Haushalt, Außenpolitik, Wirtschaftskrise, Pflege: Welche Probleme die neue Regierung lösen muss.
Vor diesen großen Aufgaben steht die neue Regierung
Die neue Bundesregierung steht vor großen Herausforderungen. Bei den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl geht es um viele «heiße Eisen». Ein Überblick:
Außen- und Sicherheitspolitik
Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine vor drei Jahren ereignete sich vor einigen Tagen ein zweites sicherheitspolitisches Erdbeben für die Europäer: Die Zeichen zwischen Washington und Moskau stehen unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump jetzt auf Annäherung. Überhaupt stellt sich spätestens seit der Ansage von US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Frage, wie belastbar das Verhältnis zu den USA noch ist.
Auch im Nahostkonflikt wurde die Bundesregierung, so wie wohl alle EU-Staaten, von dem völkerrechtswidrigen Vorschlag Trumps, den Gazastreifen zu «übernehmen» und die dort lebenden Palästinenser umzusiedeln, kalt erwischt. Eine überzeugende Antwort auf diesen neuen Stil muss in Berlin erst noch gefunden werden.
Verteidigung
Um Russland abzuschrecken und möglicherweise auch in einem Verteidigungskrieg zu bestehen, ist geplant, die Bundeswehr nach jahrelangen Sparmaßnahmen deutlich aufzurüsten. Allerdings stellt sich die Frage: Woher sollen die Soldaten und das Geld kommen? Ein Modell für einen neuen Wehrdienst wurde kontrovers diskutiert, abgeschwächt und scheiterte letztendlich mit dem Ampel-Aus.
Die Frage, wie es nach 2027 finanziell weitergeht, wenn das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht ist, bleibt unbeantwortet. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte, dass ab 2028 jährlich mindestens 85 Milliarden Euro für das Zwei-Prozent-Ziel erforderlich seien, also rund 30 Milliarden mehr als derzeit. Inzwischen wird jedoch bereits von drei Prozent oder mehr gesprochen.
Migrationspolitik
Alle Parteien, die Stand jetzt Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung haben, wollen nach eigenem Bekunden eine Migrationspolitik unter dem Motto «Humanität und Ordnung», was Asylbewerber betrifft, und gleichzeitig mehr Fachkräfte nach Deutschland lotsen. Über die Frage, wie das genau aussehen und gelingen soll, herrscht allerdings Uneinigkeit.
Es ist klar, dass die Aufgabenverteilung und die Kooperation zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, den Ausländerbehörden und den Ländern verbessert werden müssen. Abschiebungen in die Maghreb-Staaten sowie nach Afghanistan, Syrien und in die Türkei sind entweder aufwendig oder sehr schwierig – im Falle von Syrien finden sie überhaupt nicht statt.
Haushalt
Eine der Hauptaufgaben der neuen Koalition wird die Verabschiedung des Bundeshaushalts für das Jahr 2025 sein. In der Zwischenzeit wird eine vorläufige Haushaltsführung beibehalten. Der Staat erfüllt weiterhin gesetzliche Verpflichtungen, wie beispielsweise Ausgaben für Renten oder das Bürgergeld. Neue Projekte können jedoch nicht einfach gestartet werden. Das Scheitern der Ampel-Koalition lag hauptsächlich daran, dass sie aufgrund knapper Kassen aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage keine Einigung über den Haushalt erzielen konnte.
Es bleibt spannend, ob es eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse geben wird, die lediglich eine begrenzte Aufnahme neuer Schulden erlaubt.
Wirtschaftspolitik
Die deutsche Wirtschaft ist 2024 das zweite Jahr in Folge geschrumpft und steckt damit so lange in der Rezession wie seit mehr als 20 Jahren nicht. Auch für dieses Jahr wird nur ein Mini-Wachstum erwartet. Verbände sehen eine strukturelle Krise, der Standort Deutschland habe an Attraktivität verloren. Als Gründe genannt werden vor allem im internationalen Vergleich hohe Energiepreise sowie eine hohe Steuer- und Abgabenlast und zu viel Bürokratie.
Es könnte noch ungemütlicher für die exportorientierte deutsche Wirtschaft werden, wenn US-Präsident Trump in großem Stil Strafzölle auf EU-Importe verhängen würde. Ein Handelskonflikt droht, der Deutschland als Exportnation empfindlich treffen könnte.
Energiepolitik
Hohe Netzentgelte belasten insbesondere energieintensive Unternehmen. Die neue Bundesregierung könnte hier für Erleichterungen sorgen. Das würde jedoch Milliarden kosten. In der neuen Legislaturperiode könnte es auch darum gehen, ob ein Klimageld eingeführt wird, um die steigende CO2-Bepreisung beispielsweise auf Treibstoff und Heizwärme auszugleichen.
