Nach dem Rückzug von Premierminister Trudeau stehen in Kanada vorgezogene Neuwahlen an. Der liberale Mark Carney tritt gegen den konservativen Pierre Poilievre an.
Unter Druck Trumps – Kanada wählt neues Parlament

Kanada wählt ein neues Parlament unter dem Druck der aggressiven Zollpolitik und Annexionsdrohungen von US-Präsident Donald Trump. In Umfragen zeichnete sich zuletzt ein knappes Rennen zwischen den Liberalen von Premierminister Mark Carney (60) und den Konservativen mit Spitzenkandidat Pierre Poilievre (45) ab.
Es wird erwartet, dass in der Nacht zum Dienstag (MESZ) die ersten Ergebnisse vorliegen. Laut der Wahlbehörde haben mehr als sieben Millionen der insgesamt rund 29 Millionen wahlberechtigten Kanadier in dem großen Land mit sechs Zeitzonen bereits im Voraus ihre Stimme abgegeben – so viele wie noch nie zuvor.
Konservative führten scheinbar uneinholbar – doch dann kam Trump
In Umfragen schienen die oppositionellen Konservativen lange Zeit uneinholbar vorne zu liegen – doch dann sorgten die aggressive Zollpolitik und Annexions-Drohungen von US-Präsident Donald Trump für einen überraschenden Aufschwung des Wirtschaftsexperten Carney.
Im Widerstand gegen Trump rückten die Kanadier zusammen – unter dem noch von Ex-Premier Justin Trudeau ausgegebenen Slogan «Ellenbogen raus!» – bereit zum Kampf in Anlehnung an die Eishockey-Leidenschaft seiner Landsleute. Zahlreiche Kanadier boykottieren nun US-Waren, reisen nicht mehr in die USA, hissen kanadische Flaggen und tragen Kappen mit der Aufschrift «Kanada steht nicht zum Verkauf».
Das machte den Wahlkampf schwierig für den konservativen Kandidaten Polilievre, dessen politischer Stil klare Trump-Anleihen trägt. So sprach der 45-Jährige, der für niedrige Steuern und Kürzungen bei Staatsausgaben steht, ebenfalls von Fake-News, einer woken Ideologie linksradikaler Kräfte und versprach, Kanada immer an erste Stelle setzen zu wollen – «Canada First». Das kam lange gut an – doch dann kam Trump.
«Canada First»-Kandidat gegen erfahrenen Krisenmanager
Der liberale Wirtschaftsexperte Carney, der aus Alberta stammt, bringt nationale und internationale Krisenerfahrung mit und gilt als belastbar. Während der Finanzkrise leitete der Hundefreund ab 2008 die kanadische Zentralbank. Dass Kanada die globalen Wirtschaftsfolgen damals vergleichsweise gut überstand, wird auch ihm zugeschrieben.
Zwischen 2013 und 2020 war Carney während der turbulenten Brexit-Phase Zentralbankchef in Großbritannien, danach bis Januar dieses Jahres UN-Sondergesandter für Klimaschutz. Er befürwortet eine engere Zusammenarbeit mit Europa und Asien, um die Handelsabhängigkeit von den USA zu reduzieren. Umfragen zeigen, dass die meisten Kanadier Carney am ehesten zutrauen, Trump die Stirn zu bieten.
Ziel beider Parteien ist absolute Mehrheit
Beide Parteien streben mindestens 172 Sitze im Parlament in der Hauptstadt Ottawa an, was der absoluten Mehrheit der Mandate für die 343 Wahlkreise entspricht. Die Abgeordneten werden durch Direktwahl bestimmt. Im Falle einer möglichen Minderheitsregierung wären Carney oder Poilievre auf die Unterstützung durch kleinere Parteien wie die Sozialdemokraten, die Grünen oder die Regionalpartei Bloc Québécois angewiesen.
Die liberale Partei ist in dem G7-Land Kanada mit rund 40 Millionen Einwohnern seit etwa zehn Jahren an der Macht, anfangs mit absoluter Mehrheit, dann mit Minderheitsregierung und bis vor kurzem unter der Führung von Justin Trudeau. Der wurde lange als «Kanadas Kennedy» bewundert und gefeiert – in Anlehnung an den US-Präsidenten John F. Kennedy (1917-1963).
«Kanadas Kennedy» hatte sich Anfang des Jahres zurückgezogen
Mit einer schwachen Wirtschaft und steigenden Preisen erhöhte sich der Druck auf ihn, was zu einem Rückgang seiner Beliebtheit führte. Zu Beginn des Jahres kündigte Trudeau seinen Rücktritt an und übergab nach einer parteiinternen Abstimmung seine Ämter als Premierminister und Parteivorsitzender an Carney.
Er löste daraufhin vorgezogene Neuwahlen aus und verhinderte somit ein erwartetes Misstrauensvotum im Parlament in Ottawa. Gemäß dem Gesetz hätten die Wahlen spätestens im Herbst stattfinden müssen – vier Jahre nach den bisher letzten Wahlen im Oktober 2021.
Die Wahl findet nun auch unter dem Eindruck eines tragischen Vorfalls in der Westküstenmetropole Vancouver am Wochenende statt: Bei einem Straßenfest der philippinischen Gemeinde fuhr ein Mann mit einem Auto in eine Menschenmenge und tötete mindestens elf Menschen. Ein verdächtiger 30-Jähriger wurde festgenommen. Die Polizei zeigte sich überzeugt, dass es sich nicht um einen Terrorakt handele.