Wenige Monate nach dem Beginn ihrer zweiten Amtszeit als Chefin der EU-Kommission sieht sich Ursula von der Leyen mit einem Misstrauensantrag konfrontiert. Ist er so harmlos, wie ihre Partei sagt?
Von der Leyen muss sich Misstrauensvotum stellen
Die kommende Woche wird die EU-Kommission von Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament über einen Misstrauensantrag abstimmen müssen. Die Fraktionsvorsitzenden wurden von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola darüber informiert, so die Deutsche Presse-Agentur.
Der Misstrauensantrag, der von einem rechten rumänischen Abgeordneten initiiert wurde, wurde zuvor darauf geprüft, ob er gemäß den Regeln von mindestens einem Zehntel der 720 Abgeordneten unterstützt wird. In dem zwei Seiten umfassenden Text werden der Kommission unter anderem Intransparenz und Missmanagement in Bezug auf die Corona-Politik vorgeworfen.
Ist ein Scheitern programmiert?
Mindestens 72 Abgeordnete unterstützen den Antrag, was bedeutet, dass er während der Tagung des Parlaments in der kommenden Woche diskutiert und abgestimmt werden muss. Wenn der Antrag angenommen wird, müsste die EU-Kommission geschlossen zurücktreten.
Ein solches Szenario wird jedoch als unwahrscheinlich angesehen, da dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen und gleichzeitig eine Mehrheit der Mitglieder des Parlaments erforderlich wären. Dies würde mindestens 361 Stimmen erfordern, wenn alle Abgeordneten anwesend sind und ihre Stimmen abgeben, sogar 480 Stimmen. Bei der Wahl im vergangenen November erhielt die Kommission von Ursula von der Leyen 370 von 688 abgegebenen Stimmen.
Die Initiative aus dem rechten Lager stellt eine Herausforderung für die deutsche CDU-Politikerin dar, die zur europäischen Parteienfamilie EVP gehört, auch wenn die Erfolgschancen gering sind. In letzter Zeit hat sie mit einigen politischen Initiativen bei ihren eigentlich wohlgesinnten Abgeordneten für Unmut gesorgt, wie zum Beispiel mit der Planung eines milliardenschweren Kreditprogramms für Verteidigungsinvestitionen als Notfallmaßnahme ohne Beteiligung des Parlaments. Dieser Punkt wird auch im Misstrauensantrag kritisiert.
Vorwürfe zur Corona-Politik
Der Rumäne Gheorghe Piperea und die Antragsteller aus dem rechten Lager der EU-Kommission werfen konkret vor, dass bis heute Informationen zu in der Corona-Krise ausgetauschten Textnachrichten zwischen von der Leyen und dem Chef des US-Pharma-Konzerns Pfizer verweigert werden. Das Gericht der EU urteilte kürzlich, dass dies bisher ohne ausreichende rechtliche Begründung geschehe.
Es wird auch bemängelt, dass Corona-Impfstoffe im Wert von etwa vier Milliarden Euro an ungenutzten Impfdosen liegen und die Kommission angeblich Einfluss auf Wahlen in Mitgliedstaaten wie Rumänien und Deutschland genommen hat, indem sie das Gesetz über digitale Dienste verzerrt angewendet hat.
Der Vorsitzende der EVP, Manfred Weber, bezeichnete den Antrag in seiner ersten Reaktion als ein parteitaktisches Spielchen, das auch nicht im Ansatz eine Mehrheit im Parlament finden werde. «Europa hat vor einem Jahr gewählt und Ursula von der Leyen führt die EU in turbulenten Zeiten mit einem starken Mandat», sagt der CSU-Politiker. In Zeiten von wirtschaftlicher Unsicherheit und globalem Umbruch sei es vollkommen unverantwortlich, solche Öffentlichkeitsstunts durchzuziehen. Die Antragsteller verfolgten das Ziel eines instabilen und schwachen Europas.
Letzter Misstrauensantrag wurde 2014 gestellt
Misstrauensanträge gegen die Kommission sind sehr ungewöhnlich. Das letzte Mal, dass Rechtspopulisten im Jahr 2014 mit einem Misstrauensantrag gegen die damalige EU-Kommission um Jean-Claude Juncker gescheitert sind. Bei der Abstimmung haben nur 101 Abgeordnete für den Antrag aus dem EU-kritischen Lager gestimmt. 461 haben dagegen gestimmt und 88 haben sich enthalten.
Hintergrund des Misstrauensantrags waren damals Enthüllungen über Steuervorteile für international tätige Großkonzerne in Luxemburg. Juncker war knapp 19 Jahre lang Regierungschef des Großherzogtums gewesen. Kritiker warfen ihm deswegen «Beihilfe zur Steuerhinterziehung» von Unternehmen vor.
Im Jahr 1999 führte lediglich ein drohender erfolgreicher Misstrauensantrag zum Rücktritt einer EU-Kommission. Zu dieser Zeit stellte eine Kommission unter Jacques Santer ihre Posten vorsorglich zur Verfügung, nachdem ein Bericht über Betrug, Missmanagement und Vetternwirtschaft vorgelegt worden war.