Mit einem gewagten Poker will Frankreichs Premier Rückenwind für seinen Sparkurs bekommen. Doch ein Erfolg scheint fast unmöglich. Warum das Macron schwächen und politischen Stillstand bringen dürfte.
Vertrauensfrage: Sturz mit Ansage für Frankreichs Regierung?
Geplante Befreiung endet in politischem Debakel: Premierminister François Bayrou stellt am Montag in der Pariser Nationalversammlung die Vertrauensfrage wegen seines Sparkurses. Es ist fraglich, ob er und seine Minderheitsregierung das Votum überstehen werden. Frankreich droht, in eine Sackgasse zu geraten. Auch Präsident Emmanuel Macron könnte Schaden nehmen, da er nicht bestätigt oder entmachtet werden kann. Die zentralen Fragen im Überblick:
Was soll die Abstimmung?
Für den Premier ist die Vertrauensfrage eine Flucht nach vorn. Denn schon am kommenden Mittwoch muss die Regierung Massenproteste fürchten, die in Chaos enden könnten. Seit Wochen mobilisiert ein diffuses Bündnis dazu, an dem Tag «alles zu blockieren». Zudem kündigten sich die anstehenden Verhandlungen über den Sparhaushalt mit Milliarden-Kürzungen äußerst schwierig an. Es galt als durchaus wahrscheinlich, dass die Mitte-Rechts-Regierung darüber in den kommenden Wochen von der Opposition gestürzt wird – wie schon das Vorgängerkabinett im vergangenen Jahr.
Um all dem zuvorzukommen, will Bayrou schon jetzt eine klare Positionierung. Statt über die konkreten Sparmaßnahmen abstimmen zu lassen, ruft er das Votum zur Entscheidung zwischen «Chaos und Verantwortung» aus. Sein gewagter Poker: Alle, die grundlegend darin übereinstimmen, dass das hoch verschuldete Land den Gürtel enger schnallen muss, sprechen ihm das Vertrauen aus.
Warum ist der Spardruck in Frankreich so hoch?
Frankreich liegt mit einem Haushaltsdefizit von zuletzt 5,8 Prozent weit über dem europäischen Grenzwert von 3 Prozent. Die EU prüft genau, ob Paris seine Sparbemühungen ernsthaft verfolgt. Der öffentliche Schuldenstand stieg zuletzt auf rund 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was Frankreich nach Griechenland und Italien zum Land mit der höchsten Schuldenquote im Euroraum macht. Absolut gesehen hat Frankreich mit rund 3.300 Milliarden Euro den größten Schuldenberg in der Eurozone.
Der Haushaltsentwurf, den Bayrou Mitte Juli vorgelegt hat, sieht vor, dass Einsparungen in Höhe von 43,8 Milliarden Euro erzielt werden sollen. Der Premier warnte davor, dass allein die Tilgungszahlungen für die Schulden zum größten Posten im Haushalt werden könnten, noch vor den Ausgaben für Bildung oder Verteidigung.
Hat Bayrou Chancen, das Votum zu gewinnen?
Es scheint nicht so zu sein. Es wird nur eine einfache Mehrheit benötigt, um die Regierung zu stürzen. Der Premierminister hatte gehofft, dass er durch Zugeständnisse das Vertrauen der Sozialisten oder der rechtsextremen Nationalisten von Marine Le Pen gewinnen könnte. Aber diese stellten sofort klar: nicht mit uns. Gerade die Sozialisten, die von Bayrou beim Thema Rente enttäuscht wurden, dürften genug von den Versprechungen des Premiers haben.
Auch die Grünen, Kommunisten und die Linkspartei LFI planen, der Regierung das Vertrauen zu entziehen. Insgesamt kommen sie auf 330 Stimmen. Das Mitte-Rechts-Lager der Regierung hat lediglich 210 Stimmen. Die einzige Hoffnung der Regierung könnte sein, dass sich viele Oppositionelle enthalten. Allerdings wird ein solches Szenario als unwahrscheinlich angesehen.
Was passiert, wenn der Premier nicht die nötigen Stimmen bekommt?
