Klingbeil trägt Verantwortung für schlechtes Ergebnis, will Partei wieder stark machen. Parteitag soll Neuausrichtung einleiten.
SPD-Vorsitzender Klingbeil gesteht Fehler ein, sucht Weg aus Krise
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, der unter Druck in seiner eigenen Partei steht, hat Fehler im Wahlkampf und in seinem Verhalten nach der Bundestagswahl zugegeben. Auf dem Parteitag in Berlin sagte der Vizekanzler, dass er ohne Zweifel Verantwortung für das historisch schlechte Ergebnis von 16,4 Prozent trage. Die Sozialdemokraten wollen dort Arbeitsministerin Bärbel Bas neben Klingbeil an die Parteispitze wählen und mit sozialdemokratischen Kernanliegen den Weg aus der Krise suchen.
Doch in der Partei rumort es heftig. Wie angespannt Klingbeil in diesen Wahl-Parteitag geht, das sieht man schon daran, wie der 47-Jährige ans Rednerpult tritt. Er bittet seine «Genossinnen und Genossen», dass sie «nach einer Klartext-Aussprache über die letzten Monate» wieder gemeinsam nach vorne schauten. Die rigorose Personalpolitik, der Griff nach der Macht, dass er sich mit «seinen Leuten» umgeben habe, das alles sei geschehen «nicht aus Selbstzweck, sondern weil ich alles dafür tun will, dass unsere Partei wieder stark wird».
Klingbeil dachte an Rücktritt
Klingbeil hatte nach der Bundestagswahl nach dem Fraktionsvorsitz gegriffen, machte sich zum Hauptansprechpartner für Wahlsieger Friedrich Merz bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen und ist nun Vizekanzler. Seine bisherige Co-Parteichefin Saskia Esken dagegen sitzt künftig als einfache Abgeordnete im Bundestag. Das hatte dem Niedersachsen in den vergangenen Wochen harsche Kritik eingebracht. Bei Landesparteitagen rechnete die Basis mit ihm ab und bezeichnete ihn als «unanständig».
Beim Parteitag hielt Klingbeil eine defensive Rede. «Ich weiß, ich habe Fehler gemacht in den letzten Monaten», sagte er. Doch für ihn habe es nach dem Wahlergebnis nur zwei Möglichkeiten gegeben: «Entweder ich höre auf oder ich gehe voll in die Verantwortung für die SPD.» Er habe sich fürs Kämpfen entschieden.
Knall in der Aussprache bleibt zunächst aus
Die von Klingbeil erwartete «Klartext-Aussprache» blieb zumindest zu Beginn des Parteitags vergleichsweise brav. Kritik äußerten die Delegierten selten an eine bestimmte Person gerichtet. Doch es ist auch ein schmaler Grat: Wie viel Kritik kann man äußern, bevor man den Parteichef beschädigt?
Leidenschaftlich äußerte sich der frühere Arbeitsminister Hubertus Heil, der im Personalkarussell der SPD leer ausgegangen ist. Er spüre keiner Bitterkeit, trotz einiger Meinungsverschiedenheiten mit Klingbeil, betonte der Niedersachse. Die SPD dürfe jetzt keiner «autoaggressiven Selbstzerfleischung» erliegen. «Keine Kabale, das hatten wir, das hat uns kaputt gemacht», betonte er.
Juso-Chef Philipp Türmer mahnte, die Partei dürfte in ihrer schwersten Krise nicht einfach zur Normalität übergehen. Alles wie immer – «das darf uns nicht passieren», betonte er. Dafür bitte die Parteispitze doch um einen gewaltigen Vertrauensvorschuss.
Bas liest ihrer Partei die Leviten
Die designierte Parteichefin Bas hielt eine mitreißende, launige und linke Rede – die Delegierten feierten sie danach. Die Arbeitsministerin rief zum Kampf um Industriearbeitsplätze auf, machte sich stark für Parität. Vor allem aber las sie ihrer Partei die Leviten. Wie die SPD mit Esken umgegangen sei, das sei «kein Glanzstück» gewesen.
Esken habe erleben müssen, «dass Solidarität nicht immer selbstverständlich ist – auch nicht in der Sozialdemokratie», sagte Bas. Doch wenn die SPD für eine solidarische Gesellschaft kämpfen wolle, müsse sie zuallererst eine solidarische Partei sein. «Sonst glaubt uns das keiner!»
Esken selbst sagte der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» vor dem Parteitag: «Vieles von dem, was aus den eigenen Reihen, aber auch von draußen als Anmerkungen kam, habe ich als ungerecht empfunden.» Sie habe sicher Fehler gemacht. «Aber die Art, wie Häme über mich ausgekübelt worden ist, war unverhältnismäßig und würdelos.»
SPD will neues Grundsatzprogramm erarbeiten
Bas symbolisiert auch inhaltlich die gewünschte Neuausrichtung der SPD: Die Sozialdemokraten streben danach, sich wieder stärker auf ihre traditionellen Kernthemen zu konzentrieren und erneut zur Partei der Arbeit zu werden. Durch den Parteitag soll der Prozess für ein neues Grundsatzprogramm in Gang gesetzt werden.
Vielen Wählerinnen und Wählern sei zuletzt nicht klar gewesen, welche grundsätzlichen Ziele die SPD verfolge, sagte der designierte Generalsekretär Tim Klüssendorf. Zentral sei, «dass die SPD eben nicht die Status-Co-Partei sein darf, die (…) versucht, das zu retten, was irgendwie mal erkämpft worden ist». Dafür müsse die SPD auch an programmatische Grundlagen ran.