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Europawahl: SPD, Grüne und FDP enttäuscht, AfD auf dem Vormarsch

Die Parteien landeten hinter der AfD, die sich stark präsentierte. Die Ergebnisse wirken sich auf die Bundespolitik aus.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sieht nach dem Sieg der Union bei der Europawahl in Deutschland vor allem eine Niederlage der Ampel-Koalition von Kanzler Olaf Scholz.
Foto: Fabian Sommer/dpa

Es war ein dunkler Abend für die Ampel: SPD, Grüne und FDP haben nach den ersten Prognosen bei der Europawahl zusammen nicht einmal ein Drittel der Stimmen erhalten und liegen alle hinter der AfD. Diese war zwar nicht so stark wie vor einigen Monaten erwartet, aber der Trend zeigt deutlich nach rechts. Die Union ist ein klarer Gewinner. Was bedeuten die Ergebnisse vom Sonntagabend nun für die Bundespolitik der nächsten Monate?

SPD-Ergebnis geht auch auf das Konto des Kanzlers

Die SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz hatte schon bei der Europawahl 2019 mit 15,8 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung eingefahren. In den ersten Prognosen lag sie am Sonntagabend noch darunter – bei 14 Prozent. «Für uns ist das ein ganz bitteres Wahlergebnis», sagte Generalsekretär Kevin Kühnert in einer ersten Reaktion.

Der Kanzler muss auch das Ergebnis selbst ankreiden. Im Wahlkampf ist er ein hohes Risiko eingegangen, indem er sich bewusst neben Spitzenkandidatin Katarina Barley in die erste Reihe gestellt und sich mit ihr zusammen plakatiert hat. Bei Großveranstaltungen hat er sich als Friedenskanzler, Hüter der Rente und des Mindestlohns und zuletzt auch als Hardliner beim Thema Abschiebung von Schwerstkriminellen präsentiert. Das historisch schlechteste Ergebnis zeigt: Die Rechnung ist nicht aufgegangen.

Die SPD hat bisher ihre Wahlniederlagen stillschweigend hingenommen: Keine Kritik am Kanzler, kein Murren über den Parteikurs in der Regierung. Ob es dieses Mal auch so sein wird, ist fraglich. Zuletzt überraschte ausgerechnet Ex-Parteichef Franz Müntefering mit der These, dass noch nicht entschieden sei, wer bei der nächsten Wahl als Kanzlerkandidat antreten werde. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wurde trotz aller Dementis zuletzt immer wieder als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt.

Kracht es jetzt wieder in der Ampel?

Die Parteiführung der Grünen schluckte kollektiv, als um 18 Uhr bei ihrer Wahlparty in der Berliner Columbiahalle die erste Prognose von mageren 12,5 Prozent eingeblendet wurde. Die versammelte Anhängerschaft stöhnte gequält – und gleich noch einmal, als kurz darauf das deutlich bessere Ergebnis der AfD angezeigt wurde. Das von ihnen selbst gesteckte Ziel, die AfD zu schlagen, haben die Grünen verfehlt.

Lange haben die Grünen von politischer Verantwortung im Bund geträumt, doch das Image als unverbrauchte Hoffnungsträgerin liegt mit der Beteiligung in Scherben – Stichwort Heizungsgesetz. Im Vergleich zur vorherigen Europawahl mit ihrem Ergebnis von 20,5 Prozent sind die Grünen geradezu abgestürzt. Die Wahlkampagne unter dem Motto «Machen, was zählt», die Warnungen vor einem Rechtsruck und die in Deutschland mäßig bekannte Spitzenkandidatin Terry Reintke haben die Menschen nicht elektrisiert. Ärger für die Ampel-Koalition ist trotz allem von den Grünen nicht zu erwarten: Auch nach wenig erfreulichen Landtagswahlen stand die Partei stets felsenfest zur Koalition. 

Für die FDP ist das Ergebnis insgesamt betrachtet ein weiterer Tiefschlag, auch wenn am Abend in der Berliner Parteizentrale die erste Prognose von 5 Prozent wie mit Erleichterung laut beklatscht wurde. Es ist absehbar, dass die Parteiführung in der Ampel nun mehr auf Konfrontation und für die eigenen Positionen in den politischen Konflikt geht. Die Liberalen machen die Ampel-Politik verantwortlich dafür, dass sich Anhänger abwenden. Auch die streitbare Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die als «Eurofighterin» plakatiert wurde und das zentrale Gesicht der Liberalen im Wahlkampf war, hat das Ruder nicht herumreißen können.

Als politische «Rampensau» war sie über die Marktplätze gezogen und hatte sich Kritiker und Schreihälse vorgeknöpft. Nun blieb ihr zwar eine Bruchladung erspart, und es sah am Abend so aus, als würden die 5,4 Prozent der letzten Europawahl von 2019 etwa gehalten, doch hat sich die Zustimmung der Wähler seit der letzten Bundestagswahl (11,5 Prozent der Stimmen) etwa halbiert. 

