Ein «Hochlauf» startet, um sie in ganz Deutschland zum Standard zu machen. Eine «Zeitenwende» in der Digitalisierung.
Digitale Patientenakten auf dem Vormarsch
Untersuchungsbefunde, Medikamente, Röntgenbilder: Für wichtige Gesundheitsdaten gibt es inzwischen elektronische Patientenakten (ePA), die Anfang des Jahres in den Masseneinsatz gingen. Der neue digitale Speicher kann Patientinnen und Patienten ein Leben lang bei allen Ärztinnen und Ärzten begleiten. Doch die meisten haben davon wohl noch gar nicht viel bemerkt. Das soll sich jetzt ändern. Am Dienstag soll ein «Hochlauf» beginnen, damit die E-Akte nach und nach überall in Deutschland zum Standard wird.
Was genau passiert jetzt?
Seit dem 15. Januar haben etwa 70 Millionen der insgesamt gut 74 Millionen gesetzlich Versicherten eine ePA von ihrer Krankenkasse erhalten, die sie auch ablehnen können. Der praktische Einsatz in Gesundheitseinrichtungen, die Daten in die E-Akte eingeben und die Technologie im Alltag nutzen, wurde jedoch vorerst nur in drei Regionen getestet. Etwa 300 Praxen, Apotheken und Kliniken in Hamburg und Umgebung, Franken und Teilen Nordrhein-Westfalens haben teilgenommen. Nach Abschluss der Testphase soll nun die landesweite Einführung erfolgen.
Wie läuft die Ausweitung?
Der Übergang auf die gesamte Republik kommt nicht auf einen Schlag, sondern schrittweise. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht von einem «Soft-Start»: Einige Praxen könnten die ePA sofort benutzen, andere müssten noch ein Modul installieren. Gebraucht werden auch Software-Updates. Dieser Prozess dürfte mehrere Wochen dauern, wie die mehrheitlich bundeseigene Digitalagentur Gematik erläutert. Benutzen können die Einrichtungen die ePA vorerst auf freiwilliger Basis. Eine gesetzliche Pflicht greift dann ab 1. Oktober.
Warum kommen überhaupt E-Akten?
Für den scheidenden Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der die Großoperation noch umsetzte, bringt die ePA eine «Zeitenwende» in der Digitalisierung. «Patienten bekommen endlich einen Überblick über ihre Daten und Befunde. Ärztinnen und Ärzte können bessere Entscheidungen treffen.» Ziel ist, verstreute oder fehlende Daten zusammenzuführen und damit bessere Behandlungen zu ermöglichen. Die ePA soll auch Mehrfachuntersuchungen und Medikamenten-Wechselwirkungen vermeiden. Lauterbach geht nach eigenen Worten davon aus, dass sich eine breite Nutzung sehr schnell entwickeln wird.
Was kann man mit der ePA machen?
Patientinnen und Patienten können in ihre ePA schauen, müssen es aber nicht. Einsehen kann man sie über eine App der Kasse etwa auf dem Smartphone. Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, rät Versicherten, die ePA auch aktiv zu nutzen. «So können sie sehen, welche Daten in ihrer Akte hinterlegt sind und sind viel besser über die eigene Gesundheit informiert.» Was Ärzte einstellen und wer worauf zugreifen darf, kann jeweils festgelegt werden. Bei einem Kassenwechsel kann man seine gespeicherten Daten auch mitnehmen.
Wie funktioniert es mit der ePA in den Praxen?
Wenn die Versichertenkarte am Praxistresen eingesteckt wird, erhalten Ärzte Zugriff auf die ePA für standardmäßig 90 Tage zum Lesen und Ausfüllen. Die Zeitspanne kann über eine App verkürzt oder verlängert werden. Patienten können in der Sprechstunde entscheiden, ob ein Befund nicht in die Akte aufgenommen werden soll. Bei sensiblen Daten müssen sie ausdrücklich auf ihr Recht hingewiesen werden. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte das Fehlen einer Möglichkeit, bestimmte Dokumente nur bestimmten Ärzten zu zeigen. So könnte ein Orthopäde sehen, wenn ein Patient in psychotherapeutischer Behandlung ist. Stattdessen bleibt nur die Option, ihm den vollständigen Zugriff auf die ePA zu verweigern.
