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Umbruch in Syrien: Was bedeutet der Sturz Assads?

Jahrelang herrschte in Syrien ein Patt, das fast eine Art Stabilität suggerieren konnte. Die Blitzoffensive von Rebellen treibt Machthaber Assad in die Flucht – und das Land in ungewisse Zeiten.

Nach mehr als 50 Jahren endet in Syrien die Herrschaft der Assad-Familie.
Foto: Juma Mohammad/IMAGESLIVE via ZUMA Press Wire/dpa

Die Ereignisse überschlagen sich: In weniger als zwei Wochen hat eine Allianz aus Aufständischen in Syrien die Kontrolle über die wichtigsten Städte übernommen und Syriens Machthaber Baschar al-Assad in die Flucht geschlagen. Nach bald 14 Jahren Bürgerkrieg beginnt in dem arabischen Land der nächste große Umbruch.

Ist die Assad-Regierung jetzt endgültig gestürzt?

Eine Rückkehr Assads an die Macht scheint nach seiner Flucht aus Damaskus praktisch ausgeschlossen zu sein. Seine schwache Regierung konnte sich in den letzten Jahren nur mit der Unterstützung Russlands, des Irans, der libanesischen Hisbollah und anderer Iran-treuer Milizen halten. Assad dürfte – falls er die Flucht überlebt hat – untertauchen, möglicherweise in Moskau. Selbst die Armee, Assads wichtigster syrischer Unterstützer, hat das Ende seiner Regierung verkündet. Syrien wurde jahrzehntelang von der Assad-Familie regiert, wobei Assads Vater Hafis 1970 zum de facto Alleinherrscher wurde.

Wie geht es in Syrien jetzt weiter?

Es ist nicht klar. Die Allianz der Aufständischen, die in großen Gebieten einschließlich der Hauptstadt Damaskus die Kontrolle übernommen haben, wird von der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) geführt. Früher hatte sie Verbindungen zu den Terrororganisationen Islamischer Staat (IS) und Al-Kaida. Sie distanzierte sich jedoch später öffentlich von ihnen. Der Anführer Abu Mohammed al-Dschulani tritt seit einigen Tagen unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa auf und äußert sich eher diplomatisch und versöhnlich. HTS wurde zuvor auch Folter und Hinrichtungen vorgeworfen. Die EU und die USA stufen HTS als Terrororganisation ein.

Wird HTS die Macht in Syrien allein übernehmen?

Nein. HTS ist die stärkste der Rebellenfraktionen, die sich mit anderen Gruppen zusammengeschlossen haben, um gemeinsam gegen Assad zu kämpfen. Nach dem Sturz der Assad-Regierung könnte jedoch die Rivalität zwischen diesen Gruppen wieder zunehmen und in einem Machtvakuum zu neuen Kämpfen führen. Im Norden gibt es auch andere Rebellenfraktionen, die von der Türkei unterstützt werden, Kurdenmilizen im Nordosten sowie Zellen der Terrorgruppe IS, die Anschläge verüben. Es ist ungewiss, welche Gruppe oder möglicherweise ein neues Bündnis die Kontrolle übernehmen könnte und welche Rolle die Soldaten und anderen Sicherheitskräfte spielen werden, die bisher loyal zu Assad standen.

Was bedeutet Assads Sturz für Syrien und den verbündeten Iran?

Laut Kritikern stürzt mit Assad einer der größten und brutalsten Machthaber des Nahen Ostens, der unter anderem Giftgas und Folter gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Die nun umfallenden Assad-Denkmäler erinnern an den Sturz der Langzeitherrscher im Irak und in Libyen, Saddam Hussein und Muammar Gaddafi. Viele Syrer feiern Assads Ende, während andere gleichzeitig eine neue Gewaltherrschaft unter den aufständischen Islamisten befürchten.

Der Iran verliert mit Assad einen wichtigen strategischen Alliierten. Teheran finanzierte die Assad-Regierung und half ihr militärisch, auch um Syrien als «Korridor» zur Hisbollah-Miliz im Libanon zu nutzen. Mit dem Machtwechsel in Syrien gerät die iranische Nahostpolitik – und insbesondere der Kampf gegen Erzfeind Israel – in eine Sackgasse. Kritiker werfen der iranischen Führung vor, mit ihrer Fehlkalkulation in Syrien Milliarden US-Dollar in den Sand gesetzt zu haben.

Einige sehen im Sturz Assads sogar den großen Wendepunkt für die sogenannte «Achse des Widerstands», die der Iran gegen Israel gebildet hat. Nach der Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija sowie Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und nun der Flucht Assads wurden innerhalb weniger Monate drei Spitzenfiguren der «Achse» ausgeschaltet. Ein Mitglied der Revolutionsgarden (IRGC), die Assads Regierung lange am Leben hielten, vergleiche die Ereignisse in Syrien mit dem Fall der Berliner Mauer, berichtet eine Iran-Reporterin der «New York Times»

Wie wirkt Assads Sturz sich auf Nachbar Israel aus?

