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Was bei der Richterwahl auf dem Spiel steht

Die Neubesetzung von Richterstellen in Karlsruhe ist in normalen Zeiten eine Nachricht, die außerhalb von Fachkreisen kaum Widerhall findet. Warum das diesmal anders ist.

Im ersten Anlauf ist die Richterwahl im Bundestag geplatzt. Jetzt folgt der zweite Versuch,
Foto: Michael Kappeler/dpa

Mit Zuversicht und einem Rest Nervosität blickt die schwarz-rote Koalition auf die für den Nachmittag geplante Wahl von drei Verfassungsrichtern durch den Bundestag. Im zweiten Anlauf soll nun klappen, was im Juli in der letzten Sitzung vor der Sommerpause krachend gescheitert ist. Sollte auch der neue Versuch schiefgehen, würde das die Koalition erneut bis ins Mark erschüttern.

Die Vorgeschichte: Symbol für einen holprigen Start

Die gescheiterte Richterwahl, neben dem Hin und Her um die Senkung der Strompreise, wird als Hauptgrund dafür angesehen, dass die schwarz-rote Koalition in den ersten Monaten ein ziemlich zerstrittenes Bild abgegeben hat. Kurz vor der Abstimmung im Parlament stieß der Widerstand in der Union gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf aufgrund ihrer Haltung zu Abtreibungen auf so großen Widerstand, dass Fraktionschef Jens Spahn (CDU) die Notbremse zog und die Absetzung der Wahl veranlasste. Die SPD empfand das Vertrauen in der Koalition als erschüttert. Die Potsdamer Staatsrechtlerin verzichtete später nach einigem Zögern auf ihre Kandidatur.

Die Kandidaten: Zwei Frauen und ein Mann

Die SPD hat mit der Bundesverwaltungsrichterin Sigrid Emmenegger eine Ersatzkandidatin gefunden, gegen die es in der Union praktisch keine Einwände mehr gibt. Die zweite SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold wird kritischer gesehen aufgrund ihrer Positionen zum Klimaschutz und zu Vergesellschaftungen. Die mögliche Anzahl der Gegenstimmen wird jedoch auch bei ihr als überschaubar eingeschätzt. Der dritte Kandidat wurde von der Union vorgeschlagen, nachdem sich das Bundesverfassungsgericht einstimmig für ihn ausgesprochen hatte: Der Arbeitsrichter Günter Spinner ist der Ersatzmann für den Verwaltungsrichter Robert Seegmüller, für den die Union keine Mehrheit bei den anderen Fraktionen gefunden hat.

Die Wahl: Urnen sind zwei Stunden offen

Die Wahl erfolgt geheim. Daher wird am Ende nicht bekannt sein, wie viele Abgeordnete aus den verschiedenen Fraktionen für die Kandidaten gestimmt haben. Um einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu wählen, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Zwei Drittel der abgegebenen Stimmen müssen auf ihn oder sie entfallen. Außerdem müssen mindestens die Hälfte aller Abgeordneten mit Ja stimmen.

Die schwarz-rote Koalition hat zusammen mit den Grünen 413 Sitze im Parlament – sieben weniger als die Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten von 420 Stimmen. Das bedeutet, dass möglicherweise Stimmen von Linken oder AfD nötig sind, um zu einer Mehrheit zu kommen. Das hängt jedoch davon ab, in welcher Stärke die Fraktionen tatsächlich anwesend sind.

Um sicherzustellen, dass so wenig Abgeordnete wie möglich die Wahl verpassen, bleiben die Urnen dieses Mal ungewöhnlich lange, nämlich zwei Stunden, geöffnet. Die Öffnung erfolgt gegen 16.20 Uhr. Das Ergebnis wird voraussichtlich nach der Auszählung gegen 19.00 Uhr bekannt gegeben.

Szenario 1: Alles läuft glatt

Wenn es allen drei Kandidaten gelingt, wird den Koalitionspartnern mehr als nur ein Stein vom Herzen fallen. Die gescheiterte Richterwahl belastet das Bündnis von CDU, CSU und SPD nun schon seit elf Wochen. Alle drei Parteien möchten das Thema so schnell wie möglich hinter sich lassen.

