Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Umbruch in Syrien: Anlass zur Freude, Anlass zur Sorge

Der alte Machthaber ist weg, das lässt Optimismus aufkommen. Die neuen Herren wirken «vernünftig», wurzeln aber im islamischen Fundamentalismus. Regionale Mächte verfolgen ihre eigenen Interessen.

Beim Neuanfang in Syrien ist Optimismus angesagt, auch wenn es Anlass zu Sorge geben mag.
Foto: Khalil Hamra/AP/dpa

Eine Woche nach dem Sturz von Baschar al-Assad setzen sich westliche und arabische Politiker für einen friedlichen Übergang zu einer neuen politischen Führung in Syrien ein. Regionale Mächte wie Israel und die Türkei zeigen gleichzeitig Interesse daran, das aktuelle Machtvakuum in Syrien für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Die neue Führung in Damaskus plant, sich auf den Wiederaufbau zu konzentrieren. Vor einer Woche übernahm eine Rebellenallianz, angeführt von Islamisten, die Macht.

Skepsis gegenüber Rebellen in Damaskus 

Beobachter in der arabischen Welt betrachten die syrische Rebellenallianz mit gemischten Gefühlen. «Wir hören von ihnen vernünftige und rationale Erklärungen über Einheit und darüber, nicht allen Syrern ein System überzustülpen», sagte Anwar Gargasch, der diplomatische Berater des Präsidenten der VAE, Scheich Mohammed bin Sajid Al Nahjan, auf einer Sicherheitskonferenz in Abu Dhabi. 

«Aber andererseits sind die Natur dieser neuen Kräfte, ihre Verbindungen zur (islamistischen) Muslimbruderschaft und zu Al-Kaida sehr besorgniserregende Indikatoren», zitierte ihn die in London ansässige Internet-Zeitung «thelevantnews.com». Man müsse aber sowohl optimistisch als auch mit Vorsicht an das neue Syrien herangehen. 

Gargasch kritisierte Israel für seine Kampagne der Zerstörung der syrischen Militärkapazitäten. «Aus israelischer Sicht mag das richtig sein, aber ich denke, es ist eine dumme Politik.» Vielmehr sollte man «in der Vergangenheit gemachte Fehler» vermeiden. Der Berater spielte auf den Einmarsch der Amerikaner im Irak 2003 an. Das US-Militär hatte den Zerfall der irakischen Armee nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein gefördert, worauf das Land in ein jahrelanges Bürgerkriegschaos versank. 

Israel bombardiert große Waffenlager 

In der Zwischenzeit setzte Israel seine Luftangriffe auf Militäranlagen im Umland von Damaskus fort. Laut der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bombardierte die Luftwaffe allein am Samstag 35 Ziele. Darunter befanden sich Bergstollen, in denen das Militär der Assad-Regierung Raketen und schwere Munition gelagert hatte. Die israelischen Streitkräfte rechtfertigen ihre Angriffe damit, dass sie verhindern möchten, dass das Kriegsmaterial in die Hände von Islamisten fällt.

Nach dem Sieg seiner Rebellenallianz äußerte sich der Anführer der islamistischen Aufständischen in Syrien, Ahmed al-Scharaa, erstmals kritisch über die israelischen Militäreinsätze in Syrien. Israels Vorwände seien ungerechtfertigt, sagte der Chef der stärksten Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Sham (HTS) im oppositionellen Sender Syria TV. Bis vor kurzem war er unter seinem Kampfnamen Mohammed al-Dschulani bekannt.

Laut der Beobachtungsstelle hat Israel seit dem Umsturz in Syrien nicht nur 430 Luftangriffe durchgeführt, sondern auch Truppen in Gebiete jenseits der Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen verlegt. Israelische Soldaten sind in eine sogenannte Pufferzone eingedrungen, die gemäß dem Waffenstillstandsabkommen von 1974 unter UN-Überwachung steht.

Al-Scharaa sagte: «Die Israelis haben eindeutig die Waffenstillstandslinie in Syrien überschritten, in eine Weise, dass dies zu einer unnötigen Eskalation in der Region führen kann.» Zugleich betonte er, dass sich die neue Führung Syriens auf den Wiederaufbau konzentrieren und sich nicht in neue Konflikte ziehen lassen wolle.

