Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

US-Unis wegen Gaza-Krieg im Ausnahmezustand

Camps werden von der Polizei aufgelöst, friedliche Demonstranten festgenommen – jüdische Studierende lassen derweil aus Angst den Davidstern zu Hause. Der Gaza-Krieg bringt US-Unis in ein Dilemma.

Polizisten nehmen auf dem Campus der New York University pro-palästinensische Demonstranten fest.
Foto: Noreen Nasir/AP/dpa

Die Polizei-Hundertschaften rücken auf die Campusse der renommierten New Yorker Universitäten Columbia und NYU vor. In der Dunkelheit stehen sie propalästinensischen Demonstranten gegenüber, nehmen viele fest. Es sind Szenen, über die die TV-Sender aufgeregt berichten.

An vielen Universitäten in den USA ist die Balance zwischen Meinungsfreiheit und Diskriminierung, dem Recht zum Protest und dem Sicherheitsbedürfnis außer Kontrolle geraten. Und die Unis sind seit Beginn des Gaza-Kriegs Spiegelbild der Spaltung der US-Gesellschaft im Nahost-Konflikt.

Erstes Zeltlager wird aufgelöst

Was ist geschehen? Letzte Woche, am frühen Donnerstagmorgen, haben Studierende der Columbia im New Yorker Stadtteil Manhattan ein Zeltlager auf ihrem Campus errichtet, um ihre Solidarität mit den Palästinensern auszudrücken und gegen Israels Vorgehen im Gaza-Krieg zu protestieren. Ihre konkrete Forderung lautet: Die Hochschule soll alle finanziellen Verbindungen mit Israel abbrechen. Die Universitätsleitung zögert nicht lange und ruft die Polizei.

Die New Yorker Polizei (NYPD) räumt die Wiese nur wenige Stunden später und nimmt über 100 propalästinensische Demonstranten fest. Laut Polizei werden dabei auch Flaschen und Klappstühle geworfen.

Der Einsatz verstärkt die Proteste weiter: Es entstehen nicht nur in New York, sondern auch an einigen anderen Universitäten im Land neue, größere Protest-Camps.

Lehrkräfte zeigen sich solidarisch

An der Columbia sind daraufhin viel mehr Zelte als zuvor aufgebaut, der Präsenzunterricht wird aus Sicherheitsgründen ausgesetzt. Unter den Demonstrantinnen und Demonstranten ist auch Katherine, die Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Nahoststudien studiert. Die 26-Jährige war am Donnerstag unter jenen, die festgenommen wurden. Die Uni hat sie zudem suspendiert.

Sie erzählt, dass sie bereits in den vergangenen Monaten beim Demonstrieren angegriffen worden sei: «Und die Universität unternimmt nichts gegen diese Gewalt gegen uns, sondern kritisiert uns dann dafür, dass wir einen Platz mit Zelten besetzen, als ob das irgendwie unangebracht wäre, als ob das eine irgendwie entsetzliche Aktion wäre.» Sie findet die gewaltsame Verhaftung von 100 friedlichen Studenten entsetzlich. Das sehen viele ähnlich, darunter auch reihenweise Professorinnen und Professoren, die sich solidarisch zeigen.

Grenzen des friedlichen Protests nicht immer gewahrt

Die Beschreibungen einiger US-Medien und rechter Politiker lassen diejenigen, die den Ort des Protests zuletzt besucht haben, stutzen, wonach der Campus ein Hort der Gewalt und des Extremismus sei. Die Realität zeigt jedoch, dass die meisten Studierenden friedlich ihren normalen Alltag nachgehen, Ball spielen, für Prüfungen lernen oder lesen. Im propalästinensischen Camp wird getanzt, gesungen, gebetet oder gekocht. Es sind auch israelkritische jüdische Studenten anwesend.

Einige wenige dominieren jedoch die öffentliche Wahrnehmung: In den letzten Monaten hat es vereinzelte Vorfälle von Antisemitismus (und auch von Islamophobie) gegeben, Plakate fordern einen bewaffneten Widerstand gegen Israel. Nicht alle Studenten halten sich an die Grenzen dessen, was friedlicher Protest erlaubt. Das Problem: Gemäßigte Demonstranten brechen selten offen mit ihnen, eine aktive Distanzierung von der Verharmlosung der Hamas ist nicht überall erkennbar. Die Situation wird auch von radikaleren Vertretern der politischen Lager von außen angeheizt, die Stimmung im US-Wahlkampf machen wollen.

Jüdischer Professor fassungslos

Es ist eine Situation, in der sich nicht alle jüdischen Studierenden sicher genug fühlen, um den Davidstern in der Universität zu tragen oder auf dem Campus Hebräisch zu sprechen. Für Aufsehen sorgt auch Columbia-Assistenzprofessor Shai Davidai. Am Montag schreibt er auf der Plattform X, dass die Universität ihn wegen der anhaltenden Proteste nicht auf den Campus gelassen hätte: «Warum? Weil sie meine Sicherheit als jüdischer Professor nicht schützen können. Das ist 1938.»

Auch US-Präsident Joe Biden meldet sich zu Wort: «Dieser unverhohlene Antisemitismus ist verwerflich und gefährlich – und er hat auf dem Campus oder irgendwo anders in unserem Land absolut keinen Platz.» Biden reagiert darauf, dass die Universitäten seines Landes zu Epizentren der gesellschaftlichen Debatte in einem unauflösbar scheinenden Konflikt geworden sind. Zwei Lager einer Gesellschaft stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Am Mittwochmorgen (Ortszeit) kündigte die Columbia an, ihr Ultimatum zur Räumung des Camps um weitere 48 Stunden zu verlängern. Zuvor hatte Columbia-Präsidentin Nemat «Minouche» Shafik mit «alternativen Optionen» für eine Räumung gedroht, sollte das Camp nicht bis Dienstag um Mitternacht geräumt sein. Es habe Fortschritte in den Verhandlungen mit den Studierenden gegeben, hieß es in einer Mitteilung, die der «Washington Post» vorlag. Die Demonstrantinnen und Demonstranten hätten sich bereit erklärt, eine «beträchtliche Zahl» von Zelten abzubauen, nur noch Columbia-Studierende zu den Protesten zuzulassen und Schritte gegen die Verwendung diskriminierender Sprache zu unternehmen.

dpa