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Gaza: Tausende wollen ausreisen – Kliniken kaum arbeitsfähig

Eine UN-Organisation spricht von einer «beispiellosen Tragödie» unter Zivilisten im Gazastreifen. Und ein Kinderarzt warnt, dass Krankenhäuser bald zu «Friedhöfen» werden. Der Überblick.

Israel hat den Gazastreifen abgeriegelt und massive Luft- und Bodenangriffe begonnen.
Foto: Mohammad Abu Elsebah/dpa

Die Not der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wächst laut UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA weiter. «Das Ausmaß der Tragödie ist beispiellos», sagte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini.

Im umkämpften Gazastreifen warten nach Angaben Ägyptens rund 7000 ausländische Staatsangehörige aus 60 Ländern auf die Ausreise. Das teilte das Außenministerium in Kairo mit. Die israelische Armee griff nach eigenen Angaben seit Kriegsbeginn am 7. Oktober mehr als 12.000 Ziele im Gazastreifen an.

Rund 400 Ausländer und Palästinenser mit doppelter Staatsangehörigkeit verließen den Gazastreifen und kamen im ägyptischen Teil des Grenzübergangs Rafah an, wie der Ägyptische Rote Halbmond der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.

Heftige Kämpfe im Norden des Gazastreifens

Im Norden des Gazastreifens kam es in der Nacht zu heftigen Gefechten zwischen israelischen Soldaten und Mitgliedern der Hamas. Der bewaffnete Arm der im Gazastreifen herrschenden Islamistenorganisation, die Kassam-Brigaden, berichtete von Kämpfen im Nordwesten.

Die israelische Armee teilte mit, Soldaten seien auf «Terrorzellen» gestoßen, die mit Panzerabwehrraketen, Sprengsätzen und Handgranaten angegriffen hätten. «Dutzende Terroristen» seien getötet und Infrastruktur der Hamas zerstört worden. Das Militär machte keine Angaben zu Opfern in den eigenen Reihen.

Israel reagierte mit Angriffen im Gazastreifen auf das schlimmste Massaker in seiner Geschichte, das Terroristen der Hamas und anderer Extremistengruppen im Grenzgebiet verübt hatten. Das israelische Fernsehen berichtete, nach neuesten Erkenntnissen seien an dem Überraschungsangriff rund 3000 Terroristen beteiligt gewesen.

Offenbar 1000 weitere Ziele im Visier

Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben inzwischen 12.000 Ziele angegriffen, am Mittwoch war noch die Zahl von 11.000 genannt worden. Darunter seien Waffenlager, Gebäude von führenden Mitgliedern der Hamas, Terroristen und Raketenarsenale gewesen, teilte Armee-Sprecher Daniel Hagari auf der Plattform X (ehemals Twitter) mit.

Die Armee betont seit Kriegsbeginn stets, nur Hamas-Ziele im Gazastreifen anzugreifen. Allerdings lösen die hohe Zahl an zivilen Opfern in dem dicht besiedelten Küstengebiet sowie die katastrophale Lage für die Bewohner international zunehmend Kritik aus.

Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen ist seit Beginn des Kriegs laut dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium auf 9061 gestiegen, unter ihnen 3760 Kinder und Jugendliche und 2326 Frauen. Die Zahlen der Behörde lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Arzt in Gaza: «Operationen werden ohne Anästhesie durchgeführt»

Ein leitender Kinderarzt im Gazastreifen warnt davor, dass die Krankenhäuser bald zu «Friedhöfen» werden. Hussam Abu Safija, der leitende Kinderarzt im Kamal-Adwan-Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir tun unser Möglichstes, aber wir brauchen bessere medizinische Versorgung, sonst werden unsere Krankenhäuser zu Friedhöfen.»

Ärzte müssten primitive Mittel zur Versorgung der Patienten nutzen. «Einige Operationen werden ohne Anästhesie durchgeführt», sagte er. «Um die Wunden von verletzten Kindern zu säubern, musste ich mit Wasser vermischtes Chlor verwenden.» Das Krankenhaus habe keine Schmerzmittel und Antibiotika mehr. Operationen würden mit Handylichtern durchgeführt.

Israels Armeechef stellt Treibstofflieferungen in Aussicht

Nach Darstellung des israelischen Armeechefs wird Israel Treibstofflieferungen unter Aufsicht in den Gazastreifen zulassen, sofern es dort in den Krankenhäusern keinen mehr gibt. Seit mehr als einer Woche heiße es, dass den Kliniken der Treibstoff ausgehe, dies sei aber noch nicht passiert, sagte Herzi Halevi laut einer Erklärung zu Journalisten. «Wir werden sehen, wann dieser Tag kommt.» Die Lage werde jeden Tag überprüft. Israel befürchtet einen Missbrauch des Treibstoffs durch die Hamas.

