Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Deutschland verfehlt Klimaziel 2030: Expertenrat pessimistischer als Minister,

Fachleute sehen Deutschland auf Kurs für verfehltes Klimaziel 2030, trotz Fortschritten bei erneuerbaren Energien und Ausbau von Wasserstoff.

Der Expertenrat für Klimafragen geht davon aus, dass Deutschland sein Klimaziel für 2030 verfehlt.
Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Laut einem in Berlin vorgestellten Sondergutachten wird Deutschland voraussichtlich bis 2030 mehr klimaschädliche Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben als gesetzlich vorgeschrieben, was bedeutet, dass das Klimaziel verfehlt wird. Dies ist das Ergebnis des Expertenrats für Klimafragen, eines wissenschaftlichen Beratergremiums der Bundesregierung. Im Vergleich dazu äußerte sich Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) im März optimistischer und erklärte, dass Deutschland auf Kurs sei.

Hat Habeck getrickst?

Es gibt keinen Widerspruch in den Daten selbst. Habeck hat lediglich die Vorausberechnungen des Umweltbundesamts (UBA) für die kommenden Jahre optimistischer bewertet als der Expertenrat. Deutschland macht tatsächlich Fortschritte, insbesondere beim Ausbau der erneuerbaren Energien, was Habeck selbst betont.

Die Mengen, die Deutschland laut Klimaschutzgesetz zwischen 2021 und 2030 an Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen ausstoßen dürfte, würden nach jüngsten Berechnungen um 47 Millionen Tonnen unterschritten – nach vorher 1100 Millionen Tonnen erwarteter Überschreitung. Vor allem auf diese Zahl stützte sich Habecks Stolz. Der Vorsitzende des Expertenrats, Hans-Martin Henning, betont hingegen, wie mickrig dieser Puffer ist: «Das ist deutlich weniger als ein Prozent des Gesamtbudgets für diesen Zeitraum.»

Warum ist der Expertenrat pessimistischer?

Das Gremium hat Berechnungen zur Wahrscheinlichkeit angestellt und geht auf dieser Grundlage nicht davon aus, dass es mit dem Klimaziel für 2030 klappen wird. Dafür gibt es mehrere Gründe. So wurden zum Beispiel die vorausberechneten Emissionen in den Bereichen Energie, Gebäude und Verkehr unterschätzt und auch die in der Industrie wurden mit Einschränkungen berücksichtigt. Außerdem weisen die Experten darauf hin, dass das UBA nur Daten bis zum vergangenen Oktober berücksichtigt hat. Doch seitdem wurde aufgrund des Karlsruher Urteils zum Bundeshaushalt unter anderem der wichtige Energiewendetopf Klima- und Transformationsfonds gekürzt. Zudem wurde damals noch von höheren Preisen für klimaschädliches Gas und teureren Zertifikaten im europäischen Emissionshandel ausgegangen, so die Fachleute. Unternehmen können im Emissionshandel mit Rechten zum Ausstoß von Treibhausgasen (Zertifikaten) handeln.

Ein Sprecher des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums argumentierte seinerseits, der Expertenrat habe einige aktuelle Entwicklungen nicht mehr berücksichtigt. Er nannte unter anderem das Paket zum Ausbau der Solarenergie oder Pläne, die dem klimafreundlicheren Energieträger Wasserstoff Schub verleihen sollen. Henning zeigte sich unbeeindruckt: Das Solarpaket habe der Expertenrat durchaus berücksichtigt. «Neben dem Solarpaket 1 sehen wir keine relevanten gesetzgeberischen Maßnahmen, die seit März beschlossen worden sind und unsere Grundeinschätzung verändern würden, dass das Klimaziel 2030 voraussichtlich nicht erreicht wird», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Was ist mit der Zeit nach 2030?

Nach den im Klimaschutzgesetz festgelegten Zielen sollte es eigentlich richtig losgehen: Bis 2040 sollen es mindestens 88 Prozent sein und 2045 soll Deutschland klimaneutral sein – also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als auch wieder gebunden werden können. Allerdings sieht es momentan nicht gut aus. Der Expertenrat geht davon aus, dass das CO2-Budget zwischen 2031 und 2040 um etwa zehn Prozent überschritten wird. Es wird wahrscheinlich nicht einmal bis 2050 erreicht, die angestrebte Treibhausgasneutralität, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats Brigitte Knopf.

Was ändert diese Einschätzung des Expertenrats?

Rein formal gar nichts. Nach dem reformierten Klimaschutzgesetz muss die Bundesregierung zwar handeln, wenn eine Zielverfehlung droht – aber eben erst, wenn dies zwei Jahre in Folge festgestellt wird. Diese erste Einschätzung verpflichte die Bundesregierung «nicht zu weiterer klimapolitischer Aktivität», sagt auch der Rat.

Allerdings legen die Fachleute den Finger in die Wunde. Umweltorganisationen und andere Experten sehen sich bestätigt. Die Bundesregierung habe sich die Lage im Frühjahr schöngerechnet, meint Greenpeace. «Mit Blick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen bedeutet dies, dass die Ampel-Koalition Zukunftsinvestitionen im Klimabereich dringend absichern muss», sagte der Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende Deutschland, Simon Müller. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Badum betonte: «Unwetter töten im schlimmsten Fall, das haben wir dieses Wochenende gesehen.» Man wisse, dass Überschwemmungen, Dürren, Ernteausfälle mit steigender Erderhitzung zunähmen. «Deswegen brauchen wir angesichts der aktuellen Hochwassernotlage die Bereitschaft, über eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu sprechen.»

Was sollte jetzt nach Ansicht des Expertenrats passieren?

Es sei besser, nicht zu warten bis zum zweiten Warnschuss, so der Expertenrat. Vor allem in den Bereichen Gebäude und Verkehr, wo Deutschland auch in Bezug auf die europäischen Klimaziele nicht auf Kurs ist, müsse gehandelt werden. Zudem bestehe Verbesserungsbedarf bei der Methodik für die Vorausberechnungen der Klimaziele.

Ein Sprecher des FDP-geführten Bundesverkehrsministeriums betonte: «Wir sind ja schon dran an dem Thema Klimaschutz im Verkehr.» Das sei aber nicht so einfach, da viele Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor unterwegs seien. Er und eine Sprecherin des SPD-geführten Bauministeriums sagten, nach der Reform des Klimaschutzgesetzes komme es nun stärker darauf an, dass Deutschland seine Klimaziele insgesamt schaffe und nicht mehr nur jeder einzelne Bereich. Ein Sprecher des Klimaschutzministeriums betonte hingegen, auch mit der Reform bleibe jedes Ministerium in Verantwortung. 

Man sehe bei einer Zielverfehlung «Klärungsbedarf, wer in der Bundesregierung die Federführung innehat», sagte Henning vom Expertenrat. Der Rat empfiehlt der Bundesregierung, Details nun rasch in Verordnungen festzulegen. 

dpa