Es ist auch unklar, wie der Staat den Bau neuer Gaskraftwerke unterstützt. Sie sollen in Zukunft als Backup dienen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Dies beeinflusst auch den Zeitpunkt des Kohleausstiegs.
Klimaschutz
Bei TV-Debatten der Kanzlerkandidaten spielte das Thema Klimaschutz kaum eine Rolle. Das kritisierten vor allem die Grünen. Sie sehen sich als Garant dafür, dass Deutschland hier Kurs hält und das Tempo beschleunigt. Im Wahlprogramm der Union heißt es, man habe das Ziel der Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 «fest im Blick». Zugleich wird betont, Klimaschutz brauche eine starke Wirtschaft. Die FDP will das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 durch das europäische Ziel bis 2050 ersetzen. Umstritten ist vor allem das Heizungsgesetz: Union und FDP wollen einen grundlegenden Kurswechsel.
Pflege
Im alternden Deutschland sind immer mehr Menschen auf Pflege angewiesen. Pflegekräfte werden dringend gesucht. Trotz erneut erhöhter Beiträge warnt die Pflegeversicherung vor größeren Finanznöten 2026 und sieht die Lage «so ernst wie noch nie». Eine große Reform, die vor der Wahl nicht mehr zustande kam, wird nach der Wahl umso dringlicher – auch, um Pflegebedürftige und Angehörige von steigenden Eigenanteilen zu entlasten. Auf dem Tisch liegen diverse Vorschläge: von Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt bis zu mehr privater Vorsorge. Auch bei der gesetzlichen Krankenversicherung besteht Reformbedarf, nachdem die Beiträge zu Jahresbeginn stark gestiegen waren.
Familienpolitik
Die scheidende Bundesregierung hatte das Ziel, Familien finanziell zu entlasten und die Kinderarmut zu bekämpfen. Dies ist nur teilweise gelungen, z.B. durch leichte Erhöhungen bei Leistungen wie dem Kindergeld. Eine große Herausforderung bleibt die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Es fehlen immer noch Tausende Kitaplätze. Besonders problematisch ist die Situation für Kinder unter drei Jahren: Laut einer Studie fehlen hier mehr als 300.000 Plätze, hauptsächlich im Westen Deutschlands. Dieser Mangel ist einer der Hauptgründe dafür, dass viele Frauen weiterhin in Teilzeit arbeiten, was den Arbeitskräftemangel in vielen Branchen verschärft.
Verkehrspolitik
Die Zukunft des deutschlandweit gültigen Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr ist unsicher. Bis Ende des Jahres sind nur noch Bundesmittel gesichert. Der Bund gewährt jährlich einen Zuschuss von 1,5 Milliarden Euro, um Einnahmeausfälle bei Verkehrsbetrieben auszugleichen – da die meisten ÖPNV-Abos zuvor deutlich teurer waren. Die Länder leisten den gleichen Beitrag. Aus Sicht der Union bestehen hier offene Finanzierungsfragen.
Die Deutsche Bahn soll laut Union umstrukturiert werden. CDU und CSU wollen Betrieb und Infrastruktur voneinander trennen. Es wird auch diskutiert, wie die grundlegende Sanierung des Schienennetzes finanziert werden soll, um die Pünktlichkeit der Züge langfristig zu verbessern. Dies wird viele Milliarden kosten.
Bundespolizei
Eine Überarbeitung des veralteten Bundespolizeigesetzes soll die Befugnisse der Beamten neu regeln und teilweise erweitern. Sie sollen beispielsweise für die Abschiebung von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern zuständig sein, die an Orten wie Bahnhöfen aufgegriffen werden. Kurz vor der Bundestagswahl 2021 scheiterte eine entsprechende Reform der damaligen schwarz-roten Koalition im Bundesrat. Die Ampel-Koalition einigte sich nach langen Debatten 2024 schließlich auf einen neuen Entwurf, der von Sachverständigen jedoch scharf kritisiert wird. Eine abschließende Beratung im Bundestag fand nicht mehr statt.
Kritische Infrastruktur
Beim Schutz von Einrichtungen, die zur kritischen Infrastruktur (Kritis) gehören, wie Flughäfen oder Energieversorger, herrscht Zeitdruck. Ein sogenanntes Kritis-Dachgesetz soll die Unternehmen verpflichten, sich besser zu schützen. Um den Vorgaben der Europäischen Union gerecht zu werden, hätte es eigentlich spätestens im Oktober 2024 in Kraft treten müssen. Doch der Gesetzentwurf wurde erst im November dem Kabinett vorgelegt und fand dann nach dem Ampel-Aus keine Mehrheit im Bundestag mehr.