Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

US-Militärhilfe: Was die Milliarden Kiew bringen

Die von der Ukraine ersehnte und lange blockierte US-Militärhilfe gegen Russlands Angriffskrieg ist nun zum Greifen nahe. Aber was bringt sie wirklich? Und wie antwortet Moskau darauf? Ein Überblick.

Eine ukrainische 152-mm-Panzerhaubitze Dana feuert auf russische Stellungen in der Region Donezk.
Foto: Roman Chop/AP/dpa

Die lange Zeit blockierte neue US-Militärhilfe für den Abwehrkrieg der Ukraine gegen Russland soll nun bald ankommen. US-Präsident Joe Biden plant, das im US-Repräsentantenhaus bereits bewilligte Paket über 61 Milliarden US-Dollar (rund 57 Milliarden Euro) nach der erwarteten Zustimmung des US-Senats schnell zu genehmigen. Wird dies eine neue Wende im Krieg bringen? Die Fragen und Antworten im Überblick:

Was bringt der Ukraine diese lang ersehnte US-Hilfe?

Die Soldaten in der Ukraine erwarten nach Monaten rationierter Munition vor allem Artilleriegeschosse in einer Größe von 155-Millimetern. Für Angriffe in den von russischen Truppen besetzten Gebieten setzt Kiews Militärführung zudem auf die weit reichenden ATACMS-Raketen. Der US-Senator Mark Warner sagte, dass diese schon kommende Woche in der Ukraine ankommen könnten. Er lobte auch die Erfolge der ukrainischen Streitkräfte bei der Vernichtung russischer Soldaten, Waffen und Militärtechnik, «ohne den Verlust eines einzigen amerikanischen Soldaten».

Bisher hat Washington ATACMS mit einer Reichweite von 165 Kilometern geliefert. Die Ukraine wünscht sich jedoch solche, die Ziele in 300 Kilometern erreichen können. Entscheiden muss Präsident Biden. Pentagon-Sprecher Patrick Ryder sagte auch, dass die USA die Möglichkeit der Entsendung von Militärberatern nach Kiew in Betracht ziehen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj setzt hauptsächlich auf eine Erhöhung der Flugabwehrsysteme und der dazugehörigen Raketen. Deutschland hat zur Freude Kiews ein weiteres Flugabwehrsystem vom US-Typ Patriot geliefert. Die ukrainische Regierung möchte jedoch durch Monitoring herausfinden, wo sich noch solche Systeme befinden und an Kiew übergeben werden können. Selenskyjs Ziel ist es, die Kontrolle über den Luftraum zurückzugewinnen. Das Land erwartet auch die zugesagten Kampfjets vom US-Typ F16.

Ein Großteil der Gelder wird jedoch nicht direkt für die Bedürfnisse der Ukraine verwendet. Sie sind stattdessen für das Auffüllen der entleerten Arsenale der USA und ihrer Verbündeten vorgesehen. Trotz des neuen Pakets wird Kiew jedoch mit weniger Mitteln als in den Vorjahren auskommen müssen. Dies geschieht in einer Zeit, in der Russland, ein Gegner im Krieg, seine eigene Produktion kontinuierlich ausbaut und zudem auf die Herstellungskapazitäten im Iran und in Nordkorea zurückgreifen kann.

Wie schnell wird die Hilfe in der Ukraine ankommen?

Es wird erwartet, dass die erste Munition bereits in den nächsten Tagen geliefert werden kann, nachdem Biden das Gesetz unterzeichnet hat. Militärexperten schätzen, dass die Ukraine ihre Logistik verbessert hat, um die Waffen und Munition an die Frontabschnitte zu bringen. US-Beamte hatten kürzlich erklärt, dass Raketen und Artilleriegeschosse aus amerikanischen Lagern in Europa übergeben werden könnten. Dennoch wird es wahrscheinlich Wochen dauern, bis die Hilfe tatsächlich in der Ukraine spürbar wird.

Die Hilfe kommt trotzdem viel später als von Kiew erhofft – was bedeutet das für den Krieg?

Die Militärhilfe ist vor allem dazu gedacht, den russischen Vormarsch zu stoppen. Der ukrainische Präsident Selenskyj betont immer wieder, dass die westliche Militärhilfe für das Land, das um seine Unabhängigkeit kämpft, überlebenswichtig ist. Die neue Unterstützung soll nicht nur die Situation im Land stabilisieren, sondern auch die Hoffnung auf eine neue Offensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete und auf einen Sieg schüren. Laut einer Analyse des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) in Washington könnte Russland jedoch die aktuellen materiellen und personellen Einschränkungen der ukrainischen Armee ausnutzen, bis die US-Hilfe tatsächlich eintrifft.

Wie ist die Lage an der Front?

Selenskyj spricht von einer schwierigen Lage, sie sei aber nicht so schlimm, dass sich das Land mit erhobenen Händen ergebe. Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, Kyrylo Budanow, erwartet vor allem Mitte Mai, Anfang Juni Probleme an der Front, weil die Russen einen komplexen Ansatz wählten. Die Situation sei aber «nicht katastrophal. Das Armageddon kommt nicht, wie vielleicht jetzt viele sagen», sagte er. Russland verkündet seit Monaten immer wieder Geländegewinne, vor allem im Osten der Ukraine. Allerdings betonten die ISW-Experten in Washington, dass die Russen lediglich operative Erfolge verzeichneten – und keinen echten Durchbruch an der Frontlinie, der einem strategischen Erfolg gleichkäme.

