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Kitas in Ostdeutschland vor dem Sterben?

Die Kita-Krise spaltet Deutschland in Ost und West, doch die Lage variiert auch regional stark.

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Im Osten Schließungen, im Westen Platzmangel - die Kita-Krise hat verschiedene Facetten.
Foto: Patrick Pleul/dpa

«Freie Kita-Plätze», «Wöchentliche Musikstunden, Waldtage und Ausflüge» – mit Aushängen an Laternenmasten und Flyern werben Kitas im Berliner Bezirk Pankow um Kinder. Anderswo ist die Lage bereits dramatischer: In sächsischen Großstädten wie Leipzig, Dresden oder Chemnitz werden Kitas geschlossen, weil es zu wenige Kinder gibt. Nach jahrelangem Aufbau von Kapazitäten und Meldungen über zu wenige Plätze droht mancherorts ein Kita-Sterben.

«Die Gefahr eines Kita-Sterbens in den östlichen Bundesländern wird zunehmend real und ist regional eine große Herausforderung», sagt die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doreen Siebernik. Sie warnt vor den gesellschaftlichen Folgen und einem Dominoeffekt, den die Politik dringend verhindern müsse.

Erst Platzmangel, jetzt Überangebot? 

Es ist abhängig davon, wohin der Fokus in Deutschland gerichtet ist, da das Land in Ost und West, aber auch regional, geteilt ist.

Das Bewusstsein bei allen wachse, dass die Problemlage in den westdeutschen Flächenländern eine völlig andere ist als in den östlichen Ländern, sagt Familienministerin Karin Prien auf Nachfrage. In den großen Städten sei die Situation wiederum anders, fügt die CDU-Politikerin hinzu.

Studie: Rückbau «nahezu unumgänglich»

Das bestätigt eine kürzlich vorgelegte Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). «Der Osten befindet sich in einer Situation, in der ein Rückbau der Kapazitäten in den Kitas nahezu unumgänglich ist. Dies betrifft zwar verstärkt die Städte, ist aber auch in den ländlichen Gebieten der Fall», heißt es darin. Als Gründe werden sinkende Geburtenzahlen seit Mitte der 2010er Jahre genannt, bei gleichzeitig schon lange gut ausgebautem Betreuungsangebot. 

Im Westen habe der Geburtenrückgang erst in den 2020er Jahren eingesetzt. Aber auch hier seien inzwischen die Zahlen der unter Dreijährigen deutlich rückläufig, «sodass aus demografischer Sicht keine zusätzlichen Plätze mehr benötigt werden». Allerdings gebe es in Westdeutschland noch große Lücken zwischen der eigentlich von den Eltern gewünschten und tatsächlich realisierten Betreuung unter Dreijähriger. Die Elternwünsche nähmen außerdem noch weiter zu.

Wegen Abwanderungsbewegungen in ländliche Gebiete mit «familiengerechtemWohnraum» sieht die Analyse im Westen am ehesten in den Großstädten ein Ende der bisherigen Kitaplatz-Krise. 

Zusammenbruch durch «Unterauslastung»?

Im Westen fehlen je nach Region immer noch viele Betreuungsplätze – laut einer Bertelsmann-Studie von Ende 2023 weit über 300.000 gemessen an den Betreuungswünschen der Eltern – während in sächsischen Großstädten seit über einem Jahr Meldungen über drohende Schließungen die Runde machen. In Mecklenburg-Vorpommern beklagt die GEW, dass aufgrund rückläufiger Kinderzahlen in einigen Kommunen bereits Kündigungen von Personal in Kitas angekündigt wurden.

In Sachsen-Anhalt wird Personal aus Kitas aufgrund von Kindermangel in anderen Bereichen eingesetzt. In Thüringen gibt es Schließungen, zum Beispiel in Weimar. Dies sei erforderlich, um zu verhindern, dass das Kitasystem aufgrund von Unterbesetzung zusammenbricht, erklärt die Stadt.

Nicht schließen, sondern Betreuungsschlüssel ändern

Wie weiter? Es gebe nicht die eine Lösung für alle, betont Prien mit Verweis auf die unterschiedliche Situation im Land. «Sondern wir werden in den östlichen Bundesländern eher überlegen müssen, wie können wir über Weiterbildung Kräfte, die heute in der Kita sind, an anderer Stelle einsetzen.» Es brauche auch Ausbildungsformen, die generalistischer sind, damit die Menschen, die man ausbilde, in vielen Bereichen eingesetzt werden könnten.Die IW-Studie plädiert dafür, Personal nicht abzubauen, sondern zu halten und für eine bessere Betreuungsrelation einzusetzen – also weniger Kinder pro Erzieher oder Erzieherin. Darauf drängt auch die GEW: «Die sinkenden Kinderzahlen sind eine echte Chance, die Qualität des Angebots der Kitas zu verbessern», sagt Gewerkschaftsvize Siebernik. Es müsse verhindert werden, dass die gut ausgebildeten Fachkräfte das Arbeitsfeld verließen. «Ziel ist, die Infrastruktur zu sichern und damit die Attraktivität der Regionen für Familien zu erhalten, anstatt Einrichtungen zu schließen und das Angebot abzubauen.»

Kapazitäten seit 2013 deutlich ausgebaut

Seit 1996 haben Eltern in Deutschland Anspruch auf einen Kita-Platz für Kinder ab drei Jahren, ab 2013 wurde dieser Anspruch auf Kinder ab einem Jahr erweitert. In der Zwischenzeit hat sich der Ausbau von Kitas deutlich erhöht. Laut Statistischem Bundesamt gab es zum Stichtag 1. März 2024 knapp 61.000 Einrichtungen, zehn Jahre zuvor waren es rund 53.000. Die Anzahl der Erzieherinnen und Erzieher stieg von 530.000 auf über 780.000, die Anzahl der betreuten Kinder von 3,3 auf fast 4 Millionen.

dpa