Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Der Sturz Assads: Irans Machtverlust im Nahen Osten

Die Widerstandsachse bricht zusammen, während der Iran Atomwaffen als Abschreckung diskutiert und Israel zurückschlägt.

Nach dem Umsturz in Syrien stürmten Aufständische die iranische Botschaft in Damaskus. Teheran steht nach dem Sturz von Baschar al-Assad vor einem neuen Dilemma. (Archivbild)
Foto: Hussein Malla/AP/dpa

Mit dem Fall des syrischen Langzeitmachthabers Baschar al-Assad verliert die Staatsführung des Irans einen wichtigen Verbündeten. Es ist noch ungewiss, wie sich die politische Situation in Syrien entwickeln wird. Dennoch wird sich die Zukunft der iranischen Regionalpolitik entscheidend verändern. Ein Überblick:

Was bedeutet der Sturz Assads für Irans Einfluss im Nahen Osten?

Vor Kurzem hatte der iranische Außenminister Abbas Araghtschi noch der syrischen Regierung Unterstützung zugesichert. Doch die plötzliche Offensive der Rebellen und der überraschende Sturz Assads dürften auch die Führung in Teheran überrascht haben. Über Nacht verlor der Iran seinen einzigen staatlichen Verbündeten in der Region – und vorerst auch den Zugang zum Mittelmeer, der lange als Versorgungsweg für die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah gedient hatte.

Syriens Regierung war Teil der sogenannten Widerstandsachse im Nahen Osten, ebenso wie mehrere militante Gruppen, die im Kampf gegen Israels Erzfeind Iran verbündet waren. Die iranische Führung hatte über Jahrzehnte hinweg das Netzwerk mit den Revolutionsgarden, der Elitetruppe des Landes, aufgebaut. Jetzt ist nur noch die Huthi-Miliz im Jemen übrig, die jedoch geografisch weit entfernt agiert und daher nur begrenzt in das strategische Netzwerk eingebunden ist.

Mit Assads Sturz schwindet Irans Macht in der Region. «Ohne den direkten Zugriff auf Syrien ist der Einfluss des Iran im Libanon dramatisch eingebrochen», sagte der Politologe Thomas Jäger der «Kölnischen Rundschau». Es finde eine «völlige Neuordnung des Machtgleichgewichts im Nahen und Mittleren Osten statt». Hamidreza Azizi, Gastwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), schrieb auf der Plattform X: «Dies ist das Ende der Widerstandsachse, zumindest in dem Sinne, wie wir sie kannten.»

Könnte der Iran jetzt zur Atombombe greifen?

Die jüngsten Rückschläge, die Iran und seine Verbündeten in den vergangenen Monaten erlitten haben, haben in der Nation die Diskussion über militärische Abschreckung wieder angefacht. Politiker aus den hinteren Reihen fordern nun immer lauter die Entwicklung von Atomwaffen. Ein Parlamentsabgeordneter aus Teheran, Ahmad Naderi, erklärte erst am Sonntag, dass es nun an der Zeit sei, einen Atomwaffentest durchzuführen.

Offiziell strebt die Islamische Republik nicht nach Atomwaffen. Regierungsvertreter verweisen dabei auch auf ein religiöses Gebot von Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei, der Massenvernichtungswaffen gemäß islamischer Lehre ablehnt. Experten haben in der Vergangenheit argumentiert, dass der Iran solange andere Abschreckungsstrategien verfolgen wird, wie der 85-Jährige an der Macht ist.

Im Streit über die strengen Sanktionen im Zusammenhang mit seinem umstrittenen Atomprogramm hat der Iran in den vergangenen Jahren die Urananreicherung deutlich ausgeweitet. Die Verhandlungen über eine Wiederbelebung des Wiener Atomabkommen zur Begrenzung des Programms liegen seit Anfang 2022 weitgehend auf Eis, nicht zuletzt wegen der seither stark belasteten Beziehungen zum Westen. Auch Experten glauben, dass Teheran nun nach der Bombe greifen könnte. «Der Bau einer Bombe ist eine Option, aber nicht die einzige. Die Drohung, eine Bombe zu bauen, ist eine Möglichkeit, einen Deal zu bekommen», schreibt der Analyst Gregory Brew von der Eurasia Group.

Welche Rolle spielt der Krieg gegen Israel?

Viele Beobachter in Israel sehen den überraschenden und beispiellosen Terrorangriff der islamistischen Hamas im Gazastreifen auf das israelische Grenzgebiet am 7. Oktober 2023 als Auslöser einer Kettenreaktion, die letztlich dramatische Umwälzungen im gesamten Nahen Osten ausgelöst hat. Hamas-Chef Jihia al-Sinwar hatte gehofft, mit dem «Startschuss» die gesamte iranische Achse im Kampf gegen Israel einen zu können. Die anderen Mitglieder der iranischen Achse im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen schlossen sich der Hamas damals auch rasch an und griffen Teherans Erzfeind Israel immer wieder massiv an. 

Letztlich erreichte Sinwar jedoch genau das Gegenteil von dem, was er sich erhofft hatte. Israel schlug hart zurück, teilweise mit Hilfe des US-Verbündeten. Die Tötung ranghoher Anführer der Hisbollah sowie der iranischen Al-Kuds-Brigaden im Libanon und in Syrien habe «die Fähigkeit der iranischen Widerstandsachse, der syrischen Armee zu helfen, dramatisch verringert», schrieb der israelische Analyst Danny Citrinowicz von der Denkfabrik Institut für Nationale Sicherheitspolitik in Tel Aviv. Dies habe letztlich vermutlich «das Schicksal des Assad-Regimes besiegelt». 

Könnte Israel jetzt die iranischen Atomanlagen angreifen?

Indirekt habe Sinwar «der Achse eigenhändig den schwersten Schaden in ihrer Geschichte zugefügt», schrieb ein Kommentator der israelischen Zeitung «Jediot Achronot». Der Iran, dessen Luftabwehr bei der jüngsten israelischen Attacke auf das Land schwer beschädigt worden war, müsse nun einen israelischen Angriff auf seine Atomanlagen befürchten. 

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einem «historischen Tag in der Geschichte des Nahen Ostens», nachdem die Rebellen Damaskus erobert hatten. Assads Sturz sei ein «direktes Ergebnis der Schläge, die wir dem Iran und der Hisbollah versetzt haben», erklärte er. 

Wie wird der Sturz Assads in Teheran wahrgenommen?

Nach außen reagierte Irans Regierung zurückhaltend. Doch Insider sprechen bereits von einem politischen Beben. Netanjahu sei der große Gewinner der Ereignisse, sagt ein Experte in der Hauptstadt Teheran. «Syrien war ein Beispiel politischer Fehlkalkulationen und unüberlegter Bündnisse», erklärt der Insider, der mit dem Denken der Regierung vertraut ist. Milliardenschwere Investitionen habe der Iran in Syrien geleistet, Hunderte Soldaten seien dort gefallen. 

Ein iranischer Professor, der anonym bleiben wollte, sagte, Irans Regierung habe auf einen schwachen Verbündeten in Damaskus gesetzt. Der Umsturz habe offenbart, wie «künstlich und fragil» die Strukturen waren.

dpa