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Union und SPD einigen sich beim Wehrdienst

Bald kommt Post vom Bund. Nach Streit um den Wehrdienst vereinbart die Koalition eine flächendeckende Musterung und Aufstockungsziele. Was aber bleibt: Freiwilligkeit ist Programm.

Es gibt eine Enigung im Streit um die Wehrdienst-Reform.
Foto: Kay Nietfeld/dpa

Die Union und die SPD haben sich auf die Grundlagen des neuen Wehrdienstes geeinigt, darunter flächendeckende Musterung, Zielmarken für den Aufwuchs und ein Gehalt von 2.600 Euro brutto. Sollten die Freiwilligenzahlen zu niedrig sein, kann der Bundestag eine Bedarfswehrpflicht einführen, bei der auch ein Zufallsverfahren zur Auswahl genutzt werden kann, erklärten Politiker der Regierungsparteien.

Der Verteidigungsminister Boris Pistorius begrüßte die Einigung. «Andere europäische Länder, gerade im Norden, zeigen, dass das Prinzip Freiwilligkeit mit Attraktivität verbunden funktioniert», sagte der SPD-Politiker in Berlin und zeigte sich optimistisch, dass sich genügend junge Menschen melden. Er versuchte auch, Ängste zu zerstreuen.

Pistorius: Grund zur Angst gibt es nicht

«Grund zur Sorge, Grund zur Angst gibt es nicht», sagte der Verteidigungsminister. «Weil die Lehre ist ganz klar: Je abschreckungs- und verteidigungsfähiger unsere Streitkräfte sind, durch Bewaffnung, durch Ausbildung und durch Personal, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass wir überhaupt Partei eines Konfliktes werden – und damit ist allen gedient, das ist die Erfahrung aus dem Kalten Krieg. Deswegen gibt es gar keinen Grund, sich irgendwelche Sorgen zu machen.»

Junge Männer, die im Jahr 2008 geboren wurden, sollen ab Anfang 2026 gemustert werden. Außerdem erhalten sie einen Fragebogen vom Bund – auch für Frauen.

Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) sagte: «Wir werden mehr Verbindlichkeit haben in der Freiwilligkeit.» Es solle ein «Aufwuchspfad» festgehalten werden, so dass die Gesellschaft immer wisse, wo man stehe. Gemeint sind damit Zielkorridore für die Truppenstärke.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch zeigte sich «ganz sicher, dass wir das schaffen werden, auch im Rahmen der Freiwilligkeit.» Sollte dies nicht der Fall sein, werde der Bundestag sich damit neu auseinandersetzen müssen.

Bundestag entscheidet gegebenenfalls über «Bedarfswehrpflicht»

Zum Thema einer möglichen Pflicht hieß es in einem Papier zur Einigung: «Der Bundestag entscheidet durch Gesetz über die Einsetzung einer Bedarfswehrpflicht, insbesondere wenn die verteidigungspolitische Lage oder die Personallage der Streitkräfte dies erforderlich macht.» Die Bedarfswehrpflicht diene der Schließung möglicher Lücken zwischen dem Bedarf der Streitkräfte und der tatsächlichen Zahl an Freiwilligen.

Beim Status der Soldaten im neuen Wehrdienst gibt es eine Änderung zu bisherigen Planungen. «Der freiwillige Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement bleibt erhalten. Ab zwölf Monaten Verpflichtungsdauer wird der Status Soldat auf Zeit (SAZ 1) eingeführt», heißt es. Bisher war geplant, dass alle neuen Wehrdienstleistenden sofort Soldaten auf Zeit werden. Die Freiwilligen sollen rund 2.600 Euro brutto monatlich bekommen.

Kein Automatismus zur Aktivierung der Wehrpflicht

Falls die Anzahl der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs den Bedarf übersteigt, kann als letzter Schritt ein Zufallsverfahren zur Auswahl angewendet werden, nachdem die Wehrdienstausnahmen und alle anderen Maßnahmen berücksichtigt wurden. Es wird betont, dass es keinen Automatismus zur Aktivierung der Wehrpflicht geben wird. Die Frage nach einer Pflicht hatte zuvor zu Kontroversen geführt.

Die Unionsfraktion stoppte im Oktober das bereits vom Kabinett verabschiedete Gesetz zum neuen Wehrdienst aufgrund von Bedenken. Pistorius strebt an, dass das Wehrdienstgesetz Anfang 2026 in Kraft tritt.

Bundeswehr soll kräftig wachsen

Aufgrund der Bedrohung durch Russland und der daraus resultierenden veränderten Nato-Planungen plant die Bundeswehr, ihre stehende Truppe um etwa 80.000 auf 260.000 Soldaten und Soldatinnen zu erweitern. Darüber hinaus sollen 200.000 Reservisten eingesetzt werden, deren Anzahl insbesondere durch den neuen Wehrdienst erhöht werden soll. Insbesondere Politiker der Union haben wiederholt Zweifel geäußert, ob Freiwilligkeit ausreichen wird, um eine ausreichend schnelle Aufstockung der Bundeswehr zu gewährleisten.

Die Anzahl der Wehrdienstleistenden hat nun klare Ziele, angefangen bei 20.000 im nächsten Jahr. Für die stehende Truppe aus Zeit- und Berufssoldaten wurden Zielkorridore festgelegt. Im kommenden Jahr beginnt es mit Werten zwischen 186.000 bis 190.000 Soldaten. Der Zielkorridor für 2035 liegt zwischen 255.000 bis 270.000 Soldaten.

Die Wehrpflicht, die im Jahr 2011 ausgesetzt wurde, ist weiterhin im Grundgesetz verankert. Sie kann mit einfacher Mehrheit im Bundestag wieder eingeführt werden und tritt in Kraft, wenn der Bundestag den Spannungs- oder Verteidigungsfall feststellt. Gemäß dem Grundgesetz gilt die Wehrpflicht nur für Männer.

Kritik kommt aus der Opposition

Die Grünen-Politikerin Sara Nanni sieht im Wehrdienst-Kompromiss eine «Verschlimmbesserung» im Vergleich zu den ersten Plänen von Pistorius. «Insgesamt klingt der Vorschlag nach mehr Bürokratie als der ursprüngliche aus dem Ressort erarbeitete und vom Kabinett beschlossene. Es ist eine Verschlimmbesserung», sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion der Funke Mediengruppe.

Die Linke kündigte den Aufbau von Hilfs- und Beratungsangeboten für jungen Menschen – auch und gerade, wenn sie den Kriegsdienst verweigern wollten. «Wir sind gegen jede Form von Zwangsdienst», sagte Parteichef Jan van Aken der Funke Mediengruppe.

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament, sprach von einem schwachen Kompromiss. Sie bemängelte: «Dass immer noch ein Losverfahren geplant ist, ist ein schlicht unseriöses Vorgehen von Union und SPD.»

dpa