Die Nachfolge von US-Präsident Joe Biden könnte existenzielle Auswirkungen auf die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten haben. Eine Ampel-Koalition in Berlin könnte durch die Wahl in Bedrängnis geraten.
US-Wahl: Schicksalsentscheidung für Deutschland und Europa
Die Entscheidung zwischen Donald Trump und Kamala Harris hat auch für Deutschland und Europa eine immense Bedeutung. Die wirtschaftlichen Verflechtungen mit den USA sind enorm, und im Verteidigungsbereich haben sie sogar existenzielle Auswirkungen. Die Wahl könnte sich unmittelbar auf die Krise der Ampel-Koalition in Berlin auswirken.
Droht im Fall eines Wahlsiegs von Trump ein Rückzug der USA aus der Nato?
Es gibt keine konkreten Hinweise darauf. Im Wahlkampf prangerte Trump erneut an, dass ein Teil der europäischen Alliierten die Bündnisziele bei den Verteidigungsausgaben verfehlt und weckte Zweifel daran, ob die USA unter seiner Führung uneingeschränkt zur Beistandsverpflichtung stehen würden. Frühere Austrittsdrohungen wiederholte er jedoch nicht.
In der Nato wird betont, dass viele europäische Verbündete in den letzten Jahren ihre Verteidigungsausgaben erheblich erhöht haben. Deutschland hat nun auch den von Trump in seiner ersten Amtszeit vehement geforderten Anteil von zwei Prozent der Militärausgaben an der Wirtschaftsleistung erreicht.
Wie steht Harris zur Nato?
Für den Fall eines Wahlsiegs von Kamala Harris müssen sich die Nato-Verbündeten wohl keine Sorgen machen, im Stich gelassen zu werden. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar gab sie den Verbündeten als Vizepräsidentin mit sehr deutlichen Worten ein Versprechen ab: «Unser heiliges Bekenntnis zur Nato bleibt eisern», sagte sie damals. «Und ich glaube, (…) dass die Nato das größte Militärbündnis ist, das die Welt je gesehen hat.»
Was ist mit der Unterstützung der Ukraine?
Vor allem für die ost- und mitteleuropäischen Nato-Staaten ist dies die wichtigste Frage. Trump hat im Wahlkampf mehrmals behauptet, den russischen Angriffskrieg innerhalb von 24 Stunden beenden zu können. In Brüssel wird daher befürchtet, dass er die Ukraine durch einen Stopp der Militärhilfe dazu zwingen könnte, in Verhandlungen mit Russland einzutreten. In diesen könnte Kremlchef Wladimir Putin möglicherweise auch einen Verzicht auf eine weitere Nato-Osterweiterung anbieten. Aus Sicht der meisten europäischen Länder wäre ein solches Vorgehen ein skandalöser und gleichzeitig äußerst gefährlicher Tabubruch. Putin könnte seinen Krieg dann als Erfolg verbuchen und zu weiteren Aggressionen verleitet werden.
Könnte die Ukraine ihren Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren auch ohne US-Hilfe fortsetzen?
Kurzfristig ja, langfristig wahrscheinlich nicht. Um unabhängiger vom US-Engagement zu werden, errichtet die Nato derzeit in Wiesbaden ein Ukraine-Kommando. Dieses wird sich um die Koordination von Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte kümmern und somit Aufgaben übernehmen, die bisher von den USA übernommen wurden. Im Falle eines Rückzugs der USA aus der Ukraine-Hilfe würde Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant eine entscheidende Rolle spielen. Die Bundesregierung wäre jedoch bei weitem nicht in der Lage, die entstehende Lücke zu schließen – selbst wenn sie einen Notstand feststellen und erneut die Schuldenbremse lockern würde.
Welche Auswirkungen könnte der Wahlausgang auf die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA haben?
Trump hat im Wahlkampf angekündigt, auf Importe aus Weltregionen wie Europa neue Zölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent einführen zu wollen. Damit will er den Produktionsstandort US stärken und das aktuelle Handelsdefizit abbauen. Es ist Trump ein Dorn im Auge, dass europäische Unternehmen deutlich mehr Waren in den USA verkaufen als amerikanische Unternehmen in der EU. Für Unternehmen aus der EU waren die USA 2023 der wichtigste Waren-Exportmarkt.