AfD jubelt: Stärker als die Kanzler-Partei

Um 18.00 Uhr brach in der AfD-Bundesgeschäftsstelle im Norden Berlins Jubel aus, Deutschlandfähnchen wurden geschwenkt. Nach ersten Prognosen stieg das Ergebnis im Vergleich zur Europawahl 2019 um 5 Prozentpunkte (11 Prozent). Parteichef Tino Chrupalla bezeichnete das Ergebnis als historisch und war besonders zufrieden damit, dass seine Partei noch vor der Kanzlerpartei SPD auf Platz zwei landete.

Vor einigen Monaten hatten die Rechten gehofft, ihr Ergebnis von 2019 zu verdoppeln – zumindest zeigten dies die Umfragen zum Jahreswechsel. Nach den Großdemonstrationen infolge von Berichten über ein Rechten-Treffen in Potsdam, das sich mit der sogenannten Remigration befasste, und nach wochenlangen Negativschlagzeilen über AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah und den zweiten auf der AfD-Liste, Petr Bystron, waren die Werte deutlich gesunken. Es geht um mögliche Verbindungen nach Russland, insbesondere bei Krah, und auch nach China.

Union feiert Comeback

In der Union herrschte Einigkeit: Neues Programm, neuer Zusammenhalt, ein kürzlich bei seiner ersten Wiederwahl gestärkter CDU-Chef Friedrich Merz – und die Europawahl wurde erwartungsgemäß deutlich gewonnen. Die CDU-Granden feierten zufrieden die Niederlage der Ampel-Regierung. Besonders, da die Europawahl die erste bundesweite Abstimmung seit dem 24,1-Prozent-Desaster im Bund 2021 war.

Jedoch, wie hoch die Feierstimmung in den Führungsetagen der Union tatsächlich ist? Die Union steht fest bei 30 Prozent – die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Die Zahlen der AfD werden ihnen Bauchschmerzen bereiten. CDU/CSU werden ihr Hauptthema Sicherheit vor den Septemberwahlen im Osten nun noch deutlicher betonen.

Innerhalb der Partei wurde die 30-Prozent-Marke auch als Indikator für die Zufriedenheit mit Parteichef Merz angesehen. Die Bedeutung des Ergebnisses für die interne K-Frage der Union dürfte jedoch begrenzt sein – Merz wird derzeit als unangefochten betrachtet. CSU-Chef Markus Söder und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst, die als potenzielle Kanzlerkandidaten gelten, werden dennoch nicht alle Hoffnungen aufgeben. Die Entscheidung über die K-Frage der Union wird nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg getroffen.

Wagenknecht-Partei meistert Bewährungsprobe

Vor der Europawahl sagte Sahra Wagenknecht, «fünf Prozent plus» wären ein «sensationeller Erfolg» für ihre erst im Januar gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknecht. Nun sind es nach ersten Prognosen tatsächlich fünf bis sechs Prozent geworden. «Wir haben heute hier Parteiengeschichte geschrieben», meinte Generalsekretär Christian Leye am Abend – noch nie habe eine Partei so kurz nach der Gründung einen so guten Wert erreicht. Punkten konnte das BSW vor allem mit der Kritik an der westlichen Militärhilfe für die Ukraine und der Forderung nach Friedensverhandlungen mit Russland. Wagenknecht selbst lockte Tausende vor Bühnen im ganzen Land – obwohl sie bei der Europawahl gar nicht kandidierte.

Das Ergebnis ist für das BSW eine gute Ausgangsposition für die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September. In Ostdeutschland findet die neue Partei noch mehr Anklang als im Westen. Falls die AfD im Herbst stark wird und keine Partner findet, könnte das BSW sogar im ersten Jahr nach der Gründung Regierungspartner werden. Das wiederum dürfte dem BSW helfen, bei der Bundestagswahl 2025 gut abzuschneiden. Die Europawahl zeigt aber auch: Mit bundesweit fünf bis sechs Prozent steht Wagenknecht keinesfalls für die «Mehrheit», die angeblich von den etablierten Parteien übergangen wird. 

Wagenknecht bereitet ihrer ehemaligen Partei, der Linken, wirklich Probleme. Diese blieb mit etwa drei Prozent deutlich unter dem schwachen Ergebnis von 2019, als sie 5,5 Prozent erreichte. Für Parteichef Martin Schirdewan war dies eine schwere Niederlage, da er auch als Spitzenkandidat für Europa fungierte. Die ostdeutschen Landtagswahlen und die bevorstehende Bundestagswahl könnten für die Linke die letzte Chance vor der Bedeutungslosigkeit darstellen.

dpa