Falls Bayrou wie erwartet die Vertrauensfrage verliert, muss er bei Präsident Macron den Rücktritt seiner Regierung einreichen. Macron wird dann wahrscheinlich versuchen, schnellstmöglich einen neuen Premierminister zu ernennen. Der Zeitraum bis zur Vertrauensfrage hat ihm vermutlich ermöglicht, einige Optionen vorab auszuloten.
Die Suche wird dennoch schwierig sein. Weder Macrons Mitte-Lager noch die linken Kräfte oder Marine Le Pens Rechtsnationale haben eine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung. Die Regierungsbildung wird entsprechend kompliziert sein – insbesondere, da Koalitionen in Frankreich unüblich sind.
Eine Möglichkeit, aus dieser schwierigen Situation herauszukommen, wäre, dass Macron das Unterhaus auflöst und Neuwahlen ausrufen würde. Obwohl der Staatschef nach der unglücklich verlaufenen Parlamentsneuwahl im Sommer 2024 mehrmals deutlich gemacht hat, dass er dies nur ungern tun würde, könnte es dennoch eine Option sein, falls Macron keinen anderen Ausweg sieht.
Was hieße eine Schlappe der Regierung für Frankreich?
Die politische Krise des Landes würde sich weiter zuspitzen. Es ist derzeit unklar, wer die verschiedenen Lager als Premierminister vereinen und Stillstand verhindern könnte. Auch Neuwahlen würden vorerst Instabilität bedeuten. Dies wäre für Frankreich äußerst nachteilig, da das Land seine Schulden in den Griff bekommen und einen Haushalt für das nächste Jahr verabschieden muss. Wenn niemand die Zügel in der Hand hält, könnte dies zu einem weiteren Vertrauensverlust an den Märkten führen.
Muss Macron bei einer verlorenen Abstimmung zurücktreten?
Nein. Die Abstimmung betrifft nur die Regierung, nicht Macron, der als Staatschef direkt vom Volk gewählt wurde. Wenn die Vertrauensfrage scheitert, wäre das jedoch auch für Macron peinlich. Bereits der zweite aufeinanderfolgende Premierminister wäre dann von der Opposition gestürzt worden. Viele werden den Präsidenten für die instabile politische Lage verantwortlich machen. Die komplexe Situation, in der keine politische Partei über eine eigene Mehrheit verfügt, ist das Ergebnis der Parlamentsneuwahl, die Macron 2024 herbeigeführt hat.
Die Linken haben bereits jetzt eine vorgezogene Präsidentschaftswahl gefordert. Eigentlich steht diese erst 2027 an. Die Rechtsnationalen dürften sich bei aller Kritik an Macron hier bedeckt halten. Denn noch steht wegen eines laufenden Justizverfahrens nicht fest, ob ihre Anführerin Le Pen bei einer Wahl überhaupt antreten dürfte. Sie machen allerdings Druck auf Macron, das Parlament erneut aufzulösen – in der Hoffnung auf weiteren Stimmzuwachs.
Was hieße das für Frankreichs Partner in Berlin und Brüssel?
Egal ob Regierung oder nicht – außenpolitisch wäre Macron weiterhin am Drücker und erster Ansprechpartner. Da der Staatschef sich jedoch um die Krise im Inland kümmern muss, wird er vorerst kürzertreten und als Impulsgeber auf der internationalen Bühne fehlen. Wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft ihre Finanzprobleme nicht bewältigen kann, wäre dies auch für europäische Partner problematisch. Einerseits, weil die französische Wirtschaft und damit auch Handelspartner andererorts leiden würden. Andererseits, weil Frankreich als wichtiger Akteur, beispielsweise bei großen Krisen wie dem Ukraine-Krieg, zeitweise knapp bei Kasse sein könnte.
Was passiert, wenn die Regierung doch das Vertrauen bekommt?
Die Regierung wäre vorübergehend gestärkt, aber der bevorstehende Sparhaushalt wäre noch nicht automatisch gesichert. Wenn sich die verschiedenen Lager nicht auf einen Kurs einigen können, könnte Bayrou in einigen Wochen dennoch durch ein Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt werden. Genau das ist im Dezember auch Bayrous Amtsvorgänger Michel Barnier im Haushaltsstreit passiert.