Bericht: Israel und Jordanien führten geheime Gespräche zu Syrien

Vertreter aus Israel und Jordanien sind einem Medienbericht zufolge unterdessen zu geheimen Gesprächen über die Lage in Syrien zusammengekommen. Bei den Gesprächen sei es unter anderem um Sicherheitsbelange der beiden Länder gegangen berichtete das Nachrichtenportal «Axios» unter Berufung auf mehrere israelische Beamte. Beide Länder grenzen an Syrien, das in dieser Umbruchphase besonders fragil ist. An den Gesprächen nahmen demnach auf der israelischen Seite der Direktor des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet und ranghohe Offiziere der Armee sowie auf jordanischer Seite der Direktor des Geheimdienstes und hochrangige jordanische Militärkommandeure teil.

Gipfel in Jordanien

Bei einem Gipfeltreffen im jordanischen Rotmeer-Bad Akaba hatten arabische und internationale Diplomaten zuvor dem neuen Syrien ihre Unterstützung ausgesprochen. «Wir alle stehen Syrien in der Wiederaufbauphase nach Jahren des Tötens zur Seite», sagte der jordanische Außenminister Aiman al-Safadi. Er sprach von einem historischen Moment. 

US-Außenminister Antony Blinken sagte vor Journalisten: «Wir waren uns einig, dass der Übergangsprozess unter syrischer Führung und in syrischer Verantwortung erfolgen muss und eine inklusive und repräsentative Regierung hervorbringen sollte.» Der türkische Außenminister Hakan Fidan sagte: «Die nächsten Tage werden nicht einfach sein, aber die Türkei wird weiterhin Seite an Seite des syrischen Volks stehen.» Die Türkei, die die siegreichen Rebellen unterstützt, wird nach dem Machtwechsel als einflussreichster ausländischer Akteur gehandelt.

https://x.com/ForeignMinistry/status/1867973913885491606

Bei dem Treffen waren auch die Außenminister aus Saudi-Arabien, dem Irak, dem Libanon, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain und Katar anwesend. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, nahm ebenfalls an dem Sondergipfel teil. Syrische Vertreter fehlten.

Bürgermeister in Doppelrolle als Hamas-Kader?

Im Gazastreifen setzte Israel weiterhin seine Angriffe gegen Widerstandsnester der islamistischen Hamas fort. Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa bombardierte die Luftwaffe unter anderem das Gemeindehaus in der Stadt Deir al-Balah, wo Dutzende Vertriebene untergebracht waren. Mindestens zehn Menschen starben und viele weitere wurden verletzt.

Es wird angenommen, dass unter den Getöteten auch der Bürgermeister ist. Die Informationen konnten zunächst nicht unabhängig bestätigt werden. Die israelische Armee gab später bekannt, dass der Bürgermeister auch als Kader des militärischen Flügels der Hamas fungierte. Er soll die Kampfeinsätze der islamistischen Miliz – auf nicht näher beschriebene Weise – unterstützt haben. Der Angriff richtete sich angeblich gegen ihn, so die Armee. Auch diese Informationen konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Wütende Geisel-Angehörige 

Rund 2.000 Menschen demonstrierten erneut vor dem israelischen Armeehauptquartier in Tel Aviv für einen Geisel-Deal und für die Beendigung des Gaza-Kriegs. Angehörige der von Islamisten in den Gazastreifen verschleppten Geiseln richteten wütende Appelle an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, wie die «Times of Israel» berichtete. 

Die Rednerinnen und Redner beschuldigten den Regierungschef, die Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der islamistischen Hamas absichtlich zu verzögern, um den Krieg im Gazastreifen fortzusetzen. Sie werfen ihm vor, aus Rücksicht auf seine rechtsextremen und ultra-religiösen Koalitionspartner so zu handeln. Diese streben eine dauerhafte Besetzung und jüdische Besiedlung des Gazastreifens an. Netanjahu sagt wiederum, die Geiseln könnten nur durch militärischen Druck befreit werden.

dpa