Grund für «Alarmismus» gebe es nicht, betont die Union. Dennoch ist auch sie mit im Boot bei dem Gesetzesvorhaben zum Schutz des höchsten deutschen Gerichts.
Warum das Bundesverfassungsgericht abgesichert werden soll
Das Bundesverfassungsgericht überwacht die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Grundrechte. Um sicherzustellen, dass das Gericht in Karlsruhe diese Aufgabe auch weiterhin so erfüllen kann wie in den vergangenen Jahrzehnten, wird eine Reform von Rechtspolitikern mehrerer Fraktionen als notwendig erachtet. Der Bundestag stimmt heute über ein entsprechendes Vorhaben ab. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Warum kommt diese Reform jetzt?
Die AfD ist bei diesem Vorhaben der sprichwörtliche Elefant im Raum. Die Bundespartei wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet. Dass die AfD bei den Landtagswahlen im Osten und in Meinungsumfragen zuletzt zulegen konnte, hat bei Politikerinnen und Politikern anderer Parteien die Sorge vor einem Szenario wachsen lassen, wie es in Ungarn und Polen unter den inzwischen abgewählten Regierungen zu beobachten war.
Der Blick in Länder wie Polen und Ungarn habe gezeigt, dass auch die stärksten Verfassungsgerichte verwundbar seien, sagt der amtierende Bundesjustizminister Volker Wissing. «Schnell werden sie zur Zielscheibe der Politik, wenn kritische Richter unliebsame Urteile sprechen.» Deshalb sei ein besserer Schutz für Deutschlands oberste Verfassungshüter dringend geboten.
Was war in Ungarn und Polen geschehen?
Die nationalkonservative Regierung der PiS, die Polen von 2015 bis 2023 regierte, hat das polnische Justizsystem umstrukturiert und dadurch nach Expertenmeinung die Gewaltenteilung eingeschränkt. Es wurde unter anderem die Möglichkeit geschaffen, Richter zu überwachen und zu bestrafen. Die neue Mitte-Links-Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk bemüht sich, die von der Europäischen Union kritisierten Maßnahmen rückgängig zu machen.
In Ungarn steht Ministerpräsident Viktor Orban unter dem Verdacht, die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken. «Wir verhindern, dass, wie in Osteuropa geschehen, durch Schaffung neuer Senate oder die Herabsetzung der Altersgrenze neue Verfassungsrichterstellen geschaffen werden, die mit Günstlingen besetzt werden können», hatte Johannes Fechner von der SPD bei der ersten Beratung zu der geplanten Änderung im Bundestag erklärt.
Was soll jetzt im Grundgesetz geändert werden?
Die zwölfjährige Amtszeit der Richter, der Ausschluss einer Wiederwahl sowie die Altersgrenze der Richter von 68 Jahren sollen im Grundgesetz verankert werden. Diese und andere Vorgaben zu Status, Struktur und Arbeitsweise des Gerichts regelt bislang das Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Das aber kann mit einfacher Mehrheit geändert werden, anders als das Grundgesetz.
“Im Grundgesetz soll auch die Festlegung auf 16 Richter und zwei Senate verankert werden. Um sicherzustellen, dass die Arbeitsfähigkeit des Gerichts in keinem Fall gefährdet ist, soll zukünftig im Grundgesetz stehen, dass ein Richter seine Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers weiterführt.”
Die Geschäftsordnungsautonomie gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, was bedeutet, dass die Richter selbst über die Bearbeitung der Akten entscheiden können, um politische Einflussnahme zu verhindern.
Was ist mit der Wahl der 16 Richterinnen und Richter?
Die Hälfte von ihnen wird im Bundestag, die andere Hälfte im Bundesrat gewählt. Das soll grundsätzlich auch so bleiben. Notwendig ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese Regelung hat bislang garantiert, dass die Parteien meist Juristen vorgeschlagen haben, die als eher gemäßigt gelten.
Um zu verhindern, dass es in Zukunft zu einer Sperrminorität kommt, haben sich SPD, Union, Grüne und FDP auf einen Ersatzwahlmechanismus geeinigt. Dieser besagt, dass das Wahlrecht vom Bundestag auf den Bundesrat übergehen kann und umgekehrt, falls keine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande kommt.
Die Initiatoren der Reform haben bei ihren Überlegungen zu diesem Punkt nicht nur an die AfD gedacht, sondern auch an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Warum wird über zwei Gesetzentwürfe abgestimmt?
Eine Öffnungsklausel soll in das Grundgesetz aufgenommen werden, um den neuen Ersatzwahlmechanismus zu ermöglichen. Diese Änderung soll dann im Bundesverfassungsgerichtsgesetz umgesetzt werden.
Nur der Teil des Projekts, der das Grundgesetz betrifft, erfordert die Zustimmung des Bundesrates. Auch im Bundesrat ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Es wird erwartet, dass diese zustande kommt.
Wie dringend ist das Vorhaben?
Darüber gibt es geteilte Auffassungen. Der Deutsche Richterbund hat nach der Landtagswahl in Thüringen im September erklärt: «Mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse ist es dringender denn je, die Unabhängigkeit der Justiz in Bund und Ländern besser gegen gezielte politische Eingriffe durch illiberale, extremistische Kräfte zu sichern. Mit der Sperrminorität der AfD in Thüringen ist ein erster Dominostein bereits gekippt.»
Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), betont zwar, er sehe aktuell keinen Grund für «Alarmismus». Dennoch spricht aus seiner Sicht viel dafür, «dass man das nun auch zügig umsetzt». Er sagt, alles, was die Struktur und die Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts betreffe, sei bisher «sehr rudimentär geregelt, im Vergleich zu anderen Verfassungsorganen».