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Labour triumphiert bei britischer Parlamentswahl

Die Sozialdemokraten übernehmen nach 14 Jahren die Regierung. Starmer steht vor großen Herausforderungen und muss die Briten überzeugen.

Für den designierten Premierminister Starmer ist eine historische Mehrheit in Reichweite.
Foto: Vadim Ghirda/AP/dpa

Wer vor einer schwierigen Aufgabe steht, muss im Englischen einen Berg besteigen. «We have a mountain to climb»: Wir müssen einen Berg erklimmen, betonte auch Keir Starmer immer wieder, seit er die britische Labour-Partei führt. Seine Sozialdemokraten haben nicht nur irgendeinen Berggipfel erreicht. «Er hat gerade den Everest bezwungen und ist ins All gestartet», so beschreibt die bekannte Reporterin Beth Rigby vom Sender Sky News das Ergebnis der britischen Parlamentswahl.

Die Schlüssel zur berühmten schwarzen Tür mit der Nummer 10 in der Downing Street wechseln nach 14 Jahren konservativer Regierung zurück an die Labour-Partei. Am Freitagmittag wird voraussichtlich König Charles III. als Staatsoberhaupt den Parteivorsitzenden Starmer offiziell mit der Regierungsbildung beauftragen. Der 61-Jährige wird eine starke Führung haben.

410 der 650 Abgeordneten im Parlament dürften die Sozialdemokraten laut erster Prognose stellen – gut doppelt so viele, wie die Konservativen 2019 unter dem damaligen Premier Boris Johnson hatten. «Labour wird über genügend Sitze verfügen, um selbst die stärkste Oppositionsfraktion zu bilden», scherzt der Journalist Iain Dale.

https://x.com/IainDale/status/1808972247341621339
https://x.com/MrHarryCole/status/1808980808100987002

Die politischen Verhältnisse im Vereinigten Königreich sind durcheinander geraten. Die Konservative Partei des bisherigen Premierministers Rishi Sunak hat eine vernichtende Niederlage erlitten: Laut Prognose schrumpft die Fraktion auf 131 Mitglieder – so wenige wie noch nie und kaum mehr als ein Drittel der bisherigen Mandate. Sunak wird voraussichtlich sein Amt als Vorsitzender kosten, in der Partei werden mehrere Anwärter auf seinen Chefposten gehandelt.

Wie groß letztlich die Labour-Mehrheit sein wird, ob 20 oder 200 Mandate, spielt im parlamentarischen System Großbritanniens keine Rolle. Aber natürlich macht es das Regieren für Starmer einfacher. Je geringer der Vorsprung, desto größer das Risiko, von Quertreibern in den eigenen Reihen bei strittigen Themen erpresst zu werden. Für Starmer scheint der Weg frei, seinen selbsterklärten Anspruch umzusetzen und Großbritannien durch ein «Jahrzehnt der nationalen Erneuerung» zu führen.

Tatsächlich könnte die gewaltige Mehrheit die Risiken für den designierten Premier übertünchen. «Labour steht vor massiven politischen Herausforderungen und wird von einem Bündnis in der Wählerschaft getragen, das zwar sehr breit, aber sehr oberflächlich ist», sagt der Politologe Anand Menon vom King’s College London. «Es ist also leicht zu erkennen, welche Gefahren sich ergeben.»

Breite Strömungen innerhalb der Labour-Partei

Starmer muss zunächst einmal sicherstellen, dass alle Strömungen innerhalb der Partei zufrieden sind. Labour kann nicht einfach mit der deutschen Schwesterpartei SPD gleichgesetzt werden. Das Spektrum würde in Deutschland – wenn man einen Vergleich zieht – in etwa von der Linkspartei bis zum eher konservativ orientierten Seeheimer Kreis in der SPD reichen.

Der linke Flügel um den ehemaligen Parteichef Jeremy Corbyn, der 2019 gegen den damaligen konservativen Premierminister Johnson verloren hat und danach von Starmer aus der Partei gedrängt wurde, könnte rebellieren, falls Labour zu stark in die politische Mitte rückt. Die Konservativen haben mit ihrem starken Rechtskurs der vergangenen Jahre den Raum dafür freigemacht.

Vor allem aber muss Starmer nun die Britinnen und Briten überzeugen, die nicht seinetwegen für Labour gestimmt haben, sondern um die Konservativen nach 14 Jahren voller Chaos, Skandale und wirtschaftlicher Stagnation abzustrafen. Nicht Labour wurde gewählt, die Tories wurden abgewählt, urteilte Professor John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow, der wohl bekannteste Umfrageforscher im Land, schon vor der Prognose.

Große Mehrheit trotz recht weniger Stimmen

Im britischen Mehrheitswahlrecht schafft es nur der Gewinner eines Wahlkreises ins Unterhaus. Stimmen für die unterlegenen Kandidaten haben keine Auswirkungen. Trotzdem ist es knapp: Obwohl Labour im Unterhaus fast eine Zweidrittelmehrheit erreichen könnte, hat die Partei wahrscheinlich deutlich weniger als 50 Prozent der Stimmen erhalten.

Das zeigt sich auch im Ergebnis der kleineren Parteien. Die Liberaldemokraten können laut Prognose die Zahl ihrer Sitze verfünffachen, die Rechtspopulisten von Reform UK kommen aus dem Stand auf 13 Abgeordnete – deutlich mehr als erwartet. «Labour muss in der Regierung hart dafür arbeiten, die Wähler an sich zu binden, die 2024 für Starmer gestimmt haben. Weil sie nicht Labour wählen, sondern die Tories loswerden wollten», kommentiert Sky-News-Reporterin Rigby.

Gewaltige Herausforderungen

Es könnte schwierig werden. Das Land steht vor großen Herausforderungen. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS liegt am Boden, es gibt zu wenig Wohnraum, die maroden Gefängnisse sind überfüllt, es herrscht akuter Fachkräftemangel, der Brexit ist noch nicht überwunden, das Vertrauen in die Politik ist erschüttert. Die Liste könnte noch lange fortgeführt werden.

Es fehlt jedoch tatsächlich an Geld, um Verbesserungen zu finanzieren und notwendige Investitionen anzustoßen. Labour plant, Steuererleichterungen für Privatschulen zu streichen, Steuerschlupflöcher für wohlhabende Ausländer zu schließen und die Übergewinnsteuer für Energieunternehmen zu erhöhen. Für Privathaushalte, die bereits unter der höchsten Steuerlast seit Jahrzehnten leiden, soll sich jedoch nichts ändern. Auf Starmer und Labour warten nach der ersten Gipfelbesteigung noch viele weitere Berge.

dpa