Was kommt in die E-Akte hinein?
Von Anfang an soll eine Liste der Medikamente enthalten sein, die automatisch aus den inzwischen üblichen E-Rezepten erstellt wird. Schrittweise sollen weitere Inhalte dazukommen – als nächstes ein Medikationsplan mit Angaben etwa zu Arznei-Dosierungen. Generell sollen Ärztinnen und Ärzte wichtige Behandlungsdaten in die E-Akte einstellen. Die KBV weist zugleich darauf hin, dass die ePA als «versichertengeführte» Akte die Dokumentation jeweils in den eigenen Praxissystemen nicht ersetzt. Auch eine direkte Kommunikation zwischen Praxen bleibe wichtig, zumal Versicherte Daten löschen können.
Was ist mit dem Schutz der Daten?
Lauterbach unterstreicht: «Sicherheit geht immer vor.» Während der Testphase wurden dafür noch zusätzliche Vorkehrungen umgesetzt. So sei es gelungen, Sicherheitsprobleme für einen Massenzugriff auf ePAs zu lösen, die der Chaos Computer Club herausgearbeitet hatte. Gespeichert werden die Daten laut Ministerium auf Servern im Inland innerhalb der geschützten Datenautobahn des Gesundheitswesens. Jeder Zugriff auf die ePA wird mit Datum und Uhrzeit protokolliert. Hochzuladen sind nur Dateiformate, die keine Viren übertragen.
Was gilt beim Anmelden in der App und für Kinder?
Bei der ersten Anmeldung in der ePA-App müssen Versicherte ebenfalls Sicherheitsanforderungen erfüllen. Es wird ein elektronischer Personalausweis mit Geheimnummer (Pin) oder die E-Gesundheitskarte mit Pin benötigt, die auf Antrag von der Kasse erhältlich ist. Wenn jemand die App nicht selbst bedienen möchte, können auch Angehörige damit beauftragt werden. Kinder erhalten ebenfalls eine ePA, sofern die Eltern nicht dagegen sind; ab 15 Jahren können sie selbst entscheiden. Um Kinder zu schützen, können bestimmte sensible Informationen nicht eingetragen werden.
Kommt jetzt ein Durchbruch?
Gemäß Gematik gibt es derzeit bis zu 60.000 Zugriffe auf ePAs pro Tag. In Zukunft sollen es mit der bundesweiten Ausweitung deutlich mehr werden. E-Akten wurden bereits 2021 eingeführt, nach langen Verzögerungen, aber wurden kaum genutzt. Ein Gesetz der Ampel-Koalition hat das Prinzip umgekehrt: Nun erhält jeder automatisch eine ePA, es sei denn, man widerspricht aktiv. Die durchschnittliche Widerspruchsquote lag bei fünf Prozent. Auch private Krankenversicherungen haben die Möglichkeit, ePAs anzubieten.
Was ist bei Daten für die Forschung geplant?
Geplant ist in einem nächsten Entwicklungsschritt, dass Daten aus der ePA zu Forschungszwecken an eine zentrale Stelle weitergeleitet werden. Sie werden dabei pseudonymisiert genutzt, wie das Ministerium erklärt – also ohne direkte personenbeziehbare Informationen wie Name und Adresse. Versicherte haben die Möglichkeit, dieser Datenverwendung in der App oder bei einer Ombudsstelle der Krankenkasse zu widersprechen. Lauterbach sieht große Chancen für die Forschung mit umfangreichen Datenmengen und künstlicher Intelligenz.