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Westliche Staaten rufen zur Deeskalation in Syrien auf

Islamistische Rebellen überrumpeln syrische Regierungskräfte – und reißen die Kontrolle über Aleppo an sich. Syrien und das verbündete Russland reagieren mit Luftangriffen. Eine gefährliche Dynamik.

Aleppo ist erneut zum Schauplatz von Gewalt im langjährigen syrischen Bürgerkrieg geworden.
Foto: Anas Alkharboutli/dpa

Die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben die Konfliktparteien in Syrien aufgefordert, die Eskalation zu vermeiden. Seit dem schnellen Vorrücken der Rebellen und der Vertreibung der syrischen Regierungstruppen aus Aleppo hat der Bürgerkrieg im Land eine gefährliche Dynamik angenommen. Russische und syrische Kampfflugzeuge verstärkten ihre Angriffe, um die Kontrolle über die Regierung zu behalten. Der iranische Außenminister versprach weiterhin Syrien Unterstützung im Kampf gegen oppositionelle Kräfte.

Westliche Staaten: Weitere Vertreibungen verhindern

Die jüngste Eskalation in Syrien findet inmitten einer äußerst angespannten Situation im Nahen Osten statt, angesichts der Kriege im Libanon und im Gazastreifen, und kann nicht isoliert betrachtet werden. Es ist wahrscheinlich, dass die Rebellen die gegenwärtige Schwäche proiranischer Milizen und des Irans selbst für ihren Vormarsch genutzt haben. Zudem ist Russland als wichtigster Verbündeter des syrischen Regimes auch im Krieg in der Ukraine verwickelt.

«Wir verfolgen die Entwicklungen in Syrien genau und fordern alle Parteien zur Deeskalation und zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur auf, um weitere Vertreibungen und Unterbrechungen des humanitären Zugangs zu verhindern», hieß es in einer in der Nacht vom US-Außenministerium veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der vier Nato-Staaten USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. 

Die aktuelle Eskalation betont nur die dringende Notwendigkeit einer politischen Lösung des Konflikts unter syrischer Führung im Einklang mit der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats. Das oberste Gremium der Vereinten Nationen hat eine Reihe von Resolutionen zum Syrienkrieg verabschiedet. Die Resolution 2254 vom 18. Dezember 2015 sieht unter anderem die Vermittlung von Friedensgesprächen der Regierung mit der Opposition vor.

Bürgerkrieg seit 2011

Ein Bündnis von Rebellen, angeführt von der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), hat es geschafft, die syrischen Regierungstruppen in kürzester Zeit aus Aleppo zu vertreiben und am Wochenende die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen. Die Gruppierung HTS wird von den USA als Terrororganisation eingestuft und verfolgt nach Expertenmeinung eine salafistisch-dschihadistische Ideologie.

Der Bürgerkrieg brach 2011 in Syrien aus, Hunderttausende starben, es gab große Zerstörung und eine massive Fluchtbewegung aus dem Land. Viele syrische Flüchtlinge suchten im Libanon Schutz, der zu dieser Zeit selbst Schauplatz eines Krieges zwischen Israel und der schiitischen Hisbollah-Miliz war.

Für Assad sind die Aufständischen Terroristen

Syriens Machthaber Assad hat eine Gegenoffensive als Antwort auf das Vorrücken der Rebellen angekündigt. Die «Zerschlagung des Terrorismus» diene der Stabilität und Sicherheit der gesamten Region, sagte Assad bei einem Treffen mit dem iranischen Außenminister. Assad werden Kriegsverbrechen wie der Einsatz von Giftgas und Folter vorgeworfen.

Der Iran ist zusammen mit Russland ein bedeutender Verbündeter der syrischen Regierung im Krieg. Am Wochenende griff die russische Luftwaffe erstmals seit 2016 wieder Aleppo an. Auch in anderen Teilen Nordwestsyriens gab es erneut russische Luftangriffe gegen Rebellen.

Angst in Aleppo

Aleppo war bereits in den ersten Jahren des Bürgerkriegs Schauplatz schwerer Kämpfe zwischen Rebellengruppen und Truppen der Regierung. Die Stadt wurde dabei verwüstet. Anwohner der Millionenstadt sorgen sich angesichts der angekündigten Gegenschläge der Regierung. Diese brächten «das Leben Tausender Zivilisten» in Gefahr, sagt Mohammed Hanan der dpa. Auch Chalid Imad fürchtet sich vor Luftangriffen. Vielen Anwohnern gehe es ähnlich, berichtet er. Sie mieden derzeit die großen Märkte in der Stadt aus Angst, dass sie Ziel von Luftschlägen ein könnten.

Eine Anwohnerin empfindet auch die Rebellen als Bedrohung. «Autos mit bewaffneten Gruppen fahren durch die Straßen und Märkte von Aleppo.» Viel weniger Menschen als sonst seien deshalb auf den Straßen unterwegs, berichtet Malak Abdul-Rahman. Nach Beginn der Offensive hatten auch Tausende Anwohner Aleppo verlassen, einigen Augenzeugen zufolge auch zu Fuß. 

Assads Regierung beherrschte zuletzt mit Unterstützung ihrer Verbündeten Russland und Iran ungefähr zwei Drittel des Landes. Verschiedene Oppositionsgruppen kontrollieren Teile des Nordwestens und Nordostens.

Opfer bei russischen und syrischen Luftangriffen

Laut Aktivisten starben bei russischen Luftangriffen nicht nur HTS-Kämpfer, sondern auch Zivilisten. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London gab bekannt, dass bei Bombardierungen in der Nähe einer Klinik im Zentrum von Aleppo zwölf Menschen ums Leben gekommen seien, darunter acht Zivilisten. 23 Personen wurden verletzt. Die Aktivisten erhalten ihre Informationen von einem Informantennetzwerk in Syrien.

Moskau und Damaskus bombardierten syrischen Angaben zufolge auch Rebellen in einem Ort 25 Kilometer von Aleppo entfernt. Dabei seien Dutzende oppositionelle Kämpfer «getötet und verletzt» worden, meldete die Staatsagentur Sana unter Berufung auf syrische Armeekreise am Abend. Die genaue Opferzahl war zunächst unklar.

Bewohner der Stadt Al-Safira berichteten der Deutschen Presse-Agentur, dass Rebellen ihren Ort mittlerweile eingenommen hätten. Die Informationen konnten zunächst alle nicht unabhängig überprüft werden.

Syrische Kurden in Bedrängnis

Beobachtern zufolge nutzen derzeit auch von der Türkei unterstützte Rebellen die unübersichtliche Lage nach der Rebellenoffensive für ihre Zwecke. Im Moment greifen sie verstärkt die ihnen verhassten Kurdenmilizen in Nordsyrien an.

Nach intensiven Kämpfen eroberten am Sonntag protürkische Kämpfer den Ort Tal Rifat, der etwa 30 Kilometer nördlich von Aleppo liegt. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte eroberten die von Ankara unterstützten Rebellen auch andere Orte in der Umgebung. Etwa 200.000 Kurden sind derzeit dort eingeschlossen. Sie fürchten Massaker durch die protürkischen Rebellen.

Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die von der YPG geführt werden, kontrollieren große Gebiete in Nordsyrien. Die Türkei strebt seit langem danach, den Einfluss kurdischer Milizen an ihrer Grenze zu schwächen. Die USA betrachten die YPG als Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS), während die Türkei die Kurdenmiliz als Terrororganisation ansieht. Es wird vermutet, dass die SDF aufgrund der aktuellen Entwicklungen viele Gebiete verlieren könnte.

dpa