hätten gegen Russland das Druckmittel, die Einschränkungen für den Einsatz der an die Ukraine gelieferten amerikanischen Waffen aufzuheben.
Trump hatte während des Wahlkampfs versprochen, den Konflikt in der Ukraine schnell zu beenden. Wie er dies umsetzen möchte, hat er bisher nicht erklärt. Sowohl der abtretende US-Präsident Joe Biden als auch die ukrainische Führung befürchten, dass unter Trump die US-Militärhilfe für die Ukraine versiegen könnte, was es den Verteidigern ermöglicht hat, größere Gebietsverluste durch die russischen Invasoren zu verhindern.
Borrell: «Ukraine ist Teil der europäischen Familie»
Während seines Besuchs in Kiew sicherte EU-Chefdiplomat Josep Borrell weitere Unterstützung für das angegriffene Land zu. «Wir müssen weiterhin fest an der Seite der Ukraine stehen. Bis sie sich durchsetzt», schrieb er auf der Plattform X. «Die Ukraine ist Teil der europäischen Familie.» Er habe Selenskyj bei einem Treffen zugesagt, dass das Ziel der Lieferung von einer Million Artilleriegeschosse bis Ende des Jahres erreicht werde.
Ukraine im Osten unter schwerem Druck
Derweil wächst der Druck auf die Ukraine auf dem Schlachtfeld: Wegen der vorrückenden russischen Truppen wurde im ostukrainischen Gebiet Charkiw die Zwangsevakuierung von zehn weiteren Ortschaften angeordnet. «Der Feind beschießt dort ständig unsere zivilen Siedlungen», begründete Gouverneur Oleh Synjehubow die Maßnahme im ukrainischen Fernsehen. Seit 10. September seien gut 6.500 Menschen evakuiert worden, sagte er.
Das Gebiet wurde im Herbst 2022 nach gut fünf Monaten Besatzung im Zuge einer ukrainischen Gegenoffensive befreit. In den letzten Wochen gerieten die ukrainischen Truppen aufgrund des verstärkten Einsatzes russischer Gleitbomben in der Region zunehmend unter Druck.
Bei Kurachowe im Osten der Ukraine droht den Verteidigern nach Angaben des regierungsnahen ukrainischen Militärkanals «Deep State» eine Katastrophe. Die Stadt sei bereits von drei Seiten eingeschlossen. Inzwischen versuchten die russischen Einheiten, das dort postierte ukrainische Militär von der Versorgung abzuschneiden und einzukesseln, teilten die Militärexperten mit. Die Lage der ukrainischen Truppen im Donezker Gebiet verschlechtert sich seit Anfang August rapide.
Russische Truppen führten im Osten der Ukraine im Tagesverlauf 125 Angriffe auf die ukrainischen Verteidigungslinien, wie der Generalstab in Kiew in seinem abendlichen Lagebericht mitteilte. Aus der Region Kurachowe seien 21 russische Attacken gemeldet worden. Bei Pokrowsk habe es 14 Kämpfe «unterschiedlicher Intensität» gegeben. Auch diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Ukraine baut Drohnenabwehr aus
Um ihren Luftraum besser vor russischen Angriffen zu schützen, hat die ukrainische Militärführung beschlossen, die bereits vorhandenen mobilen Trupps zur Bekämpfung von Drohnen zu verstärken, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. In einer Reihe von ukrainischen Städten wurde am späten Montagabend aufgrund neuer russischer Drohnenschwärme Luftalarm ausgelöst.