Die drei neuen Verfassungsrichter müssen nach der Wahl noch einige Tage warten, um ihre Büros in Karlsruhe zu beziehen. Die Ernennung durch den Bundespräsidenten ist für Anfang Oktober geplant. Allerdings steht bereits an diesem Freitag im Bundesrat die Wahl der neuen Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts an. Für diese Position ist Kaufhold vorgeschlagen – sollte sie im Bundestag eine Mehrheit bekommen.

Szenario 2: Ein Kandidat scheitert

Günter Spinner ist der wackeligste von den drei Kandidaten. Die Union hofft darauf, dass ihr Kandidat die Unterstützung aller Karlsruher Richter hat und deshalb gewählt wird. Die Linke ist verärgert, weil die Union nicht mit ihr über den Kandidaten sprechen wollte, da die CDU durch einen Parteitagsbeschluss die inhaltliche Zusammenarbeit mit der Linken verboten hat.

Die Linke steht nach Aussage von Fraktionschefin Heidi Reichinnek geschlossen hinter den beiden SPD-Kandidatinnen, beim Unionskandidaten hat die Fraktion die Abstimmung freigegeben. «Es werden verschiedenen Abgeordnete verschieden abstimmen», sagte Reichinnek in den ARD-«Tagesthemen». 

So gibt es einige in der Linken wie den früheren Fraktionschef Dietmar Bartsch, die für ein konstruktives Vorgehen sind. «Sie können glaube ich sicher sein, dass an der Linken die Wahl der Verfassungsrichterinnen und des Verfassungsrichters nicht scheitern wird», sagte Bartsch am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Die AfD hat kein Problem mit „Spinnern“. Da die Wahl geheim ist, wird es später nicht bekannt sein, ob eine Mehrheit nur mit den Stimmen der AfD erreicht wurde.

Szenario 3: Mehrere Kandidaten scheitern

Es ist äußerst unwahrscheinlich. Obwohl Kaufhold von der AfD abgelehnt wird, hat die Linke kein Problem mit ihr. Emmenegger könnte das beste Ergebnis erzielen. Keine Fraktion hat größere Einwände gegen sie.

Aber sollte auch nur ein Kandidat oder eine Kandidatin scheitern, wäre das für die Koalition eine mittlere Katastrophe und würde den Start in den von Merz ausgerufenen «Herbst der Reformen» schwer belasten. 

Letzter Ausweg Bundesrat

Möglicherweise könnte der Bundestag im Falle eines Scheiterns einen neuen Vorschlag machen oder den gescheiterten Kandidaten erneut zur Wahl stellen. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesrat eingreifen.

Der Ursprung dieses Gesetzentwurfs liegt darin, dass sich SPD, Grüne, FDP und Union bereits vor dem Ende der Ampel-Koalition darauf geeinigt hatten, das Bundesverfassungsgericht widerstandsfähiger gegen Einflussnahme und Blockade durch Verfassungsfeinde zu machen. Eine zentrale Änderung besteht darin, dass bestimmte Regeln nicht mehr mit einfacher Mehrheit geändert werden können. Es ist jedoch auch ein Mechanismus vorgesehen, falls der Bundestag nicht weiterkommt.

Im vorliegenden Fall wird zunächst das Bundesverfassungsgericht um einen Vorschlag gebeten. Falls drei Monate später die Richterposition immer noch vakant ist, hat der Bundesrat das Recht, die Wahl an sich zu ziehen und mit einfacher Mehrheit zu entscheiden.

Im Fall von Spinner hat das Verfahren bereits die zweite Stufe erreicht. Es handelt sich um einen Vorschlag des Verfassungsgerichts. Sollte dieser scheitern, könnte der Bundesrat also das Ruder übernehmen. Im Falle von Emmenegger und Kaufhold wäre zunächst das Bundesverfassungsgericht gefragt.

dpa