Erste Hinweise deuten auf Abschuss hin. Überlebende könnten wichtige Zeugen sein.
USA und Aserbaidschan vermuten russischen Fehlschuss als Absturzursache
Die USA schließen ebenfalls nicht aus, dass ein Fehlschuss der russischen Flugabwehr für den Absturz einer aserbaidschanischen Passagiermaschine in Kasachstan verantwortlich sein könnte, genauso wie Aserbaidschan. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass die Maschine abgeschossen wurde, so ein US-Regierungsvertreter, wie unter anderem CNN und ABC News berichteten. Sollten sich diese Hinweise bestätigen, könnte es sein, dass schlecht ausgebildete russische Einheiten bei der Abwehr ukrainischer Drohnen das Ziel verwechselt haben, sagte der Beamte.
Beim Absturz in der Nähe der kasachischen Stadt Aktau am Kaspischen Meer wurden am Mittwoch 38 von 67 Personen an Bord getötet. 29 Personen überlebten, viele von ihnen schwer verletzt. Das Flugzeug vom Typ Embraer 190 der Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines sollte eigentlich von der Hauptstadt Baku nach Grosny in der russischen Teilrepublik Tschetschenien fliegen. In verschiedenen Regionen im Nordkaukasus war an diesem Morgen die russische Flugabwehr aufgrund von Drohnen aus der Ukraine im Einsatz.
Militärblogger aus Russland und ukrainische Vertreter wiesen frühzeitig auf die Möglichkeit hin, dass die Maschine durch die russische Flugabwehr beschädigt werden könnte. Internet-Flugzeugtracker wie Flightradar24 berichteten, dass die GPS-Daten zur genauen Position des Flugzeugs über Russland gestört wurden. Fotos vom Heck des Wracks zeigten kleine Löcher, die wie Einschläge von Flugabwehrraketen aussahen.
Baku lässt Vorwürfe durchsickern
In einer ersten Reaktion warnte der Kreml vor voreiligen Spekulationen. Am Donnerstagnachmittag verbreitete jedoch die aserbaidschanische Führung massiv die Vermutung, dass die Maschine einen Treffer durch eine russische Flugabwehrrakete Panzir-S erlitten habe. Unter Berufung auf ungenannte Regierungsvertreter in Baku berichteten einheimische wie internationale Medien, dass das Flugzeug beim Landeanflug auf Grosny beschädigt wurde.
Besondere Empörung in Aserbaidschan wurde dadurch hervorgerufen, dass der Maschine angeblich eine Notlandung auf nahe gelegenen russischen Flughäfen verweigert wurde, mit Verweis auf schlechtes Wetter. Die Piloten mussten die kaum steuerbare Maschine über das Kaspische Meer nach Aktau fliegen. Dabei schwankten Höhe und Geschwindigkeit erheblich. Beim Landeversuch in Aktau stürzte das Flugzeug ab.
Überlebende werden nach Aserbaidschan zurückgeholt
Am Donnerstag wurden sieben weitere verletzte Überlebende nach Baku geflogen, diesmal mit einem Flugzeug des aserbaidschanischen Katastrophenschutzes. Zuvor hatte ein Flugzeug bereits mehrere Überlebende sowie Tote zurück in die Heimat Aserbaidschan gebracht.
Die israelische Fluggesellschaft El Al sagte alle Flüge zwischen Tel Aviv und Moskau für diese Woche ab. Grund seien die «Entwicklungen im russischen Luftraum», teilte die Airline mit. Sie werde kommende Woche die Lage neu beurteilen und entscheiden, ob die Flüge wieder aufgenommen würden.
In den russischen Staatsmedien wurde nichts über die massiven Vorwürfe gegen das kriegführende Land berichtet. Präsident Wladimir Putin hielt zwar nach einem Gipfel der Eurasischen Wirtschaftsunion in St. Petersburg eine kurze Pressekonferenz, äußerte sich jedoch nicht zum Flugzeugabsturz.
Erinnerungen an den Abschuss einer malaysischen Boeing 2014
Falls sich die Version eines tödlichen Fehlschusses der russischen Flugabwehr bestätigen sollte, wäre es der zweite Fall seit 2014. Zu dieser Zeit kämpfte die ukrainische Armee im Osten des Landes gegen eine verdeckte russische Militäroperation, die als Aufstand von Separatisten getarnt war. Am 17. Juli 2014 wurde versehentlich eine Boeing der Fluggesellschaft Malaysia Airlines auf dem Flug von Amsterdam nach Kuala Lumpur über der Ostukraine von einem russischen Flugabwehrsystem vom Typ Buk abgeschossen. Dabei kamen 289 Menschen ums Leben.
Bis heute leugnet Moskau jegliche Verantwortung für die Tragödie und bezeichnet es als westliche Anschuldigung. Trotzdem haben journalistische Recherchen und die Ermittlungen der niederländischen Justiz den Weg des Buk-Systems von Russland in das ukrainische Konfliktgebiet und zurück eindeutig aufgedeckt. Drei russische Verantwortliche wurden 2022 in Abwesenheit von einem Gericht in den Niederlanden zu lebenslanger Haft verurteilt.
Wie werden sich betroffenen Länder gegenüber Moskau verhalten?
Die Situation ist jedoch dieses Mal anders, unter anderem aufgrund der Tatsache, dass es Überlebende als potenzielle Zeugen gibt. Im Jahr 2014 galten die Niederlande, die am schwersten betroffen waren, Russland als feindlich gesinntes westliches Ausland. Aserbaidschan und Kasachstan sind Länder, die Moskau als seine Verbündeten betrachtet.
Das reich gewordene Aserbaidschan durch Energieexporte ist weitgehend unabhängig von Russland und kann gegenüber Moskau auch kräftig auftreten. Kasachstan in Zentralasien, mit einer langen Grenze zu Russland und einer großen russischen Minderheit, muss vorsichtiger handeln. Die kasachischen Stellen, die mit den Absturzermittlungen betraut sind, haben sich bisher mit Aussagen zur Ursache zurückgehalten.