Der neue Außenminister versichert beim Antrittsbesuch in Jerusalem: Israels Sicherheit bleibt deutsche Staatsraison. Er findet aber auch deutliche Worte an die Netanjahu-Regierung. Es ist ein Spagat.
Wadephul in Israel: Zwischen Staatsraison und großer Sorge

Der neue deutsche Außenminister Johann Wadephul ruft die israelische Regierung eindringlich auf, wieder in ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen einzusteigen. Mit Blick auf das seit März verschärfte militärische Vorgehen gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen sagte der CDU-Politiker bei einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Gideon Saar in Jerusalem: «Ich bin nicht sicher, ob so alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können, ob dies langfristig der Sicherheit Israels dient.»
An Saar gerichtet ergänzte der Minister: «Deswegen appellieren wir für einen Wiedereinstieg in ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Einen Waffenstillstand, der auch den Weg für die dauerhafte Versorgung der Menschen in Gaza ebnet.» Dort komme seit 70 Tagen keine humanitäre Hilfe mehr an, die große menschliche Not verschärfe sich jeden Tag.
Treffen mit Netanjahu
Wadephul traf anschließend mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zusammen. Das Verhältnis seiner Vorgängerin Annalena Baerbock (Grüne) zu Netanjahu galt zuletzt als zerrüttet – es soll auch einmal laut geworden sein zwischen beiden.
Wadephuls Besuch findet im Kontext der in dieser Woche anstehenden Feierlichkeiten zum 60-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel statt. Am Nachmittag plante Wadephul, den palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Mustafa in Ramallah im Westjordanland zu treffen.
Wadephul : Kein völkerrechtswidriges Verhalten
Wadephul äußerte Verständnis für den israelischen Standpunkt, dass Hilfslieferungen den Menschen und nicht der islamistischen Terrororganisation Hamas zugutekommen sollten, die diese in der Vergangenheit auch ausgenutzt habe. Deutschland werde die Vorgehensweise Israels pragmatisch und flexibel unterstützen.
Auch von UN-Seite gab es Kritik an den israelischen Versorgungsplänen für den Gazastreifen. Darüber werde er an diesem Dienstag in Berlin mit UN-Generalsekretär António Guterres sprechen, kündigte Wadephul an. «Es geht jetzt wirklich darum, für die Menschen etwas zu erreichen. Und indem die israelische Regierung diesen Schritt jetzt geht, ist auch vollkommen klar, dass man hier ein völkerrechtswidriges Verhalten nicht vorwerfen kann.»
Voraussetzungen für Friedenslösung deutlich gemacht
Wadephul hat deutsche Vorstellungen für eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen klar und ungewöhnlich deutlich gemacht. Eine politische Lösung für den Wiederaufbau des stark zerstörten Gebiets sei erforderlich, jedoch ohne die Hamas, von der keine Bedrohung mehr für Israel ausgehen dürfe. Der arabische Wiederaufbauplan mit einer starken Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sei ein guter Ausgangspunkt dafür.
Klar sei auch, dass der Gazastreifen Teil der palästinensischen Gebiete bleiben müsse, betonte Wadephul. Er sei sich mit Saar einig gewesen, dass die Palästinenser dort von «niemandem gezwungen werden, dieses Gebiet zu verlassen». Die Präsenz der israelischen Armee werde von vorübergehender Natur sein – auch darüber habe Einigkeit bestanden. Kritiker befürchten, Israel strebe eine dauerhafte Besetzung oder eine Vertreibung der Palästinenser an. Der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich hatte zuletzt mit einer Zerstörung des Gazastreifens und Vertreibung der Einwohner gedroht.
Gegen völkerrechtswidrigen Siedlungsbau
Wadephul machte sich für eine Zweistaatenlösung als «beste Chance für ein Leben in Frieden, Sicherheit und Würde für Israelis wie für Palästinenser» stark. Diese dürfe «weder durch ein Vorantreiben eines völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus, noch durch eine vorzeitige Anerkennung eines Palästinenserstaates» verbaut werden, warnte er. Mit Zweistaatenlösung ist ein unabhängiger palästinensischer Staat gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel existiert. Netanjahu lehnt eine solche Lösung ab, ebenso wie die Hamas.
Wadephul in Yad Vashem: Gegen Antisemitismus aufstehen
In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem legte Wadephul zum Gedenken an die von Nazi-Deutschland ermordeten sechs Millionen Jüdinnen und Juden einen Kranz nieder. Er rief dazu auf, «gemeinsam gegen Antisemitismus aufzustehen und auf der Basis der unteilbaren Menschlichkeit die Zukunft zu gestalten».
45 000 Erinnerungsstücke an den Holocaust
In Yad Vashem zeigt Wadephul ein fünfstöckiges Regallager, das vor einem Jahr eröffnet wurde und in dem etwa 45.000 Artefakte gesammelt wurden, die das Leiden der Opfer bezeugen. Darunter befinden sich private Gegenstände wie der Koffer von Selma Sara Vellemann aus Bremen, eine Singer-Nähmaschine und Dokumente. Eine Puppe mit einem roten Kleid wird gezeigt, die die zehnjährige Regina bei der Flucht ihrer Familie aus Deutschland bei sich hatte.
Minister besichtigt Batterie des Raketenabwehrsystems Arrow 3
In Begleitung von Saar demonstrierten die Israelis Wadephul eine aktive Batterie des Luftverteidigungssystems Arrow 3 (deutsch: Pfeil). Der Minister erhielt eine Einführung in das System, das künftig auch von Deutschland eingesetzt werden soll. Der «Pfeil» kann Raketen in bis zu über 100 Kilometern Höhe zerstören, also außerhalb der Atmosphäre und im beginnenden Weltraum. Arrow 3 soll in Deutschland an drei verschiedenen Standorten stehen.
Treffen mit Angehörigen von Hamas-Geiseln
Nach seiner Ankunft am Samstagabend traf Wadephul in Tel Aviv mit den Angehörigen von Geiseln zusammen, die von der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen festgehalten werden. Laut Netanjahu sind derzeit 21 Geiseln im Gazastreifen noch sicher am Leben. Unter den verbleibenden Geiseln soll sich noch eine hohe einstellige Zahl befinden, darunter auch eine deutsche Staatsbürgerschaft. Es ist jedoch unklar, ob sie noch am Leben sind oder nicht.