Wie könnte die EU reagieren?
Im Falle eines Sieges von Trump bei den Wahlen werden in Brüssel bereits Maßnahmen für einen möglichen neuen Handelskonflikt vorbereitet. Wenn Trump neue Zölle einführen sollte, ist es wahrscheinlich, dass die EU mit Gegenzöllen auf US-Importe reagieren wird. Idealerweise würden diese Maßnahmen für US-Hersteller so einschneidend sein, dass Trump gezwungen wäre, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, um eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Was für Branchen könnte der Handelskonflikt treffen?
Besonders schwierig könnte es für die deutsche Automobilindustrie und ihre Zulieferer werden. Für Unternehmen wie Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz sind die USA neben China der wichtigste Absatzmarkt außerhalb der EU. Sonderzölle würden wahrscheinlich erhebliche negative Folgen haben. Auch der Konflikt um die von Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführten Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte könnte erneut eskalieren. Dieser konnte durch einen Deal mit dem noch amtierenden Präsidenten Biden entschärft werden – dessen Laufzeit endet jedoch im März nächsten Jahres.
Kann die Wirtschaft in Europa im Fall eines Wahlsiegs von Harris aufatmen?
Spitzenpolitiker in Brüssel zweifeln daran. Es wird zwar erwartet, dass die Beziehungen weniger konfrontativ sein werden, aber handelspolitisch werden weiterhin schwierige Zeiten erwartet. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte kürzlich in Brüssel, die USA seien bedauerlicherweise ein protektionistisches Land. Er machte klar, dass er nicht davon ausgeht, dass sich dies nach der Wahl ändern wird – unabhängig vom Ergebnis.
In welchen Bereichen könnte die US-Wahl noch Auswirkungen haben?
Falls die USA im Falle eines Wahlsieges von Trump die Klimaziele lockern und weniger Maßnahmen gegen die Erderwärmung ergreifen würden, könnte dies zu verstärkten extremen Wetterereignissen führen, die sich auch in Europa durch intensivere Sommerhitze, Waldbrände und Überschwemmungen bemerkbar machen könnten. Ein Wahlsieg von Trump könnte außerdem populistischen und migrationsfeindlichen Parteien Auftrieb geben. Deren Argumentation könnte dann lauten: Warum sollten wir offen bleiben, wenn es auch der wichtigste transatlantische Partner nicht tut.
Was bedeutet die Wahl für die Krise der Ampel-Regierung?
Es ist möglich, dass die US-Wahl die drei Ampel-Partner möglicherweise wieder zusammenbringt – wenn Trump gewinnt. In einer solchen Situation, die weltweit Unsicherheit hervorrufen würde, wäre es schwer zu rechtfertigen, wenn Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt vorübergehend von der internationalen Bühne verschwinden würde. Genau das würde passieren, wenn nach einem Ampel-Aus im Herbst eine Neuwahl des Bundestags für Anfang März angesetzt würde. In den ersten Monaten einer möglichen Amtszeit Trumps ab dem 20. Januar würde Deutschland erst in der heißen Phase des Wahlkampfs und dann in den Koalitionsverhandlungen stecken und wäre in dieser Zeit nur bedingt handlungsfähig.
Hat Europa Lehren aus der ersten Amtszeit Trumps gezogen?
Nicht ganz korrekt. Obwohl der französische Präsident Emmanuel Macron mehrere Initiativen zur Stärkung der europäischen Souveränität unternommen hat – bis hin zu einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit bei der nuklearen Abschreckung, waren die Bundesregierungen von Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD) nicht besonders interessiert. Zwar sind die Verteidigungsausgaben gestiegen, aber sie sind bei weitem nicht ausreichend, um eigenständig zu agieren.
Könnte die US-Wahl daran etwas ändern? Äußerungen von Kanzler Scholz von diesem Montag deuten darauf hin. In einer Pressekonferenz mit dem neuen Nato-Generalsekretär Mark Rutte sagte er, der europäische Pfeiler der Nato müsse in den kommenden Jahren mit erheblichen Investitionen weiter gestärkt werden. Und ergänzte dann: «Es geht darum, jeder Bedrohung der Sicherheit in Europa begegnen zu können.»