Israel beobachtet aufmerksam die Ereignisse im nördlichen Nachbarland Syrien. Der Sturz Assads wird als schwerer Schlag für Israels Erzfeind Iran betrachtet. Da die wichtige Landverbindung zwischen dem Iran und dem Mittelmeer unterbrochen ist, wird es wahrscheinlich auch schwierig sein, die Hisbollah wieder aufzurüsten, gegen die Israel bis zu einer Waffenruhe vor anderthalb Wochen Krieg führte. All dies spielt Israel in die Hände.

Gemäß israelischer Perspektive ist der Sturz der Herrschaft von Assad ein Teil einer regionalen Kettenreaktion, die mit dem Terrorangriff der Hamas und anderer extremistischer Gruppen auf Israel am 7. Oktober 2023 begann.

Was könnte in der Region folgen?

Der israelische Analyst Udi Evental spricht von einem «regionalen Erdbeben» durch den Sturz Assads. Er rechne nun mit mehreren möglichen «Nachbeben» in der Region. Die islamistische Hamas im Gazastreifen und die schiitische Hisbollah im Libanon seien bereits weitgehend geschlagen. Der «Feuerring», mit dem iranische Helfershelfer Israel innerhalb gut eines Jahrzehnts umgeben hätten, sei mit den Ereignissen in Syrien praktisch komplett zerstört.

Evental sieht nun bessere Chancen für eine Waffenruhe und einen Geisel-Deal im Gazastreifen nach mehr als einem Jahr des verheerenden Kriegs in dem Küstenstreifen. «Die Hamas hat die Unterstützung der (iranischen) Achse verloren, bleibt allein zurück und signalisiert wachsendes Interesse an einer Einigung.» Damit biete sich die Möglichkeit, vor einem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident im Januar «reinen Tisch zu machen», damit man sich «gemeinsam auf die zentrale Bedrohung konzentrieren kann: das iranische Atomprogramm».

Welche Rolle spielen Russland, die Türkei und die USA?

Die Veränderungen in Syrien werden seit einigen Jahren nicht mehr nur in Damaskus, sondern auch in Teheran und Ankara vorangetrieben. Russland unterstützte Assad im Bürgerkrieg mit Luftangriffen, hat aber aufgrund des Ukraine-Konflikts seine Truppen im Land reduziert. Trotzdem wird Moskau wahrscheinlich bestrebt sein, seine bedeutenden Luft- und Marine-Stützpunkte an der Mittelmeerküste zu behalten, aufgrund ihrer Nähe zu Europa und zur Absicherung seiner Interessen in Afrika.

Es ist unklar, ob es in Zukunft Absprachen mit den neuen Machthabern in Syrien geben wird, insbesondere bei Ländern wie Russland und der Türkei, die Gebiete im Norden des Landes besetzt halten. Experten vermuten, dass die Türkei die Offensive gegen Assad zumindest gebilligt hat, um Druck auf ihn auszuüben. Bisher hat Assad eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei abgelehnt, was Präsident Recep Tayyip Erdogan verärgert hat. Erdogan möchte aufgrund der Spannungen in seinem Land unter anderem Flüchtlinge nach Syrien zurückschicken. Er hat auch klargestellt, dass er eine Ausweitung der Präsenz kurdischer Milizen an der Grenze zur Türkei nicht akzeptieren wird.

Die USA haben noch einige Hundert Soldaten in Syrien stationiert, um gegen die Terrormiliz IS zu kämpfen. Sie fungieren jedoch auch als eine Art westlicher Keil im Einflussgebiet des Irans. Nach Trumps Amtsantritt in Washington, der bereits 2019 einen Truppenabzug aus Syrien angeordnet hatte, könnten sich die militärischen Kräfteverhältnisse erneut verändern. Trump betonte nun, dass er nicht möchte, dass die USA sich in irgendeiner Weise in die Krise in Syrien einmischen, da es nicht ihr Kampf sei.

Was geschieht mit den Millionen syrischen Flüchtlingen?

Syrien war in den vergangenen Jahren keineswegs ein sicheres Land für eine Rückkehr. Diejenigen, die vor Assads Truppen, seinen Verbündeten oder anderen bewaffneten Gruppen im Bürgerkrieg ab 2011 geflohen sind, könnten jetzt dennoch darüber nachdenken, zurückzukehren. In der Türkei leben über drei Millionen syrische Flüchtlinge, sowie viele weitere im Libanon, Jordanien und Ägypten. Während des Bürgerkriegs wurden mehr als 14 Millionen Menschen vertrieben, davon etwa die Hälfte innerhalb des eigenen Landes.

dpa