Die Ukraine steht wegen des russischen Angriffskrieges militärisch, aber auch wirtschaftlich und politisch schwer unter Druck. Nun wechselt Präsident Selenskyj die Regierung aus.
Ukraine: Vize-Ministerpräsidentin soll neue Regierung leiten
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die stellvertretende Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko beauftragt, die Regierung zu leiten. Selenskyj teilte nach einem Gespräch mit Swyrydenko bei Telegram mit, dass sie die Regierung umgestalten solle. Den bisherigen Regierungschef Denys Schmyhal hatte Selenskyj bereits 2020, also vor dem russischen Angriffskrieg, ernannt.
Die Ernennung soll das Wirtschaftspotenzial der Ukraine besser nutzen. „Wir haben auch über Maßnahmen zur Verbesserung der Unterstützung für die Bürgerinnen und Bürger im Land sowie über eine Verzehnfachung der Rüstungsproduktion gesprochen“, verkündete Selenskyj.
Neue Regierungschefin ist Wirtschaftsexpertin
Swyrydenko wird als Expertin für Wirtschaft und Handel angesehen. Die Politikerin, die 1985 in der Region Tschernihiw nördlich von Kiew geboren wurde, war zunächst in der Lokalpolitik und im Privatsektor tätig, bevor sie nach Selenskyjs Wahlsieg 2019 in die Regierung berufen wurde; zunächst als stellvertretende Wirtschaftsministerin. Später wurde sie zur stellvertretenden Leiterin der Präsidialverwaltung ernannt und seit 2021 ist sie Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. Seit Beginn des Krieges kümmert sie sich um die Beschaffung internationaler Hilfe und Kredite.
Die Regierungsbildung kommt nicht völlig unerwartet. Der bisherige Regierungschef Schmyhal verfügte über relativ geringen Einfluss. Der Abgeordnete der kleinen proeuropäischen Partei «Holos», Jaroslaw Schelesnjak, hatte Mitte Juni den Sturz Schmyhals vorausgesagt. Dessen Kabinett «verliert mehr und mehr an Unterstützung», sagte er damals.
Spekulationen um Regierungsumbildung
Es gab auch zunehmend Spekulationen über eine weitere wichtige Personalie: Verteidigungsminister Rustem Umjerow wurde als möglicher Botschafter in Washington gehandelt. Selenskyj soll Medienberichten zufolge beabsichtigen, US-Präsident Donald Trump entgegenzukommen, indem er die bisherige Botschafterin Oksana Markarowa ablöst. Die Republikaner werfen Markarowa angeblich eine zu enge politische Nähe zu den Demokraten vor.
Umjerow wird als Vertrauter Selenskyjs angesehen und konnte bereits gute Kontakte in Washington knüpfen. Selenskyj selbst hatte am Wochenende in seiner abendlichen Videobotschaft die Spekulationen angeheizt. Er sagte, dass sowohl das Verteidigungsministerium als auch die Diplomatie, insbesondere die Beziehungen zu den USA, eine neue Dynamik benötigen.
Kurz vor der Ernennung Swyrydenkos hatte Selenskyj ein längeres Treffen mit dem US-Sondergesandten für die Ukraine, Keith Kellogg. Für Kiew ist ein gutes Verhältnis zu Washington wichtig, um weiter auf Waffenlieferungen und andere Unterstützung aus den USA hoffen zu können. Erst am Sonntagabend (Ortszeit) hatte Trump angekündigt, Patriot-Waffensysteme an die Europäische Union zu verkaufen, damit sie an die Ukraine geliefert werden können. Einem US-Medienbericht zufolge will Trump heute zudem eine Erklärung zu seiner Russland-Politik abgeben.