Die Krankenhäuser im Gazastreifen können nach Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums kaum noch arbeiten. 16 von insgesamt 35 Krankenhäusern könnten wegen Treibstoffmangels keine Patienten mehr behandeln, teilte ein Sprecher. Sie brauchen für ihre Generatoren Treibstoff, um Strom zu erzeugen. Andere Kliniken könnten nur sehr eingeschränkte Versorgung leisten, hieß es weiter.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe keine Treibstofflieferungen in den Gazastreifen genehmigt, stellte dessen Büro Medienberichten zufolge nach Bekanntwerden von Halevis Erklärung klar.

UNRWA: Humanitäre Feuerpause längst überfällig

Angesichts zahlreicher ziviler Opfer und der angespannten Versorgungslage während der israelischen Angriffe forderte das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA erneut eine Feuerpause. «Eine humanitäre Feuerpause ist längst überfällig», sagte Generalkommissar Lazzarini nach seinem ersten Besuch im Gazastreifen seit Kriegsbeginn. Die Not und die unhygienischen Lebensbedingungen seinen jenseits der Vorstellungskraft.

Inzwischen rund 270 Lastwagen mit Hilfsgütern angekommen

Im Gazastreifen trafen weitere 55 Lastwagen mit dringend benötigten Hilfsgütern ein. Sie hätten Wasser, Essen und Arzneimittel von Ägypten aus über die Grenze gebracht, teilte der Palästinensische Rote Halbmond mit. Damit seien seit Beginn des Kriegs insgesamt 272 Lastwagen dort eingetroffen. Die Lieferung von Treibstoff sei bisher nicht genehmigt worden, hieß es weiter. UN-Angaben zufolge bräuchte es täglich 100 Lkw-Ladungen, um die mehr als zwei Millionen Menschen im umkämpften Gazastreifen mit dem Nötigsten zu versorgen.

Ein Toter bei Anschlag im Westjordanland

Bei einem Anschlag im von Israel besetzten Westjordanland ist nach israelischen Angaben ein Mann getötet worden. «Terroristen haben auf ein Auto geschossen», teilte die Armee mit. Bei Einsätzen des israelischen Militärs im Westjordanland sind nach palästinensischen Angaben drei Menschen getötet worden. Ein Palästinenser sei in Kalkilia im Norden des von Israel besetzten Palästinensergebietes getötet worden, zwei weitere bei Ramallah, teilte das Gesundheitsministerium in Ramallah mit.

Gefechte an der libanesisch-israelischen Grenze

An der Grenze zwischen dem Libanon und Israel kam es erneut zu Gefechten. Die israelische Armee beschoss und traf nach eigenen Angaben eine «Terrorzelle» im libanesischen Grenzgebiet. Diese habe versucht, Panzerabwehrraketen nach Nordisrael zu schießen, teilte das Militär mit. Die Schiitenorganisation Hisbollah erklärte, ein israelisches «Spionagesystem» getroffen zu haben. Einer libanesischen Sicherheitsquelle zufolge beschoss das israelische Militär als Reaktion Dörfer im Grenzgebiet.

Israel dementiert Krise in Beziehungen zu Bahrain

Israel wies Berichte über eine Abberufung seines Botschafters in Bahrain sowie des bahrainischen Botschafters in Israel zurück. Ein Sprecher des Außenministeriums in Jerusalem teilte mit, es gebe «keine Mitteilung oder Entscheidung der Regierung in Bahrain und der israelischen Regierung, die Botschafter der Länder abzuberufen». Die Beziehungen beider Länder seien stabil. Das Außenministerium in Bahrain äußerte sich zunächst nicht.

Das bahrainische Parlament hatte zuvor mitgeteilt, der Golfstaat habe seinen Botschafter abberufen. Der israelische Botschafter habe das Königreich verlassen. Alle Wirtschaftsbeziehungen mit Israel würden demnach eingestellt. Bahrain bekräftigte seine «feste Unterstützung für die palästinensische Sache», hieß es.

WHO: Keine Kenntnis über Hamas-Stellungen in Kliniken

Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegen keine Informationen über Hamas-Stützpunkte in Krankenhäusern im umkämpften Gazastreifen vor. Das sagte der oberste Krisenmanager der UN-Organisation, Mike Ryan, in Genf. Die WHO stehe in engem Kontakt mit dem medizinischen Personal vor Ort. Was sich eventuell unterhalb dieser Kliniken abspiele, sei der WHO nicht bekannt, schränkte Ryan ein.

dpa