Syrische Botschaft in Berlin hisst Flagge der Revolutionäre – Deutschland aktiviert Kontakte zu Akteuren in Syrien.
Umsturz in Syrien: Bundesregierung überrascht von Entwicklung
Nach dem Sturz in Syrien sind die Menschen, die in den letzten Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, sehr aufgeregt. Auch die Bundesregierung muss sich neu sortieren, da sie anscheinend vom schnellen Vormarsch der Gegner von Präsident Baschar al-Assad überrascht wurde, wie Äußerungen von Regierungsbeamten nahelegen. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hatte zwar vor einigen Tagen über die Lage in dem Bürgerkriegsland berichtet, aber offensichtlich nicht mit einer so dynamischen Entwicklung gerechnet, wie aus Parlamentskreisen verlautete.
Die deutsch-syrischen Beziehungen
Die Flagge der Revolutionäre weht bereits über der syrischen Botschaft in Berlin am Montag nach dem Umsturz. Laut Auswärtigem Amt unterhält die Bundesregierung Beziehungen zu Staaten und nicht zu Regierungen, daher bleibt die Botschaft geöffnet.
«Natürlich freuen wir uns, dass dieses Regime nach 54 Jahren endlich weg ist», sagt Khaled Davrisch, Repräsentant der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Deutschland. In manchen Gebieten Syriens, etwa in der Provinz Aleppo, gebe es aber noch Kämpfe. Deutschland solle versuchen, auf die Türkei einzuwirken, damit diese die Angriffe der von ihr unterstützten Syrischen Nationalen Armee (SNA) in Nordsyrien auf Stellungen der von der Kurdenmiliz YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) beende.
Zuletzt hatte es immer wieder Aufforderungen – auch auf EU-Ebene – gegeben, das Verhältnis zum Assad-Regime zu normalisieren. Der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Matthias Moosdorf, forderte im Juli: «Deutschland sollte umgehend normale Beziehungen zu Syrien aufnehmen, den Werteunsinn gegen eine realistische Sicht der Verhältnisse eintauschen und mit Assad bilaterale Abkommen zur Lösung der Migration aus Syrien anstreben.»
«Das haben wir aus guten Gründen nicht gemacht», sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Deutschland habe Kontakte zu Akteuren in Syrien, «die wir jetzt auch aktiviert haben».
Die syrischen Flüchtlinge in Deutschland
Es ist derzeit unklar, wie viele der etwa 975.000 Syrer, die derzeit in Deutschland leben, langfristig in ihre Heimat zurückkehren möchten. Einige von ihnen lebten bereits vor der großen Flüchtlingswelle der Jahre 2015 und 2016 in Deutschland und einige erfüllen bereits die Voraussetzungen für eine Einbürgerung. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes erhielten im Jahr 2023 etwa 75.500 Syrer die deutsche Staatsbürgerschaft.
Am Wochenende haben sich bereits einige Flüchtlinge aus der Türkei, dem Libanon und Jordanien auf den Rückweg in ihre Heimat gemacht. Die Mehrheit wartet jedoch noch ab, da die Situation noch unklar ist. Oppositionskreise berichten, dass es bisher keine Berichte über Gräueltaten beim Vorrücken der Rebellen und Milizen nach Damaskus gibt. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob man den Zusicherungen der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) bezüglich des Schutzes religiöser Minderheiten trauen kann.
Laut Bundesinnenministerium lebten Ende Oktober in Deutschland 5.090 syrische Staatsbürger mit Asylberechtigung, 321.444 Personen mit Flüchtlingseigenschaft und 329.242 Syrerinnen und Syrer mit subsidiärem Schutz. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums gab bekannt, dass aufgrund der unsicheren Lage Entscheidungen über Asylanträge syrischer Staatsbürger vorerst zurückgestellt werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat einen sofortigen Entscheidungsstopp verhängt, da derzeit mehr als 47.000 Asylanträge von Syrern anhängig sind, davon 46.081 Erstanträge.
Die Terrorgefahr
«Die HTS hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren bemüht, sich von ihren dschihadistischen Ursprüngen zu distanzieren», sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Doch letztlich müsse man die Gruppe, die sicherlich auch in Zukunft eine Rolle in Syrien spielen werde, an ihren Taten messen. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums weist darauf hin, dass die islamistische Gruppierung ihre Aktivitäten auf Syrien beschränkt.
Eine potenzielle Gefahr geht von den ehemaligen Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus, die sich in von Kurden bewachten Gefängnissen und Flüchtlingslagern aufhalten. «Im Gefängnis sitzen rund 10.000 frühere IS-Kämpfer, darunter knapp 2.000 Ausländer», sagt Davrisch. Auch von den radikalisierten Frauen und Kindern der einstigen IS-Gewaltherrscher gehe im Falle einer Befreiung große Gefahr aus.
Ermittlungen in Deutschland
In den letzten Jahren haben mehrere Prozesse in Deutschland unter syrischen Exilanten große Aufmerksamkeit erregt. Im Januar 2022 verhängte das Oberlandesgericht Koblenz eine lebenslange Haftstrafe gegen einen Mann, der als Mittäter für die Folter von mindestens 4.000 Menschen und den Tod von mindestens 27 Gefangenen verantwortlich sein soll. Ein zweiter Syrer wurde zuvor bereits wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Die aktuellen Ermittlungsverfahren in Deutschland wegen Kriegsverbrechen in Syrien bleiben von dem Umsturz vorerst unberührt. Wenn die Kriegsverbrechen, die Gegenstand der deutschen Ermittlungen sind, auch in Syrien strafrechtlich verfolgt werden sollten, könnten die deutschen Ermittlungen eingestellt werden.