Die Entlassung von Joav Galant stößt auf Unverständnis im In- und Ausland. Proteste gegen Netanjahus Regierung nehmen zu.
Netanjahu entlässt Verteidigungsminister in Kriegszeiten
Benjamin Netanjahu stößt mit der Entlassung seines angesehenen Verteidigungsministers Joav Galant in Kriegszeiten auf Unverständnis im In- und Ausland. In Israel protestierten viele Menschen gegen Netanjahus Regierung, und auch die Opposition war entsetzt. Die US-Regierung, Israels wichtigster Verbündeter trotz Meinungsverschiedenheiten, lobte den entlassenen Minister. Israels Staatspräsident äußerte sich ebenfalls mit einer warnenden Botschaft.
«Die überraschende Entscheidung, Verteidigungsminister Galant zu entlassen, ist besorgniserregend, insbesondere inmitten zweier Kriege und während Israel sich auf die Verteidigung gegen einen möglichen Angriff aus dem Iran vorbereitet», zitierte die Zeitung «The Times of Israel» einen US-Beamten. «Wir haben Frage zu den Gründen für Galants Entlassung und was zu der Entscheidung geführt hat.»
In der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv blockierten empörte Demonstranten die wichtige Stadtautobahn Ajalon mit brennenden Autoreifen und skandierten – Netanjahus bekannten Rufnamen nutzend – «Bibi ist ein Verräter», wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur berichtete. Bei Protesten in Jerusalem und Haifa wurden Medienberichten zufolge mindestens fünf Menschen festgenommen.
Die angesichts der Kriege mit der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon ohnehin gespannte Stimmungslage in Israel hat sich aufgrund der umstrittenen Personalie nochmals verschärft. «Das Letzte, was der Staat Israel jetzt braucht, ist ein Aufruhr und ein Bruch mitten im Krieg. Die Sicherheit des Staates Israel muss an erster Stelle stehen», schrieb Präsident Izchak Herzog auf der Nachrichtenplattform X. «Wir befinden uns in einer der schwierigsten und herausforderndsten Zeiten, die wir je erlebt haben. Israels Feinde warten nur auf ein Zeichen von Schwäche, Zerfall oder Spaltung.»
Wer ist Joav Galant?
Der ehemalige Elitesoldat und General der israelischen Streitkräfte war seit Ende 2022 Verteidigungsminister. Der 65-Jährige gilt als Pragmatiker und unterhielt gute Kontakte zur US-Regierung und seinem amerikanischen Kollegen Lloyd Austin. Die «Washington Post» zitierte eine Stellungnahme des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses, in der Galant als wichtiger Partner «in allen Angelegenheiten, die die Verteidigung Israels betreffen», gewürdigt wurde.
Warum hat Netanjahu seinen Verteidigungsminister entlassen?
Netanjahu sagte, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Galant sei gut ein Jahr nach Beginn des Gaza-Kriegs zerrüttet: «Obwohl in den ersten Monaten des Krieges Vertrauen herrschte und die Arbeit sehr fruchtbar war, ist dieses Vertrauen zwischen mir und dem Verteidigungsminister in den vergangenen Monaten leider zerbrochen.» So forderte Galant zum Ärger Netanjahus immer wieder einen Deal, um die verbliebenen Geiseln aus dem Gazastreifen freizubekommen und stellte das Kriegsziel eines «totalen Siegs» in dem von Israel abgeriegelten Küstenstreifen infrage. Netanjahu warf ihm vor, damit die Feinde Israels zu ermutigen.
Was sagt Galant zu seiner Entlassung?
Galant gab an, er sei aus drei Gründen entlassen worden: wegen seiner Forderung nach einer gerechten Verteilung der Verteidigungslasten auch auf die Schultern ultraorthodoxer Juden; wegen der Notwendigkeit, die Geiseln aus dem Gazastreifen zurückzubringen; und wegen seiner Forderung nach einer Untersuchung, wie die Hamas Israel mit ihrem Terrorüberfall am 7. Oktober 2023 überraschen konnte. «Die Sicherheit des Staates Israel war und bleibt die Mission meines Lebens», schrieb Galant nach seiner Entlassung auf X.
Was steckt hinter der Entlassung?
Galant setzte neben dem langwierigen Militäreinsatz im Gazastreifen auch auf eine diplomatische Lösung, um die restlichen Geiseln aus der Gewalt der Hamas zu befreien, während Netanjahu und seine extrem rechten Koalitionspartner einen rein militärischen Ansatz verfolgen. Galant gefährdete mit seiner Forderung, auch ultraorthodoxe Männer zum Wehrdienst einzuziehen, zudem die Regierungskoalition mit streng religiösen Parteien, die gegen den Wehrdienst sind. Netanjahu ist für sein politisches Überleben auf diese ultrareligiösen und rechtsextremen Koalitionspartner angewiesen. Sollte es zu Neuwahlen kommen, droht dem Regierungschef nicht nur der Verlust seines Amtes – auch die Korruptionsermittlungen gegen ihn könnten dann wieder Fahrt aufnehmen.
Warum wurde Galant gerade jetzt gefeuert?
Mit der Entlassung des nicht nur in Washington geschätzten Verteidigungsministers ausgerechnet am Tag der US-Wahl wollte Netanjahu womöglich einer Retourkutsche aus dem Weißen Haus entgehen. Die amerikanische Regierung sei von dem Schritt völlig überrumpelt worden, schrieb der US-Bürochef der Zeitung «The Times of Israel», Jacob Magid, unter Berufung auf einen Vertrauten von US-Präsident Joe Biden auf der Plattform X. Experten zufolge dürfte Netanjahu auf einen Wahlsieg des Republikaners Donald Trump hoffen, der ihm in der Vergangenheit sehr wohlgesonnen war.
Wer folgt auf Galant als Verteidigungsminister?
Der bisherige israelische Außenminister Israel Katz rückt an die Spitze des Verteidigungsressorts. Er gilt als treuer Weggefährte Netanjahus, der sich Entscheidungen des Regierungschefs nicht widersetzen dürfte. Zuletzt fiel er immer wieder durch extrem konfrontative Posts in sozialen Medien auf. «Wir werden zusammenarbeiten, um unsere Feinde zu besiegen und die Ziele des Krieges zu erreichen: die Rückkehr aller Entführten, die Zerstörung der Hamas in Gaza, die Niederlage der Hisbollah im Libanon, die Eindämmung der iranischen Aggression und die sichere Rückkehr der Bewohner des Nordens und Südens in ihre Häuser», schrieb Katz nach seiner Ernennung auf X.
Was bedeutet die Personalie für den Konflikt im Nahen Osten?
Netanjahu hat seinen meinungsstarken Verteidigungsminister entlassen, was zu einem möglicherweise aggressiveren Ansatz im Krieg gegen Hamas und Hisbollah führen könnte. Ohne Galant könnten extrem rechte Kabinettsmitglieder mehr Einfluss auf politische Entscheidungen haben.