Während Israel im Gazastreifen Krieg gegen die Hamas führt, stellt die US-Justiz Strafanzeige gegen hochrangige Mitglieder der Terrororganisation. Unter ihnen ist auch der abgetauchte Hamas-Chef.
US-Justiz erhebt Anklage gegen Hamas-Chef Sinwar
Die US-Regierung hat rechtliche Schritte gegen Hamas-Chef Jihia al-Sinwar und andere führende Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation im Zusammenhang mit dem Massaker am 7. Oktober 2023 in Israel eingeleitet. Am Dienstag veröffentlichte das US-Justizministerium Unterlagen zur Strafverfolgung, die bereits zu Beginn des Jahres vorgelegt wurden und bisher geheim gehalten wurden. Gleichzeitig wächst der Druck auf den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu nach der jüngsten Tötung von sechs israelischen Geiseln. Die Situation im Nahen Osten steht am Mittwoch auf der Tagesordnung des UN-Sicherheitsrats in New York.
Sinwar und den anderen Beschuldigten werden unter anderem Terrorismus, Verschwörung zum Mord und Umgehung von Sanktionen vorgeworfen. US-Justizminister Merrick Garland sagte in einer von seinem Ministerium verbreiteten Videobotschaft, die Anklage richte sich gegen Sinwar und andere hochrangige Hamas-Mitglieder, weil sie eine jahrzehntelange Kampagne finanziert und geleitet hätten, um amerikanische Bürger zu töten und die Sicherheit der USA zu gefährden. «Bei ihren Angriffen in den vergangenen drei Jahrzehnten hat die Hamas Tausende Zivilisten ermordet oder verletzt, darunter Dutzende amerikanische Bürger.» Diese Aktionen würden nicht die letzten seines Landes gegen die Hamas sein.
Gräueltaten der Hamas nicht hinnehmbar
«Die von der Hamas am 7. Oktober in Israel begangenen Gräueltaten sind nicht hinnehmbar, und das Justizministerium wird nicht ruhen, bis die Hamas für ihre Kampagne des Terrors, des Todes und der Zerstörung zur Rechenschaft gezogen wird», wurde Matthew Olsen zitiert, der im Justizministerium für die nationale Sicherheit zuständig ist. Das Hamas-Massaker, bei dem auch mehr als 40 amerikanische Staatsbürger ermordet worden seien, sei nur der jüngste Akt der Grausamkeit, den die Hamas verübt habe, hieß es weiter in der Mitteilung.
Nachdem Hamas-Auslandschef Ismail Hanija Ende Juli in Teheran getötet wurde, hat die islamistische Terrorgruppe Sinwar einen neuen Anführer ernannt. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt – es wird vermutet, dass er sich im weit verzweigten Tunnelsystem der Organisation unter dem Gazastreifen versteckt hält.
Der Hamas-Führer wird als Drahtzieher des Terrorangriffs vom 7. Oktober angesehen. Zu dieser Zeit wurden etwa 1.200 Menschen getötet und 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt. Das beispiellose Massaker führte zum Krieg: Israel begann mit massiven Angriffen entlang des gesamten Küstenstreifens. Seitdem wurden laut palästinensischen Angaben mehr als 40.000 Menschen getötet und mehr als 92.400 verletzt. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde unterscheidet bei diesen Zahlen, die kaum unabhängig überprüfbar sind, nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.
Demonstrationen für Geisel-Deal
Am Dienstagabend demonstrierten erneut Tausende Menschen in ganz Israel für ein Abkommen, das einen Waffenstillstand in Gaza und eine Freilassung der 101 dort verbliebenen Geiseln ermöglicht. Auf den Demonstrationen machten Angehörigen der Geiseln Regierungschef Netanjahu Vorwürfe. Er habe «wieder und wieder ein Abkommen torpediert», sagte die Tochter einer Geisel laut israelischen Medienberichten. Andere Demonstranten trugen Schilder mit der Aufschrift, das Blut der Geiseln klebe an den Händen der Regierung.
Der Oppositionspolitiker Benny Gantz kritisierte Netanjahu in einer Pressekonferenz. Er warf dem Regierungschef vor, sich immer wieder Fortschritten bei den Gesprächen über ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln entgegengestellt zu haben. Netanjahu konzentriere sich primär auf sein politisches Überleben, sagte Gantz. «Wir müssen die Geiseln zurückbringen – selbst zu einem sehr hohen Preis», betonte er. Er warf Netanjahu vor, die Öffentlichkeit über seine angebliche Bereitschaft, die Geiseln zurückzuholen, belogen zu haben.
USA sehen noch Hoffnung für Geisel-Abkommen
Die US-Regierung sieht dennoch weiter Hoffnung auf einen Deal zur Freilassung von Geiseln aus den Händen der Hamas und widersprach in der Debatte einmal mehr Netanjahu. Eine Einigung sei möglich, «wir glauben, dass wir nahe genug dran sind, dass die Lücken eng genug sind, dass es geschehen könnte», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. US-Präsident Joe Biden sei persönlich eingebunden in die Bemühungen.
Mit Blick auf Bidens jüngste Kritik, dass sich Netanjahu nicht ausreichend für einen Deal einsetze, sagte Kirby: Um eine Vereinbarung zu erreichen, brauche es Kompromissbereitschaft und Führungskraft von allen. «Dabei möchte ich es belassen.»
Seit einigen Monaten gibt es indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, an denen neben den USA auch Katar und Ägypten beteiligt sind, um eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln zu erreichen. Allerdings scheinen die Gespräche nicht voranzukommen.
Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates nach Tod von Geiseln
Die Lage in Nahost und die jüngste Tötung von sechs israelischen Geiseln stehen an diesem Mittwoch auf der Tagesordnung des Weltsicherheitsrates in New York. Der israelische Botschafter Danny Danon hatte in einem Brief Beratungen des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen verlangt. Der Sicherheitsrat müsse die «sofortige und bedingungslose» Freilassung aller Geiseln verlangen, schrieb Danon auf X. Auch Ratsmitglied Algerien beantragte Diplomaten zufolge mit Blick auf die Lage in Gaza und dem Westjordanland eine Sitzung.