Um die Waffen zu bedienen, braucht es Soldaten – wie löst die Ukraine das personelle Problem?

Derzeit gibt es in der Ukraine mehr als eine Million Frauen und Männer, die bewaffnet sind. Davon sind über 800.000 direkt in der Armee tätig, während der Rest in der Nationalgarde und den Grenztruppen dient. Etwa 300.000 Soldaten sollen entlang der fast 1000 Kilometer langen Frontlinie im direkten Kampfeinsatz sein. Es wird geschätzt, dass Kiew monatlich etwa 20.000 neue Soldaten zur Deckung von Verlusten durch Tote und Verwundete rekrutieren kann. Durch die Senkung des Mobilisierungsalters auf 25 Jahre und strengere Registrierungspflichten für wehrpflichtige Männer soll die Situation verbessert werden. Der Bedarf an Soldaten für dieses Jahr wird auf über 300.000 geschätzt.

Die Bereitschaft, der Armee beizutreten, ist gleichzeitig sehr gering. Laut einer Umfrage können sich nur etwa 20 Prozent der potenziellen 25- bis 59-Jährigen vorstellen, in der Armee zu dienen. Jeden Tag werden neue Videos in sozialen Netzwerken verbreitet, die regelrechte Jagden auf Wehrpflichtige zeigen. Über 700.000 wehrpflichtige Ukrainer sind zudem allein in der EU als Flüchtlinge registriert. Es ist unwahrscheinlich, dass sie vor Kriegsende in ihr Heimatland zurückkehren werden.

Wie reagiert Russland auf die neuen Hilfen der USA und des Westens insgesamt?

Der Kreml betont, dass die US-Hilfe an der Lage im Krieg nichts ändern wird. Russland wirft den USA seit langem vor, Kriegspartei zu sein, einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu führen. Washingtons Ziel sei es, die Ukraine zu instrumentalisieren, um Russland zu zerstören. Kremlsprecher Peskow betont beinahe täglich, dass die Waffenlieferungen den Krieg verlängern und mehr Ukrainer sterben lassen – und das Land dennoch Gebiete verliert. Russlands Staatsfernsehen zeigt in ausführlichen Reportagen aus Rüstungsbetrieben, wie Munition hergestellt wird und die Kriegswirtschaft auf Hochtouren läuft. Vorgestellt werden beispielsweise neue Roboter für den Kampfeinsatz oder Panzer mit verbesserten Abwehrvorrichtungen gegen Drohnenangriffe.

Was tun die EU-Staaten und die Nato, um die Ukraine zu unterstützen und die US-Hilfe zu flankieren?

In Europa gibt es zahlreiche verschiedene Projekte, um der Ukraine dringend benötigte Militärhilfe zur Verfügung zu stellen – einige der wichtigsten kamen jedoch zuletzt nur langsam voran. Die EU scheiterte mit dem Plan, innerhalb eines Jahres eine Million Artilleriegeschosse an die Ukraine zu liefern. Auch eine Initiative der Bundesregierung zur Bereitstellung zusätzlicher Luftverteidigungssysteme hat bis zu diesem Montag keine konkreten Erfolge gebracht. Bisher hat lediglich Deutschland eine feste Zusage für ein zusätzliches Flugabwehrraketensystem Patriot gegeben. Eine tschechische Initiative zur Beschaffung von Munition für die Ukraine läuft etwas besser. Es wurde bereits genügend Geld gesammelt, um in Nicht-EU-Ländern 500.000 Schuss Artilleriemunition für die Ukraine zu kaufen. Für weitere 300.000 Schuss wurden jedoch zuletzt noch Geldgeber gesucht.

Das Engagement für Militärhilfe innerhalb der EU variiert stark. Während einige nord- und osteuropäische Länder sowie Deutschland und die Niederlande viel Unterstützung bieten, sind andere wie Frankreich, Italien und Spanien sehr zurückhaltend. Aus diesem Grund schlug Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor, der Ukraine in den nächsten fünf Jahren militärische Unterstützung im Wert von 100 Milliarden Euro zuzusichern. Jeder Nato-Staat müsste sich dann mit einem festgelegten Anteil daran beteiligen.

Wie lange wird der Krieg noch dauern – und gibt es auch Chancen für Friedensverhandlungen?

Klar ist im Moment nur, dass ein Ende des Krieges nicht in Sicht ist. Er kann noch Jahre dauern. In Russland beteuern Kremlchef Wladimir Putin und der russische Außenminister Sergej Lawrow zwar immer wieder, dass Moskau zu Verhandlungen bereit sei. Sie verlangen aber, dass die Ukraine dafür neben dem Verzicht auf einen Nato-Beitritt auch Gebiete abtreten müsste. Das lehnt der ukrainische Präsident Selenskyj ebenso ab wie ein Einfrieren des Konflikts. Selenskyj hat einen eigenen Friedensplan vorgelegt, der als einen Kernpunkt festlegt, dass die russischen Truppen aus allen besetzten Gebieten abziehen. Russland lehnt das als «völlig realitätsfern» ab.

dpa